Branchenmeldungen 13.03.2023

Knochenregeneration auf nicht tierischer Basis



Knochenregeneration auf nicht tierischer Basis

Foto: © Dr. Thomas Hanser

Nachhaltig, schonend, vegan – das sind längst nicht nur die aktuellen Begriffe der Politik. Auch in der Medizin und damit Zahnmedizin nehmen sie inzwischen zentrale Rollen ein. Schonend sind bereits viele Verfahren, aber wie sieht es mit nachhaltig und vegan aus? Ist Letzteres in der Implantologie umsetzbar? Einige Knochenregenerationsmaterialien sind bereits auf nicht-tierischer Basis in der Anwendung. Welche Vorteile sie haben und wie sie sich nach der Implantation regenerieren, legt Dr. Thomas Hanser, DG PARO-Spezialist für Parodontologie® sowie Fachzahnarzt für Oralchirurgie und tätig in der Zahnklinik Schloss Schellenstein in Olsberg, im folgenden Interview dar.

Herr Dr. Hanser, welche Bedeutung haben Verfahren zur Regeneration von Hart- und Weichgewebe in der modernen Implantologie?

Zahnimplantate werden heutzutage von den meisten Zahnärzten und Patienten als erste Behandlungsoption zum Ersatz fehlender Zähne angesehen. In den letzten Jahrzehnten haben Fortschritte in der Technologie dazu geführt, dass mit Implantaten nicht nur die Kaufunktion wiederhergestellt werden kann, sondern sich auch hohe ästhetische Erwartungen vorhersagbar erfüllen lassen. Wenn Zähne aufgrund eines Traumas, einer Infektion oder einer fortgeschrittenen Parodontitis verloren gegangen sind, kann es zu erheblichen Weichgewebe- und Knochendefiziten kommen, was eine ästhetische, aber auch funktionelle Langzeitprognose von Implantaten ohne horizontalen bzw. vertikalen Gewebeaufbau erst gar nicht ermöglichen würde. Insofern sind regenerative Verfahren ein wichtiger und unverzichtbarer Bestandteil der modernen Implantologie.

Welche Augmentationstechniken und -materialien zum Ersatz von Hart- und Weichgewebe empfehlen Sie?

Eine Vielzahl von Techniken und Materialien werden in experimentellen und klinischen Studien beschrieben, um das notwendige Volumen an Knochen- und Weichgewebe um Zahnimplantate wiederherzustellen. Die in der zahnmedizinischen Literatur am häufigsten beschriebenen Methoden sind die sogenannte Guided Bone Regeneration (GBR), Onlay- bzw. Inlay-Transplantationen, Interpositionsplastiken, Ridge-Splitting-Techniken, die Distraktionsosteogenese sowie Sinusbodenelevationen. Allein diese Vielzahl an Augmentationstechniken zeigt auf, dass wir jeden Patientenfall vor Beginn der Behandlung individuell planen und operieren müssen. Zum Gewebeersatz stehen autogene, allogene, xenogene oder alloplastische Augmentationsmaterialien zur Verfügung.

Welche klinischen und biologischen Voraussetzungen müssen Augmentationsmaterialien in der regenerativen Zahnmedizin erfüllen, um Gewebevolumen langfristig um Zahnimplantate wiederherzustellen zu können?

Bei der Auswahl der Augmentationsmaterialien gilt es vor allem, deren klinische Eigenschaften und deren biologisches Potenzial zu berücksichtigen. Dazu gehören die Biokompatibilität, d. h. es sollte zu keiner Fremdkörperreaktion zwischen dem Material und dem Gewebe kommen, um eine Integration durch das Wirtsgewebe sicherzustellen. Bei Membrantechniken sind die Zellokklusionseigenschaften zu beachten, um eine Invasion von fibrösem Bindegewebe zu verhindern. Aber auch die Raumbildungsfähigkeit der Augmentationsmaterialien wie auch deren klinische Beherrschbarkeit sind bei der Auswahl miteinzubeziehen.

Wenn man diese von Ihnen genannten klinischen und biologischen Faktoren berücksichtigt, welches Augmentationsmaterial ist aus Ihrer Sicht das ideale?

Autogene Hart- und Weichgewebstransplantate sind nach wie vor der goldene Standard, denn bei der Regeneration von Gewebe geht es um weitaus mehr als nur einer Reparatio mit volumetrischem Gewebezugewinn. Ziel ist eine Restitutio ad integrum, ein Gewebe mit uneingeschränkter Immunkompetenz, sozusagen die Integrität des periimplantären Gewebes als Voraussetzung für die volumetrische, aber auch biologische Langzeitstabilität um dentale Implantate. Je größer der Anteil an Fremdmaterial im alveolären Hart- und Weichgewebe, desto anfälliger wird dieses auf externe, z. B. bakterielle Einflüsse, was die Gefahr einer Periimplantitis und damit von Implantatverlusten vervielfacht.

Für die Knochenregeneration kommen verschiedene Membranen zum Einsatz. Setzen Sie bei Ihren Behandlungen verstärkt auf resorbierbare oder nicht resorbierbare Membranen und warum?

Die gesteuerte Knochenregeneration mit Membranen ist ein häufig angewandtes Verfahren zur Regeneration von Hartgewebe. Grundsätzlich zielen Behandlungskonzepte mit Membranen darauf ab, nicht osteogene Zellpopulationen aus den umgebenden Weichteilen mechanisch von osteogenen Zellpopulationen zu trennen, um eine knöcherne Regeneration durch die Migration pluripotenter und osteogener Zellen zu ermöglichen. Damit die Barrierefunktion und damit die Effektivität im Sinne des regenerativen Ergebnisses erfüllt wird, muss eine Membran mehrere klinische und biologische Bedingungen erfüllen. Dazu gehören die Biokompatibilität und Gewebeadhäsion, die Exklusion von Epithel und Bindegewebe sowie die Stabilität und Raumerhaltung. Aber auch Kriterien wie die klinische Handhabung spielen eine wichtige Rolle. Das führte zur Entwicklung resorbierbarer Membranen, deren Ursprung in der Regel tierisches Kollagen ist. Diese Kollagenmembranen vom Tier unterliegen einem enzymatischen Abbau, wenn sie in den lebenden Körper eingebracht werden. Als Alternative zum Tierprodukt nutzen wir im Rahmen von Membrantechniken eine nichtresorbierbare Titanmembran, da diese sehr biokompatibel ist und keine Fremdkörperreaktionen auslöst. Neben einer optimalen Transplantatstabilisierung wird damit vor allem die knöcherne Regeneration maximal gefördert.

Für die GBR/GTR-Verfahren kommen hauptsächlich Kollagenmembranen, basierend auf Kollagen tierischen Ursprungs, zum Einsatz. Inzwischen setzt sich jedoch die Verwendung nicht tierischer Materialien durch. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Mittlerweile gibt es über alle Generationen hinweg einen wachsenden Trend hin zu einer veganen oder vegetarischen Ernährungsweise. Aber auch durch kulturelle und glaubensbezogene Gründe ist es unabdingbar, in der dentalen Implantologie Behandlungsoptionen anzubieten, die eine für den Patienten konfliktfreie Durchführung von Eingriffen ohne Produkte tierischen Ursprungs ermöglichen.

In diesem Zusammenhang wurde von Ihnen der Begriff „Vegane Implantologie“ geprägt. Was ist konkret darunter zu verstehen?

Unter der „Veganen Implantologie“ versteht man letztendlich den Verzicht auf alle Allotransplantate oder Xenotransplantate z. B. bovinen, porcinen oder equinen Ursprungs im Rahmen regenerativer Maßnahmen in der zahnärztlichen Implantologie. Dieses betrifft den Verzicht auf tierische Kollagenmembranen für GTR/GBR-Verfahren und Kollagenmatrizes für die Weichgewebeaugmentation sowie den Verzicht auf allogene und tierische Knochenersatzmaterialien.

Welche Augmentationsmaterialien verwenden Sie im Praxisalltag hauptsächlich?

Bei Weichgewebedefiziten und Kieferkammaugmentation verwenden wir autogene Bindegewebe- oder Knochentransplantate. Diese lassen sich minimalinvasiv intraoral gewinnen und ermöglichen aufgrund ihres körpereigenen biologischen Potenzials und der ausbleibenden Fremdkörperreaktion eine sehr vorhersagbare sowie volumetrisch stabile alveoläre Geweberegeneration, um ein natürliches und ästhetisch optimales Ergebnis zu realisieren. Im Rahmen von externen Sinusbodenelevationen kommt bei uns ein veganes Biomaterial zum Einsatz.

Welche veganen Materialien verwenden Sie in Ihrem Praxisalltag und welche Erfahrungen haben Sie bisher mit ihnen gemacht?

Wir verwenden biologische, resorbierbare Kalziumphosphate, die aus marinen Pflanzen gewonnen werden. Diese phykogenen Augmentate sind in ihrer chemischen Zusammensetzung und ihrem morphologischen Aufbau dem anorganischen Anteil des menschlichen Knochens sehr ähnlich.

Welche Unterschiede weisen diese pflanzlichen Biomaterialien im Gegensatz zu den klassischen Knochenersatzmaterialien tierischen Ursprungs auf?

Pflanzliche Biomaterialien finden bei den Patienten eine weitaus höhere Akzeptanz als Medizinprodukte, die vom Tier stammen. Zudem verbleiben bei Biomaterialien auf Pflanzenbasis garantiert keine organischen Substanzen wie allergisierende Proteine, die eine Fremdkörperreaktion auslösen könnten. Durch die interkonnektierende Mikrostruktur bilden resorbierbare pflanzliche Biomaterialien ein ideales osteokonduktives Gerüst, das dann aber sukzessive vom Körper abgebaut und durch neu gebildeten natürlichen Knochen ersetzt wird. Damit werden diese pflanzlichen Biomaterialien dem Wunsch nach Biokompatibilität, reizloser Integration sowie vollständiger Resorption und Substitution durch körpereigenes Knochengewebe gerecht. Unsere Behandlungsphilosophie basiert ganz entscheidend darauf, dass nach der Augmentation keine Fremdkörperreaktionen erfolgen und das Implantat langfristig von körpereigenem, vitalem und immunkompetentem Gewebe umgeben und geschützt wird.

Wird sich diese Entwicklung zur Nachhaltigkeit auch in anderen Bereichen der Implantologie, z. B. bei Implantatmaterialien, fortsetzen?

Implantate müssen neben der Biokompatibilität auch mechanische Voraussetzungen erfüllen. Sicherlich werden zukünftig auch in diesem Bereich neue Materialien, neben Titan und Keramik, ihren Weg in die Implantologie finden. In der regenerativen Zahnmedizin ist es aus unserer Sicht in Zeiten gut informierter und kritischer Patienten aber unerlässlich, Augmentationsmaterialien nicht tierischen Ursprungs anzubieten. Damit verbunden ist generell ein verantwortungsvoller Umgang und Einsatz von Medizinprodukten, um die medizinisch bestmögliche Therapie für unsere Patienten zu wählen.

Herr Dr. Hanser, vielen Dank für das Gespräch.

Eine Literaturliste steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung.

Dieser Beitrag ist im IJ Implantologie Journal erschienen.

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