Branchenmeldungen 30.09.2011

SSP mit Bekenntnis zur natürlichen Bezahnung



SSP mit Bekenntnis zur natürlichen Bezahnung

Foto: © SSP

Die Schweizerische Gesellschaft für Parodontologie tagte am 1. September im Kursaal Bern. Dr. med. dent. Lothar Frank folgte den praxisnahen Referaten und Fallpräsentationen.

SSP-Präsident Dr. Dominik Hofer begrüsste die Teilnehmer zur 41. Jahrestagung im vollbesetzten Kursaal Bern. Als erster Redner wartete PD Dr. Patrick Schmidlin aus Zürich auf. Gekonnt führte er in die Thematik ein, indem er altbekanntes mit neuen Erkenntnissen mischte und interessant gliederte.

So ist der Werdegang einer Parodontitis stets von der Gingivitis ausgehend zu sehen, die sich in eine Parodontitis ausweiten kann. Die individuelle, bakterielle Flora im Mund des Individuums und die individuelle Abwehr sowie individuelle Abwehrreaktion führen zu unterschiedlichen Ausprägungen des Krankheitsbildes.

Laut einer Studie von Prof. L. Trombelli lassen sich so genannte „high- und low-responder“ unterscheiden. Die „Response“, die Wirtsantwort, äussert sich in der Ausscheidung von Zytokinen (wie Interleukin 1), was zu Entzündungszeichen führt. Diese können mit Markertests erfasst werden, was mittels modernen Markertests quantifiziert wird. Diese Tests können klinische und radiologische Parameter unterstützen. Neu ist ein Matrix-Metalloproteinase-8 – Speicheltest. Für die Praxis empfiehlt Schmidlin bei „high-respondern“ engmaschiges Recall und die Unterstützung der Behandlung durch Antibiotika, zur täglichen Mundhygiene zusätzlich Antiseptika, die im Vergleich zu Antibiotika keine Resistenzen auslösen können.

Das Schönste für den Praktiker lag darin, dass Schmidlin klar darlegen konnte, dass sowohl high-, als auch low-responder allein durch gute Mundhygiene in „no-responder“ verwandelt werden können. Um die Anleitung perfekt zu machen, zeigte er anhand einer Studie von Prof. Lang auf, wie die optimale Plaquebekämpfung aussehen soll: alle 12 Stunden Zähneputzen für mindestens zwei Minuten. (Selbst Plaque Entfernung nach spätestens 48 Stunden ist ausreichend!) Ähnliche Ergebnisse konnten mit CHX nachgewiesen werden. Erstaunlich, dass Zahnärzte dann einen solchen Kampf mit der Parodontitis austragen müssen.

Spülung mit Jodlösung

Das Fallbeispiel der Uni Zürich fällt durch die Besonderheit der Spülung mit Jodlösung und der Applikation von Jodgel zum regulären Scaling und Rootplanning auf. Dies stützt sich auf eine Studie von Cosyn und hat laut Schmidlin eine sehr gute Wirkung. Zwar schadet das PVP (Polyvinylpyrrolidon) nicht nur den Bakterien, sondern auch den körpereigenen Zellen, doch es kommt im Anschluss zu einem Boost der Wirtszellen über das Anfangsniveau hinaus. Die Jodanwendung gestaltet sich in der Praxis allerdings geschmacklich als schwierig. Dem versucht man mit geklebtem Kofferdam abzuhelfen, um die einstündige Behandlung patientengerecht durchführen zu können. Eine Jodallergie ist möglich.

Als Alternative stehen Periochip,  der Laser und die photodynamische Therapie zur Verfügung, laut Datenlage aber eher therapiebegleitend – oder unterstützend. Der alte Paroverband erfährt durch eine positiv bewertete Studie wegen Koagelstabilisation und Verhinderung der Neubesiedelung eine Renaissance. Leider ist aber noch immer kein probates Mittel zur Biofilmbekämpfung der tieferen Taschen bekannt, obwohl dieses Problem seit Mitte der 90er Jahre erkannt ist. Ein weiteres Fallbeispiel aus Zürich trug Dr. Philipp Sahrmann vor, das wiederum belegte: Es geht nichts über die Anleitung zur guten Mundhygiene und den Goldstandard Scaling und Rootplanning.

Systematischer Behandlungsablauf

Das Fallbeispiel aus Genf von Dr. Raphael Noène betonte ebenfalls einen systematischen Behandlungsablauf. Nach Einstellung einer guten Mundhygiene wird nach 3 Monaten reevaluiert. Bei persistierenden Taschen wird ein mikrobiologischer Test durchgeführt und mit systemischer Antibiotikagabe die Therapie begleitet. Bei Sondierungstiefen über 7 mm wird offen kürettiert, darunter geschlossen behandelt. Enges Recall überwacht den Paropatienten. Prof. Andrea Mombellis Vortrag vertiefte die Antibiotikafrage weiter: Er empfiehlt zwei Antibiotika zu verabreichen, da dies effektiver ist und ein kleineres Risiko der Resistenzbildung aufweist. Anhand der weltweiten Vorkommen zeigte er auf, dass dies vor allem wegen A. a. (Aggregatibacter actinomycetemcomitans) wichtig ist, alle anderen durch Tests erfassten Keime sind praktisch „weltweit in aller Munde“. Weiter rät er zu hohen Dosen in eher kürzerem Zeitraum und antimikrobieller Mundspüllösung zur weiteren Unterstützung der Therapie.

Reevaluation nicht zu früh vornehmen

Der Basler Fall, detailliert von Dr. Fabiola Rodriguez vorgestellt, zeigte auf, wie wichtig der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten ist, bzw. dass Risikofaktoren eliminiert werden sollten. Rauchen, Diabetes, etc. müssen in der systemischen Phase erkannt werden. Nach erfolgter Therapie ist es oft schwierig, die Ansprüche der Patienten betreffend festsitzender Versorgung zu befriedigen.

Dr. Clemens Walter UZM Basel schloss an diesen Fall mit seinem Vortrag zum Stellenwert resektiver Methoden in der Parodontologie an: Dazu holt er zu einem Rückblick auf über 1‘000 Jahre Parodontologie aus, die mit Albucasis dem andalusisch-arabischen Arzt und Wissenschaftler begründet gilt. Verschiedene Vorstellungen über das Krankheitsbild der Parodontitis, wie u. a., dass Knochennekrosen entfernt werden müssen, führten zum heutigen Grundverständnis der Krankheit. Dies geht auf Loe (1965) zurück: Plaque führt zu Gingivitis, die nach Plaque-Entfernung regeneriert oder bei längerem Bestehen zur Parodontitis führt. Lindhe konnte durch Studien belegen, dass sowohl Scaling und Rootplanning, als auch Ultraschallbehandlung effektiv sind. Wichtig aber: die Regeneration von tiefen Taschen dauert länger als 3 Monate und wird so bei einer Reevaluation  nach 3 Monaten fälschlicherweise als Rezidiv gesehen. Die Reevaluation von Taschen über 6 mm sollte also erst später erfolgen, bevor chirurgisch vorgegangen wird. Anhand seines Falles stellte auch er die Wichtigkeit der Mundhygiene in den Vordergrund, die, ergänzt mit lokalen Eingriffen zu einem stabilen Ergebnis führt unter Ausschluss bekannter Risikofaktoren und striktem Einhalten des Recalls, bzw. erneuter Therapie ab Sondierungstiefen grösser als 6 mm.

Zum seinem eigentlichen Thema stellte Dr. Walter fest, dass eine resektive Parodontalchirurgie immer mit dem Verlust von angewachsener Gingiva einhergeht. Dazu erwähnte er auch Tarnow`s Daten, dass eine Papille nur dort zu finden ist, wo der Abstand Kontaktpunkt vom Knochen 5mm oder weniger ist. Generell operiert er nur bei einem PI < 25% und beachtet die Blutversorgung des OP-Gebietes. Den resektiven Methoden stellte er die regenerativen Methoden gegenüber und erläuterte, wann er was favorisiert. Generell kann festgehalten werden, dass der Zahnerhalt im Vordergrund steht.

Verwendung von Schmelzmatrixproteinen

Der aus Bern präsentierte Patientenfall und der Vortrag von Prof. Anton Sculean, ZMK Bern, zeigen sich im Einklang mit den Vorrednern. Der Referent stellte Studien vor, die bei der Verwendung von Schmelzmatrixproteinen eine bessere Neubildung von Geweben und weniger Rezidivgefahr belegen als bei der geführten Geweberegeneration. Sein operatives Vorgehen scheint von Prof. Zucchelli geprägt und die präsentierten Patientenfälle sprechen sehr dafür.

Reduzierte Parodontien stabil halten

Wer nach diesen Vorträgen noch nicht überzeugter „Zahnerhalter“ war, den sollten die Präsentationen scheinbar aussichtsloser Fälle von Parodontitiden von Dr. François Jaccard, Genf dazu bekehren: Über 30 Jahre konnte er die Patienten begleiten und bebilderte nahezu aussichtslose Fälle und deren Werdegang aus den 1970er Jahren bis heute. Damit konnte er eindrucksvoll belegen, dass (getreu der Zusammenfassung seines Vortrages) nach Einstellung einer guten Mundhygiene stets gezielter Erhalt der Zähne Gebot sein sollte. Damit können selbst stark reduzierte Parodontien lange Zeit stabil erhalten werden und auch er „kochte lediglich mit dem altbekannten Wasser in konsequenter Anwendung“.

Bei Zahnverlust übergreifend therapieren

Prof. Christoph Hämmerle, ZZM Zürich, oblag es letztlich, sich mit dem Titel „Zahnverlust – das Dilemma in der Parodontologie“ zu befassen. Nach einer ironischen Einleitung, ob denn das wirklich unser Dilemma sei, oder nicht gut, wenn man ein Implantat setzen kann, formulierte er sein Thema um. Für ihn stellt sich dann eher die „Alles-oder-nichts-Frage“. Wenn das patienteneigene Parodont nicht mehr benutzbar ist, sei es durch lokalisierte, generelle, biomechanische oder andere Gründe, so ist das Grundproblem des Zahnverlustes nicht aus dem Mund entfernt, sondern lediglich der Zahn, der darunter gelitten hat. Und so ist auch die Haltbarkeit von zukünftigen Implantaten eingeschränkt, was durch zahlreiche Studien seit 1997 belegt wurde. Dies muss dem Zahnarzt zu denken geben, denn der Druck durch die Erwartung des Patienten, wieder festsitzend versorgt zu werden, drängt ihn zusätzlich in eine gefährliche Richtung. Der Zahnarzt muss bei Zahnverlust übergreifend therapieren, das heisst (allgemeinmedizinisch und erst dann) aus parodontalen, wie auch prothetischen Aspekten. So kommt auch Prof. Hämmerle zu dem Schluss, dass dem Erhalt von Zähnen stets oberste Priorität eingeräumt werden sollte.

Dem Patienten die Angst nehmen

Den erfrischend anderen Vortrag zu guter Letzt, hielt Dr.  Christoph Ramseier ZMK Bern: Er bereitete die Parotherapie aus Sicht der Patienten (lat.: Mensch, der leidet) vor. Damit steht natürlich die Angst im Vordergrund. Als erwiesen gilt, dass der Patient, der Angst hat, meistens eine schlechte Mundhygiene und wenig Compliance zeigt. Dies sollte vom Zahnarzt durch „Selbstwirksamkeit“ geändert werden. Das heisst, der Behandler muss das Eis brechen und zum Patienten ein persönliches Verhältnis aufbauen. So lernt der Patient, dass er es aus eigener Kraft schaffen kann, die Verhältnisse in seiner Mundhöhle zu ändern. Wie es schon Paracelsus sagte, liegt die Kraft des Arztes im Patienten. Wenn der Patient sich respektiert und als ernst genommenes Individuum fühlt, vertraut er seinem Arzt und auf dessen Behandlung.

Ein Bekenntnis für die natürliche Bezahnung

Die Jahrestagung SSP 2011 lässt sich als eine Ode an die natürliche Bezahnung sehen, auch wenn diese nicht mehr schön und jugendlich daherkommt. Jederzeit kann die Verschlechterung der Verhältnisse aufgehalten werden. Wie es geht ist schon länger bekannt. Die 42. Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Parodontologie findet vom 6. bis 8. September 2012 in Bern statt.





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