Branchenmeldungen 14.10.2024

„Nur was wir analog beherrschen, können wir auch digital umsetzen“



„Nur was wir analog beherrschen, können wir auch digital umsetzen“

Foto: OEMUS MEDIA AG

Zwischen Lehre, Forschung, Werkstoffkunde und Digitalisierung: Im Interview gewährt ZTM Robert Nicic, Laborleiter der Abteilung für Zahnärztliche Prothetik, Alterszahnmedizin und Funktionslehre an der Charité – Universitätsmedizin Berlin, einen spannenden Einblick in seinen Arbeitsalltag und verrät, worin für ihn aktuell die größten Herausforderungen für das Handwerk Zahntechnik liegen.

Wie bist du ursprünglich zur Zahntechnik gekommen?

Interessante Frage! Mein Weg zur Zahntechnik führte über einige Umwege: 1988/89 war meine Zeit der Berufsfindung und mir war schnell klar, dass ich etwas mit meinen Händen erschaffen, also ein Handwerk erlernen wollte. Da ich zu diesem Zeitpunkt selbst noch in kieferorthopädischer Behandlung war, wusste ich, was für eine Auswirkung schöne Zähne auf das soziale Leben haben. Ich bewarb mich also bei mehreren Dentallaboren, doch zur damaligen Zeit war es noch fast unmöglich, einen Ausbildungsplatz zu bekommen: Für eine Stelle kamen locker 20 bis 30 Bewerber infrage. Da ich aber nicht aufgeben und unbedingt Zahntechniker werden wollte, entschied ich mich zunächst für die Ausbildung zum Zahnmedizinischen Fachangestellten (ZFA). Nach erfolgreichem Abschluss sammelte ich hier noch einige Erfahrungen, die für mich bis heute von großem Vorteil sind. Ein wenig Laborerfahrung erlangte ich zwischenzeitlich im Rahmen der Modellvorbereitung, von kleineren und größeren Reparaturen im Kunststoffbereich sowie durch das Anfertigen von Totalen.

Meine Ausbildung habe ich im Dentallabor Leonhardt 2002 begonnen und 2005 erfolgreich abgeschlossen. Dann hieß es: Erfahrung, Erfahrung und noch mehr Erfahrung sammeln. Die Entscheidung, das Meisterstudium in meinem Handwerk zu beginnen, fiel mir nicht schwer. Ich wollte das maximale Potenzial, das mein Berufszweig bietet, ausschöpfen. Von 2008 bis 2010 absolvierte ich an der Meisterschule Berlin in Teilzeit meine Meisterausbildung. Danach war dann der Weg zum Laborleiter offen.

Was sind die größten Unterschiede zwischen dem Universitätslabor und einem gewerblichen Dentallabor?

Im Großen und Ganzen sind beide gleichzustellen, was das Handwerk angeht. Wir fertigen an der Charité genauso Patientenarbeiten an, wie es auch im gewerblichen Labor stattfindet. Wir arbeiten hier ebenso sehr eng im Team zusammen und tauschen uns fachlich aus, worauf ich mich tagtäglich freue!

Einen wirklichen Unterschied sehe ich eher in der Forschung, die neben der Lehre ebenfalls zu meinem Aufgabengebiet gehört. Egal ob In-vivo- oder In-vitro-Studien: In der Forschung haben wir die Möglichkeit, neue Materialien hinsichtlich ihrer Werkstoffeigenschaften oder ihres Indikationsbereiches bis an ihre Grenzen zu testen. Hier sind wir für die Industrie im Dentalmarkt ein verlässlicher Partner. Mit unserer Expertise in der Zahnmedizin und Zahntechnik sowie Werkstoffkunde können wir verlässliche Aussagen treffen, die sich in zahlreichen Publikationen wiederfinden.

Im Rahmen der Lehre werden den Zahnmedizinstudierenden alle theoretischen und praktischen Fähigkeiten vermittelt, die zu einem erfolgreichen Staatsexamen führen. Meine Aufgabe besteht hierbei darin, die digitale Zahntechnik zu vermitteln.

Wie sieht ein typischer Tag als Laborleiter an der Charité aus?

Natürlich mit Kaffee. Nein, Spaß beiseite (lacht). Er beginnt meist damit, dass ich mir entsprechende Laboraufträge vom Vortag anschaue und innerhalb meines Teams aufteile. Jeden Auftrag spreche ich mit dem jeweils ausführenden Kollegen einmal durch und gebe gegebenenfalls Hilfestellung in Bezug auf die Fertigung. Farbnahmen und die Dokumentation mithilfe der Dentalfotografie gehören zum Tagesgeschäft.

Neben meinen allgemeinen Aufgaben, wie der Fertigung von komplexerem Zahnersatz auf Implantaten, unterstütze ich die jungen Assistenzärzte mit meiner Erfahrung bei bestimmten prothetischen Versorgungen. Auch den Studierenden stehe ich zur Verfügung: Mit meiner Expertise in der digitalen Zahntechnik und Zahnmedizin gebe ich jederzeit gern Hilfestellung.

Außerdem steht auch das eine oder andere Meeting an. Im Team aus Zahnmedizin, Werkstoffkunde und Zahntechnik werden aktuelle sowie zukünftige Projekte besprochen bzw. geplant. Bei Studien haben wir bestimmte Abgabefristen einzuhalten. Ich kalkuliere hierfür den entsprechenden Zeit- und Kostenaufwand für bestimmte zahntechnische Proben, die wir im Rahmen einer Studie oder Forschung benötigen.

Gleichzeitig übernehme ich für alle gefertigten Arbeiten die Endkontrolle. Bürozeit und Organisation sind ebenfalls wesentliche Bestandteile des Berufs: Kostenvoranschläge, Rechnungen, Bestellungen sowie Mitarbeiterführung gehören zu meinem Aufgabengebiet.

Welche Rolle spielt die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen dem Labor und den zahnmedizinischen Abteilungen an der Charité?

In meinen Augen ist dies gerade in der heutigen Zeit nicht mehr wegzudenken! Jede Abteilung verfügt in ihrem Fachgebiet über eine starke Expertise. Darauf zu verzichten, ist bei uns keine Option. Es geht nun mal ums Ganze, und wir wollen bei komplexeren Eingriffen möglichst jedwede Komplikationen vermeiden sowie den maximalen Erfolg für den Patienten erzielen. Der Mensch steht im Vordergrund, nicht unser Ego.

Durch die interdisziplinäre Arbeit ist der Verlauf einer Arbeit im Vorfeld planbar, vorhersehbar und risikofreier für alle Beteiligten. Dies bedeutet nicht immer einen garantierten Erfolg, aber die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolges wird auf jeden Fall minimiert.

Thema Wirtschaftlichkeit: Wie beeinflusst sie die Auswahl der Versorgungsoptionen?

Im Dentalmarkt herrscht eine große Vielfalt an unterschiedlichen Materialien. Besonders im Bereich der Vollkeramiken bieten uns die Fertigungsprozesse im CAD/CAM Möglichkeiten, die Qualität der Industrie eins zu eins an den Patienten weiterzugeben. In Bezug auf die Wirtschaftlichkeit sind die Abläufe vorhersehbarer, reproduzierbarer und somit weniger fehlerbehaftet. Daher kann im Labor zeitlich und finanziell sehr gut kalkuliert werden. Durch jeweilige Studien der einzelnen Universitäten haben wir eine große Expertise und Leitlinie, wie und wo wir bestimmte Materialien und prothetische Versorgungsmöglichkeiten nutzen dürfen und können oder sollten.

Digitalisierung und moderne Technologien spielen eine immer größere Rolle in der Zahntechnik. Inwieweit habt ihr diese Entwicklungen in euerem Labor bereits integriert?

In unserem Labor sind wir stark digital aufgestellt. Wir nutzen die CAD/CAM-Systeme unterschiedlicher Hersteller jeden Tag – sowohl hard- als auch softwareseitig. 3D-Druck ist eine weitere Komponente, die wir für bestimmte Abläufe in der Zahntechnik benötigen – sei es in der Modellherstellung, für individuelle Löffel oder bestimmte Hilfsteile für die Eingliederung.

Da bei uns das Hauptaugenmerk auf einer eigenen Fertigungsstrecke lag, haben wir bei uns im Labor mehrere 5-Achs-Fräsmaschinen sowie 4-Achs- Schleifmaschinen. Eine Anzahl von unterschiedlichen 3D-Druckern in ihrer Fertigungsart (SLA, DLP, LCD) sind bei uns auch ein fester Bestandteil der digitalen Wegstrecke. Zusätzlich nutzen wir verschiedene CAD-Programme wie 3Shape, exocad oder Modelier von Zirkonzahn. Darüber hinaus nutzen wir mehrere Implantat-Planungsprogramme für die virtuelle Positionierung von Implantaten. Backward Planning ist in der digitalen Zahnmedizin sowie Zahntechnik somit besser möglich.


Die Zahnmedizin muss unser Handwerk verstehen, und wir müssen Zahnmedizin verstehen. Das Begegnen auf Augenhöhe wird immer wichtiger werden in unserer Branche. – ZTM Robert Nicic


Welche Vorteile oder Herausforderungen siehst du in Bezug auf die zunehmende Digitalisierung?

Wo Licht ist, ist auch Schatten. Mit aller Digitalisierung, die wir am Markt erleben, bleiben Schulungen und Fortbildungen nicht aus – im Gegenteil: Die digitalen Prozesse entwickeln sich rasant, und Praxen sowie Labore müssen diesbezüglich entsprechende Zeit einplanen. Mitarbeiterschulungen sollten hier großgeschrieben werden, denn nur durch qualifiziertes Personal erfüllen die Prozessketten kontinuierlich einen hohen Qualitätsstandard.

Zeitgleich bedeutet die Digitalisierung meiner Meinung nach auch mehr Personal: Die CAD/CAM-Systeme müssen im Bereich Softwareaktualisierung, Lizenzen sowie Datenspeicherung oder -sicherung kontinuierlich betreut werden. Fräs- und Schleifmaschinen müssen gewartet und kalibriert sowie mit entsprechenden Materialien bestückt werden und so weiter und so fort …Außerdem bedeutet es nicht, dass das, was aus der Fertigung kommt, ein finales Endprodukt ist.

Es bleibt vorerst ein Halbfertigteil! In meiner Abrechnung lautet die Position „Bearbeiten eines Halbfertigteils“ und meint das Heraustrennen aus dem Blanc/der Ronde oder dem Materialträger. Erst durch händisches Nacharbeiten und Sinterprozesse bzw. Umwandlungsbrände sowie verschiedene Brandvorgänge wird es zu einem finalen Endprodukt. Hier sind das volle Wissen und die ganzen Fähigkeiten der Zahntechnik gefragt.

Wie gewichtest du zwischen den analogen Fähigkeiten eines Zahntechnikers im Hinblick auf den erfolgreichen Einsatz digitaler Arbeitsschritte in Praxis und Labor?

Die manuellen Fähigkeiten sowie das Fachwissen im Zahnmedizinischen und Zahntechnischen aus dem analogen Weg bilden für mich erst die Voraussetzung, alle Schwerpunkte in der Digitalisierung umzusetzen.

Ein Beispiel für die Praxen: Ein Zahnarzt muss verstehen, worauf es bei der analogen Abformung ankommt, also welche Informationen für den Zahntechniker wichtig sind, denn dies gilt auch für die digitale Abformung! Ein IO-Scanner kann nur Daten erfassen, wenn die Situation zur analogen Technik gleichgestellt wird: Präparationsgrenzen sind genauso freizulegen wie im analogen System, und eine entsprechende Trockenlegung muss auch hier berücksichtigt werden.

Umgekehrt braucht auch der Zahntechniker entsprechende Kenntnisse über die Anatomie der Zähne, um die Komplexität einer Konstruktion und ihre Auswirkung auf das craniomandibuläre System zu verstehen.

Das sind nur zwei Beispiele, ich könnte diesbezüglich noch viel mehr benennen. Aber kurz gesprochen: Nur was wir analog beherrschen, können wir auch digital umsetzen. Voraussetzung ist und bleibt die Schulung und das Auseinandersetzen mit den Systemen. Es muss sich die Zeit genommen werden, um sich mit deren Komplexität vertraut zu machen.

Wichtig hierbei ist: Erst einmal kleine Ziele setzen und erreichen und sich dann mit dieser Erfahrung an den nächsten Abschnitt rantasten. Die Digitalisierung schreitet schnell voran und bleibt doch ein Marathon. Egal, zu welchem Zeitpunkt man startet – selbst Teilnehmer aus dem hinteren Feld können durch Fleiß und Ehrgeiz sowie entsprechendes Training ganz nach vorne kommen. Nicht aufgeben ist meine Devise!

Wie könnte deiner Meinung nach die Zahntechnik der Zukunft aussehen?

Einige sind der Meinung, durch die Digitalisierung verliert unser Handwerk zunehmend an Bedeutung. Wie bereits erläutert, sehe ich das anders. Wir brauchen gute Fachkräfte, die den analogen Weg beherrschen und dies im digitalen Workflow umsetzen. Gleichzeitig muss die Zahnmedizin unser Handwerk verstehen, und wir müssen Zahnmedizin verstehen. Das Begegnen auf Augenhöhe wird in unserer Branche immer wichtiger werden.Wie die Zukunft aussieht? Momentan überwiegt in der Zahntechnik das subtraktive Fertigungsverfahren, das Fräsen und Schleifen von Materialien. Das additive Verfahren ist noch auf bestimmte Materialgruppen limitiert. Ich gehe stark davon aus, dass wir bereits in wenigen Jahren die Möglichkeit haben, Vollkeramiken zu drucken (Zirkon, Lithium-disilikat), die für limitierte Indikationen freigegeben sind.

Vielen Dank für das interessante Interview!


Die Digitalisierung schreitet schnell voran und bleibt doch ein Marathon. Egal, zu welchem Zeitpunkt man startet – selbst Teilnehmer aus dem hinteren Feld können durch Fleiß und Ehrgeiz sowie entsprechendes Training ganz nach vorne kommen.  – ZTM Robert Nicic


Dieser Artikel ist in der ZT Zahntechnik Zeitung erschienen.

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