Branchenmeldungen 22.10.2024
Mögliche Begleittherapien bei Zahnfleischproblemen
Dieser Beitrag ist unter dem Originaltitel „Mögliche Begleittherapien bei Zahnfleischproblemen und ihr Nutzen“ im PJ Prophylaxe Journal erschienen.
Mindestens 80 Prozent der europäischen Bevölkerung leiden mehr oder weniger an Zahnfleischproblemen, davon 35 Prozent leicht, 45 Prozent moderat und 20 Prozent schwer (Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie). Die Erkrankung am Zahnfleisch ist oft ein multifaktorielles Geschehen und jeder Betroffene hat zusätzlich noch einen individuellen Schwellenwert der Intensität der Beschwerden. Durch gute häusliche Zahnpflege und professionelle Betreuung in der Zahnarztpraxis lassen sich jedoch nicht alle auftretenden Probleme am Zahnfleisch beheben. Die genauen Zusammenhänge zwischen auftretenden Belägen auf den Zähnen und der Erkrankung des Zahnfleisches (Gingivitis) und Zahnbettes (Parodontitis) sind noch nicht genau erforscht. Für eine noch individuellere Patient/-innenbetreuung erscheint es daher sinnvoll, neben den konventionellen Therapieansätzen (der Entfernung des supra- und subgingivalen Biofilmes) auch verschiedene Begleittherapien, wie Probiotika oder Phyto- und orthomolekulare Therapie, näher zu beleuchten.
Wer kennt das nicht aus dem täglichen Praxisalltag: Die Patient/-innen arbeiten gut mit, wir haben bestmögliche Arbeit geleistet und trotzdem fehlt der Therapieerfolg. Die erfolgreiche Behandlung der schweren Formen der Parodontitis stellt früher wie heute eine große Herausforderung für das gesamte Praxisteam dar. Um langfristig stabile Ergebnisse zu erzielen, sollte der Mensch nicht nur physisch, sondern als Ganzes betrachtet und behandelt werden (Holismus – Ganzheitliche Betrachtung des Menschen). Kommt es an einer Stelle zur Dysbalance (im Falle der Zahnfleischerkrankungen im Mund), leidet der ganze Körper darunter. Umgekehrt kann sich eine Dysbalance im Darm als Entzündung im Mund manifestieren. Welche Faktoren spielen bei der Entstehung der Zahnfleischerkrankung eine Rolle und wie lässt sich der Therapieerfolg optimieren?
Die natürliche bzw. gesunde Darmbesiedelung, bestehend aus vielen verschiedenen Bakterienarten (darunter auch krankheitsauslösende Bakterien), die in Symbiose leben, ist Voraussetzung für die Gesundheit des Menschen. Kippt dieses Gleichgewicht (Symbiose) zugunsten der krankheitsauslösenden Bakterien (Dysbiose) bzw. ist der Körper nicht in der Lage, mit einer ausreichenden Immunabwehr zu reagieren, ist dies der Wegbereiter für eine Erkrankung (ökologische Plaquehypothese). Der Körper benötigt daher eine gute Abwehr. Dies zeigt sich auch in Sondersituationen, wie beispielsweise bei einem Zahnwechsel. Hier bricht der Zahn in die Mundhöhle durch und schafft somit eine Eintrittspforte für Bakterien der Mundhöhle in die Zahnfleischtasche. Auch bei Zahnfleischentzündungen ist das Immunsystem schnell an seinen Grenzen.
Wie Studien der letzten 30 Jahre eindeutig belegen, spielt die mechanische Entfernung des Biofilmes auf den Zähnen in Form von häuslich durchgeführter Mundhygiene sowie regelmäßiger professioneller Zahnreinigung eine entscheidende Rolle für die Zahngesundheit. Doch leider stellt sich trotz erfolgreich durchgeführter Therapie der Zahnfleischerkrankungen bei vielen Patient/-innen kein langfristig stabiler Therapieerfolg ein. In diesem Fall kann eine Begleittherapie zur Steigerung der Selbstheilungskräfte bzw. zur Stärkung der Immunabwehr sinnvoll sein. Dabei stehen Probiotika, Phyto- und/oder eine orthomolekulare Therapie zur Verfügung. Wichtig hierbei ist es, keine standardisierte Therapie durchzuführen, sondern jede/-n Patient/-in individuell zu betreuen. Die Herausforderung bei der Behandlung der Zahnfleischerkrankungen besteht im Erkennen der Dysbalance und der Motivation bzw. Schulung der Patient/-innen zur Eigenverantwortung in der Umsetzung der häuslichen Mundhygiene sowie der Durchführung einer individuellen Begleittherapie.
Infolge betrachten wir nun verschiedene Möglichkeiten der Begleittherapie bei Erkrankungen des Zahnfleisches und ihr Wirkspektrum sowie Anwendungsmöglichkeiten. Bevor ein Behandlungsschritt erwogen wird, ist eine gründliche Untersuchung der Mundhöhle sowie aller Zähne und des Zahnfleisches (PSI) notwendig. Auf der Diagnose des Zahnarztes aufbauend erfolgt eine adäquate Therapie. Dabei sollte ein standardisiertes medizinisches Grundkonzept (S3-Leitlinien) in der Behandlung von Zahnfleischerkrankungen eingehalten werden, damit eine gute Basis für den Erfolg der einzelnen Behandlungsschritte geschaffen werden kann. Generelle Empfehlung für die Gesundung der Patient/-innen sind neben den Mundhygieneinstruktionen und der professionellen Zahnreinigung stets Maßnahmen zur Stressbewältigung, angemessene Bewegung, basenreiche und ausgewogene Ernährung sowie die Reduktion von gesundheitsschädlichen Triggern wie bspw. Rauchen. Zusätzlich kann eine der folgenden Begleittherapien je nach der individuellen Situation eingesetzt werden.
Probiotika in der Mundhöhle
Die positive Wirkung von Probiotika (Milchsäurebakterien) auf unseren Darm ist bereits seit mehr als einem Jahrhundert bekannt. Die Wissenschaft diskutiert viel darüber, in welcher Form und in welchem Ausmaß Probiotika wirklich die Gesundheit beeinflussen können. Inzwischen hat sich diese Frage auch auf den Aspekt in der Mundhöhle ausgedehnt. Das Wort Probiotika (Pro = Für und Biotika = Leben) ist ein Gegenpol zu Antibiotika (Anti = gegen und Biotika = Leben). Obwohl Antibiotika in vielen Situationen lebensrettend sind, sollte ihre Anwendung strengeren Indikationen unterliegen, denn die Nebenwirkungen sind nicht außer Acht zu lassen. In der Therapie der Zahnfleischerkrankungen stellt sich daher die berechtigte Frage, ob die Lösung des Problems darin besteht, durch Antibiotika sowohl die krankheitserregenden als auch die gesunderhaltenden Bakterien abzutöten, oder ob es nicht sinnvoller ist, den Körper des Erkrankten darin zu unterstützen, wieder ein natürliches Gleichgewicht (Symbiose) herzustellen.
Das Mikrobiom in der Mundhöhle ist nach dem des Darms das zweitgrößte unseres Körpers und weist ähnliche Aspekte auf. Seit knapp zehn Jahren wird die Wirkung von Probiotika im Mund durch einige vielversprechende klinische Studien untersucht. Der neue Ansatz der ökologischen Plaquehypothese (Symbiose – Dysbiose) sucht die Ursachen der Krankheitsentstehung von Zahnfleischerkrankungen im Ungleichgewicht (Dysbiose) der Bakterien und nicht bei den einzelnen pathogenen Bakterien (spezifische Plaquehypothese), da die pathogenen Bakterien ohne das richtige Umfeld nicht pathogen sind. Das Konzept der kompetitiven Hemmung bedeutet, durch Zufuhr von guten Mundbakterien, wie unter anderem dem Milchsäurebakterium Limosilactobacillus reuteri, die paropathogenen Bakterien in Schach zu halten. Somit wird durch die Flutung von guten Bakterien (Milchsäurebakterien) die Zusammensetzung der Bakterien im bestehenden Mikrobiom positiv beeinflusst und aus einer Dysbalance eine Symbiose hergestellt. Indikationen sind Gingivitis, Schwangerschaftsgingivitis und Parodontitis etc. Probiotika kann als Begleittherapie bei Parodontitis zum Aufbau der Mundflora nach der Therapie angewendet werden. Der Einsatz von Probiotika wird uns die nächsten Jahre sicher noch weiter begleiten.

Phytotherapie – Pflanzenheilkunde
Die Pflanzenheilkunde/Phytotherapie (griech. Phyton = Pflanze; therapeia = Pflege) hat eine sehr lange Tradition und ist vielen Patient/-innen bereits sehr vertraut. Pflanzliche Wirkstoffe begleiten unseren Alltag, die traditionelle Pflanzenheilkunde gehört zu den ältesten medizinischen Systemen und umfasst unter anderem die chinesische oder die indisch-ayurvedische Medizin. Dabei werden die verschiedensten Pflanzenteile (z. B. Blüten, Blätter, Wurzeln, Früchte und Samen) verwendet. Jede Pflanze besitzt ihre individuelle Heilkraft und kann auch in Kombination mit anderen Pflanzenarten verwendet werden. Die Phytotherapie zeichnet sich durch hohe Verträglichkeit und wenige Nebenwirkungen aus. In der Zahnheilkunde haben sich die Wirkstoffe der Arnika, des Blutwurz, Meisterwurz und des roten Sonnenhutes sehr bewährt. Anwendung und Kontraindikationen (evtl. allergische Reaktionen auf Pflanzenbestandteile sowie Abklärung bei Schwangerschaft mit dem/der Gynäkolog/-in) sind wie bei jeder Therapie vorab anamnestisch abzuklären. Der Vorteil dieser Begleittherapie sind die geringen Kosten und die unkomplizierte Einnahme für die Patient/-innen.
Orthomolekulare Therapie – Mikronährstofftherapie
Diese begleitende oder alternative Behandlungsmethode ist je nach Schweregrad der Zahnfleischentzündung für Patient/-innen geeignet, die an einem Vitalstoffmangel leiden. Um dies festzustellen, kann zuerst eine Analyse der Mineralstoff- und Vitaminwerte durchgeführt werden. Meist wird als Therapie eine hochdosierte Gabe der fehlenden Substanzen empfohlen, dies sollte jedoch unter ärztlicher Aufsicht erfolgen. Häufig korrelieren Entzündungen am Zahnfleisch mit einem Zinkmangel und in einigen Fällen stellt sich auch ein Selenmangel dar. Beide Vitalstoffe sind nötig, um Entzündungen im Körper zu reduzieren (antientzündliche Wirkung). Auch ein ausreichender Vitamin-C-Spiegel sollte vorhanden sein, dieser aktiviert den Zellstoffwechsel und unterstützt den Aufbau und die Reparatur der Kollagene. Gleichzeitig stimuliert Vitamin C das Immunsystem bei einem Angriff von Bakterien und Viren, um den Körper vor Infektionen zu schützen. Vitamin D schützt ebenfalls vor Infektionen und Entzündungen und stärkt den Knochen, dieser Wert lässt sich sehr einfach ermitteln (auch in der Zahnarztpraxis möglich). Das körpereigene Enzym Coenzym Q10 kann vom Körper selbst hergestellt werden, um die Mitochondrien mit Energie zu versorgen. Bei starken Entzündungen sinkt dieser Wert drastisch und kann entweder über Kapseln oder äußerlich über ein Spray dem Körper, speziell der Mundhöhle und dem Zahnfleisch, zugeführt werden, um die Heilung zu beschleunigen. Ein weiterer antientzündlicher Mineralstoff ist das Magnesium, welches sehr leicht eingenommen werden kann.

Über die Ernährung sollte auf einen ausgewogenen Anteil an Omega-3-Fettsäuren geachtet werden. Reicht dies nicht aus, kann man es in Form von Ölen oder als Kapsel substituieren. Da die Aufnahme von Omega-6-Fettsäuren über die falsche Ernährung (bspw. Fertigprodukte mit viel E-Stoffen, viel Fleisch und Wurst aus Massentierhaltung, Produkte aus Weißmehl etc.) in den letzten Jahrzehnten rapide angestiegen ist, nimmt auch das Entzündungsgeschehen im Körper zu, wenn dem Körper kein ausreichender Omega-3-Fettsäuregehalt als Ausgleich zur Verfügung steht. Das ungleiche Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren in der Nahrungsaufnahme spielt in der Progression der Zahnfleischentzündungen eine wichtige Rolle.
Die orthomolekulare Therapie bietet durch die gezielte Zufuhr von Vitaminen und Mineralstoffen ein ganzheitliches Konzept zur Sanierung und Pflege des Zahnfleisches und des Zahnhalteapparates. Hierfür ergibt es Sinn, eine auf den Mangel abgestimmte Mikronährstoffkur durchzuführen. Diese hilft, das Immunsystem zu stärken und Entzündungen zu reduzieren. Die Grundlage für die gute Aufnahme der Vitalstoffe ist ein gut funktionierender Darm. Dieser kann langfristig nur über eine Ernährungsumstellung positiv beeinflusst werden.
Fazit
Durch Fehlernährung verlieren Menschen die bakterielle Diversität im Darm. Dies fördert die Entzündungen im Körper, da es zu einer ungünstigen Verschiebung der bakteriellen Besiedelung kommt. Ähnliches geschieht zusätzlich auch im Mund und hier manifestieren sich die Entzündungen am Zahnfleischsaum. Der ganzheitliche Ansatz in der Therapie von Zahnfleischerkrankungen ist unumgänglich, da bei jedem Patienten individuelle Faktoren bei der Krankheitsentstehung eine Rolle spielen. Gut beeinflussbare Faktoren, wie die Ernährung und notwendige Nährstoffergänzungen bei Mangelerscheinungen, sind mögliche Begleittherapiemaßnahmen. So rückt die Ernährung bei der Parodontitistherapie in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Behandlungskonzepte. Ebenso spielt die Etablierung einer gesunden Mundflora (Symbiose) über Probiotika eine wichtige Rolle in der Heilung von Zahnfleischerkrankungen. Die Phytotherapie hat sich ebenfalls bewährt und kommt bei den Patient/-innen durch die Einfachheit und den sichtbaren Erfolg sehr gut an.
Autorin: Petra Natter, BA