Branchenmeldungen 30.01.2023
Update zur Chirurgie und Implantologie im Praxisalltag
Im Institut für Anatomie der Universität Dresden fand im November 2022 zum 14. Mal der Anatomiekurs im Rahmen des Curriculums Implantologie der Deutschen Gesellschaft für Zahnärztliche Implantologie e.V. (DGZI) statt. Unter der Leitung von Dr. rer. medic Ute Nimtschke (TU Dresden), Prof. Dr. Werner Götz (Universität Bonn) sowie der Oralchirurgin Dr. Martina Vollmer und den Implantologen Dr. Navid Salehi (Young Generation Vorstand, ehemals selbst Curriculum Absolvent), Dr. Rainer Valentin und Dr. Rolf Vollmer wurden den Teilnehmern neue Techniken vermittelt sowie bereits vorhandenes Wissen aufgefrischt und trainiert.
Zu den konkreten Lernzielen gehört die Vermittlung von theoretischen und praktischen Grundkenntnissen der allgemeinen, speziellen und implantatrelevanten chirurgischen Anatomie ebenso wie die topografische Anatomie orofazialer Strukturen und Kenntnisse anatomischer Fallstricke. Für das Training von relevanten, allgemeinen und speziellen chirurgischen sowie implantologischen Techniken durch (Naht-) Übungen am Humanpräparat diente der praktische Teil des Curriculums.
Theoretische Einführung
Zu Beginn führte Dr. Nimtschke in die allgemeine chirurgische Anatomie ein. Folglich wurden alle für den implantierenden Zahnarzt relevanten Strukturen des Schädelbereiches und der Grenzgebiete besprochen. Die Nervversorgung sowie die Gefäßversorgung im Bereich der Kiefer und der Kieferhöhlen wurden explizit erläutert ebenso wie die angrenzenden Muskeln, deren Ansätze und Verläufe von relevanten Strukturen. Die betreuende Firma Camlog stellte im Zuge dessen das zur Anwendung kommende Implantatsystem, vom Bohrprotokoll bis zu den entsprechenden Indikationen, detailliert vor.
Prof. Dr. Götz (Oralbiologische Abteilung der Universität Bonn) fokussierte sich auf den Ober- und Unterkiefer und erläuterte die sogenannten anatomischen Fallstricke. Dabei handelt es sich um anatomische Abweichungen, anatomische Varianten und Problemzonen. Konkret sprach er über Altersveränderungen, pathologische Veränderungen und Fehlbildungen sowie fehlerhafte Platzierung von Implantaten. Zudem wurde der Verlauf des Canalis mandibulae und seine Bedeutung für den Implantologen besprochen. Eindrucksvolle Bilder von Knochenquerschnitten ergänzten die Erläuterungen zusätzlich. So wunderte sich mancher Teilnehmer, dass in einem „so spongiösen Knochen“ ein Implantat überhaupt halten kann und eine Primärstabilität erreicht wird. Die Darstellung des Nervs im Röntgenbild mit anatomischen Besonderheiten wie z. B. dessen Verdopplung wurde anschaulich erläutert. Ein besonderes Augenmerk fand auch die Perforation des Unterkiefers nach lingual mit Verletzung der Arteria lingualis, die im ungünstigsten Fall bis zum Tod führen kann. Entsprechend der Anatomie und des Gefäßnervenverlaufs solle auch die Schnittführung adäquat erfolgen und möglichst atraumatisch und verletzungsarm gearbeitet werden. Ebenfalls wurde nochmals die Anatomie des Sinus maxillaris ausführlich besprochen.
Im Anschluss erläuterte Dr. Vollmer die Möglichkeiten zur Augmentation. Er stellte klar, dass kleine Defekte durchaus mit Knochenersatzmaterialien zu ersetzen sind, dass aber ab einer gewissen Defektgröße die autologe Transplantation nach wie vor den Goldstandard darstelle. Dies habe auch die gerade vor Kurzem stattgefundene Leitlinienkonferenz der AWMF festgestellt, in der die großen wissenschaftlichen Gesellschaften inklusive der DGZI mitarbeiten. Dr. Vollmer erläuterte, dass anhand von entsprechenden Computerprogrammen bereits im Vorfeld die Menge des Knochenbedarfs festgestellt werden könne. Dies ermögliche die Entscheidung einer intraoralen oder extraoralen Knochenentnahme, ohne das Operationsgebiet bereits im Vorfeld öffnen zu müssen. Dr. Vollmer verwies zudem auf den sich anschließenden praktischen Teil und dessen entsprechende Demonstrationen an dem Humansitus, in dem z. B. ein Hüftknochen exakt entnommen werden konnte. Im weiteren Verlauf sprach Dr. Vollmer dann über die spezielle Technik der Fixierung von Knochenblöcken. Entsprechend der Leitlinie Augmentation könnten jedoch auch andere Knochenersatzmaterialien, wie z. B. allogene und je nach Indikator auch xenogene Materialien, Anwendung finden. Ebenso stellte er die Schalentechnik nach Prof. Dr. Khoury vor. Seit einiger Zeit ist es auch möglich, diese analog mit allogenen Schalen durchzuführen, um ein zweites OP-Gebiet für den Patienten zu vermeiden.
Bohrgefühl am Phantom
Nach der theoretischen Einführung fanden sich die Teilnehmer in dem modern ausgestatteten Präpariersaal der TU Dresden ein, um bei praktischen Übungen am Phantom ein „Bohrgefühl“ für das zur Anwendung kommende Camlog Implantatsystem zu bekommen. Dr. Nimtschke und Prof. Dr. Götz konnten an sorgfältig vorbereiteten Kopfpräparaten sowie einem kompletten Leichensitus die für den Zahnarzt interessanten Strukturen, beispielsweise den Beckenkamm, die Kalotte Nervus suralis, den Kehlkopf, eine Koniotomie und die Gefäßpunktion, erläutern.
Praktische Einübung mit theoretischen Implikationen
Am zweiten Tag des Curriculums trafen sich die Teilnehmer im Präpariersaal wieder. Sowohl mithilfe der Standardttechniken als auch mit der Piezo-Technik wurden u. a. das Sinusliftverfahren, simultane Implantation sowie der indirekte Sinuslift geübt. Einen Tisch weiter wurden hingegen das Bone Splitting, Bone Condensing und die Nervdarstellung im Unterkiefer behandelt. Auch das Verfahren zur Umgehung eines Sinuslifts bzw. des Nervus mandibularis und das All-on-4 Verfahren nach Paulo Malo wurden eingeübt. In Kurzvorträgen zwischen den Übungen erklärte Dr. Vollmer zunächst chirurgische Maßnahmen wie z. B. das Step-by-step-Vorgehen von der Schnittführung über die Bohrung bis zur Insertion des Implantats. Er betonte, dass speziell die Bohrerschärfe eine große Rolle spiele, um das daraus resultierende Bohrtrauma möglichst gering zu halten. Deshalb seien scharfe Instrumente eine Conditio sine qua non. Gebrauchte Bohrer und Fräsen könnten zu einer Überhitzung des umliegenden Gewebes führen. Eine langsame Drehzahl und ein starkes Drehmoment wurden empfohlen. Auch die Bohrzeit nimmt maßgeblichen Einfluss auf die Qualität des Eingriffs. Dabei sollte auf keinen Fall zu lange ohne Vorschub gebohrt werden, da im Knochen eine Hyperämie bereits zwischen 40 und 41 Grad Celsius einträte sowie zwischen 47 und 48 Grad Celsius eine Blutstase. Grundlegend sollten Temperaturen über 47 Grad Celsius auf keinen Fall erreicht werden. Das Fazit: „To know what to do“ – zeitlich schnell, aber gezielt und sicher bohren.
Chirurgischer Rundumblick
Dr. Valentin erläuterte im Weiteren Bone Splitting in zahnlosen Kieferabschnitten. Er betonte, dass dies speziell im Oberkiefer sehr nützlich sei, um Knochen in der Breite zu gewinnen. Hiermit könne in manchen Fällen eine Blockaugmentation vermieden werden. Da es sich dabei um einen Defekt handele, der weitestgehend vom Knochen umschlossen sei, könne auch hier auf Knochenersatzmaterialien zurückgriffen werden. Die Vorteile des Bone Spreadings und Bone Splittings sah Dr. Valentin speziell darin, dass im anterioren Bereich der palatinal geschrumpfte Kiefer wieder in eine günstigere Position für ein Implantat gebracht werden kann. Ebenfalls ging Dr. Valentin auch noch mal auf die Problematik des Foramen incisivum ein und empfahl den Teilnehmern dabei, Konstruktionen zu wählen, in denen möglichst die Einser als Brückenglieder gestaltet werden, um hier eine Touchierung des Foramen incisivums bei der Implantation zu vermeiden. Eine anatomische Demonstration und ein entsprechendes Video vervollständigten die Beschreibung dieser Technik.
Ein weiterer wichtiger Punkt war die Anwendung von Osteotomen. Diese standen passgenau zum Implantatsystem der Firma Camlog zur Verfügung. Osteotome sind einerseits für die Knochenverdichtung und für einen indirekten Sinuslift, andererseits aber auch zur Knochenspreizung geeignet. Ferner standen spezielle Hohlzylinderosteotome (Helmut Zepf Medizintechnik) zur Verfügung, mit denen aus weichem Knochen entsprechende Knochenzylinder herausgestanzt und diese anschließend als autologes Material zur Augmentation genutzt werden können.
Zur Vermeidung von Komplikationen wurde jedoch empfohlen, sich bei diesen Instrumenten auf die Knochenqualitäten D3 und D4 zu beschränken, die hauptsächlich im Ober- und Unterkieferseitenbereich vorkommen. Die Knochenqualität könne im Vorfeld durch entsprechende CT-Aufnahmen und Computerprogramme festgestellt werden, sodass man sich in diesen Fällen nicht nur auf sein Gefühl verlassen müsste. Im weiteren Verlauf wurden die verschiedenen Sinuslifttechniken erklärt und untereinander unterschieden:
- die direkte Sinuslifttechnik nach Tatum
- die indirekte Technik mithilfe von Osteotomen nach Summers.
Eine Kombination der verschiedenen Techniken sei möglich. Zur Sinuslifttechnik erklärte Dr. Vollmer, dass sich im Idealfall selbst nach einer Überstopfung der Kieferhöhle mit einem geeigneten Ersatzmaterial der Knochen so weit resorbiere, bis er wieder an die Wurzeln bzw. an die Implantate reiche. Dies sei ein sicheres Zeichen für einen erfolgten knöchernen Umbau. Folglich könne davon ausgegangen werden, dass kein totes Material im Sinus enthalten sei. Im Zuge dessen kamen partikulierte Materialien (Geistlich Biomaterials) zum Einsatz. Ferner wurde erläutert, dass in speziellen Fällen auch ein krestaler Zugang, wie er früher einmal gemacht wurde, zum Sinus gewählt werden könne, da diese Technik eine zu starke Schwächung der bukkalen bzw. lateralen Seite des Sinus verhindere. Im Anschluss wurde noch kurz auf neuere Techniken, wie z. B. die Piezo Surgery, eingegangen. Im Grunde genommen können sehr viele Operationen sehr schonend mithilfe der Piezo Surgery durchgeführt werden. Vorteile sind unter anderem die Vermeidung einer Membran-Ruptur bzw. der Schädigung des Nervus alveolaris inferior. Die Teilnehmer konnten dabei den Einsatz der neusten Generation von Pezio-Geräten (mectron) testen.
Abschließend erläuterte Dr. Vollmer die verschiedensten Methoden, wie man einen Sinuslift in Ausnahmefällen auch vermeiden kann. Er stellte ausführlich das angulierte Einbringen von Implantaten in der Form von Präsinusimplantaten sowie Tuber- oder Pterygoid-Implantaten dar. Zudem wurde das All-on-4/6 Prinzip nach Paulo Malo ebenfalls diskutiert. Dr. Valentin erläuterte an einem separaten Tisch autologe Knochenentnahmen und den Transfer und die Fixation des Knochens.
Fazit
Neu im Curriculum-Programm waren Übungen zur OriginalSchalentechnik nach Prof. Khoury sowie die Anwendung von sogenannten Stell- bzw. Positionierungsschrauben zum Aufbau von Knochendefekten mit partikuliertem Knochenersatzmaterial. Ein Highlight im Anatomiekurs war das Einbringen eines Zygoma-Implantats in ein Präparat des Oberkiefers, das den Teilnehmern die Schwierigkeit dieser Operationstechnik zeigte. Diverse Nahttechniken konnten an einem zusätzlichen Tisch unter Anleitung der Oralchirurgin Dr. Martina Vollmer geübt werden. Der Kurs erfreute sich viel positiver Resonanz und wird sicherlich auch 2023 großen Anklang finden. Dann findet er am 24. und 25. November statt.
Dieser Artikel ist im IJ Implantologie Journal 1+2/2023 erschienen.