Branchenmeldungen 23.02.2016

Zahnbehandlungen für Flüchtlinge: „Spagat zwischen Ethik und Monetik“



Zahnbehandlungen für Flüchtlinge: „Spagat zwischen Ethik und Monetik“

Foto: © OEMUS MEDIA AG

Mit der stetig steigenden Zahl an Flüchtlingen, die in ganz Europa Aufnahme ersuchen, ergeben sich für fast alle Bereiche des täglichen Lebens, einschließlich der Zahnmedizin, aktuelle Fragen und Pro­blemstellungen. Zahnärztinnen und Zahnärzte in ganz Deutschland, die Asylsuchende in ihren Praxen behandeln möchten, sehen sich mit ganz konkreten Herausforderungen konfrontiert. Dabei stehen, je nach Bundesland, verschiedene Vorgaben und Hilfestellungen zur Verfügung.

Die ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis sprach mit Prof. Dr. Dr. Mark Farmand (Nürnberg) über seine bisherigen Erfahrungen bei der zahnärztlichen Betreuung von Migranten und über klare gesetzliche Vorgaben in Bezug auf mögliche medizinische Leistungen und deren Finanzierung.

Die derzeitigen Regelungen zur medizinischen und zahnmedizinischen Versorgung von Flüchtlingen sind bundesweit sehr heterogen. Dies verunsichert Flüchtlinge, zuständige Ämter und Zahnärzte gleichermaßen. Welche Leistungen werden bei akuten Zahnerkrankungen und Schmerzzuständen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) finanziert? Und gibt es, ähnlich der bayerischen Positivliste, überregionale, einheitliche Vorgaben zu Leistungen und deren Finanzierung?

Für die medizinische Versorgung der Asylbewerber gilt während der ersten 15 Monate ihres Aufenthalts das Asylbewerberleistungsgesetz. Ein Leistungsanspruch gemäß § 4 besteht im Falle von „akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen“. Es können aber auch Behandlungen durchgeführt werden, die zur Besserung oder Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen dienen. Welche Behandlungen das konkret sind, ist aber im Gesetz nicht geregelt. Deshalb herrscht nach wie vor bundesweit Unklarheit über Art und Umfang der zahnmedizinischen Leistungen für diese Patientengruppe. Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung bemüht sich zwar um einheitliche Vorgaben, das ist aber kompliziert, weil die Zuständigkeit bei den Ländern liegt. Sie müssen die Leistungen bezahlen und entscheiden deshalb eigenverantwortlich, was zu welchen Konditionen abgerechnet werden kann.

Der Anspruch auf medizinische Versorgung von Flüchtlingen ist auf Notfälle beschränkt. Wie ist mit  dieser Vorgabe aus Ihrer und damit der Behandlersicht umzugehen?

Das Gesetz ist ein Spagat zwischen Ethik und Monetik. Einerseits soll Menschen in Not geholfen werden, andererseits will der Gesetzgeber Anreize für eine Zuwanderung aus wirtschaftlichen Gründen vermeiden. Im zahnärztlichen Bereich kann aber durchaus mehr erbracht werden als eine reine Schmerztherapie. Im Gesetz heißt es nämlich auch, dass Krankheitsfolgen verhindert werden sollen. Hat ein Asylbewerber Karies, kann der Zahnarzt sie behandeln, um ein Fortschreiten der Erkrankung zu verhindern, auch wenn der Patient noch keine Schmerzen hat. Das sieht auch die bayerische Positivliste ausdrücklich vor. Nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschland gilt dann für Asylbewerber der Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Diese Zeit kann man meines Erachtens mit dem jetzigen Behandlungsspek­trum überbrücken.
 
Viele Asylsuchende, die in Zahnarztpraxen kommen, sprechen kein Deutsch. Für den Zahnarzt ist es jedoch wichtig, zu wissen, welche Probleme und Vorerkrankungen der Patient hat. Inwieweit helfen hier Patientenerhebungsbögen in verschiedenen Sprachen, Piktogramme der BZÄK beziehungsweise Dolmetscher-Hotlines, wie sie der Freie Verband Deutscher Zahnärzte (FVDZ) seit Ende 2015 als Pilotprojekt zur Verfügung stellt?

Jede Verständigungshilfe ist hilfreich, denn auch bei Asylbewerbern gelten die Aufklärungs- und Dokumentationspflichten. Die KZVB hat deshalb schon vor einem halben Jahr Anamnesebögen in den häufigsten der von Asylbewerbern gesprochenen Sprachen erstellt, die auch aus anderen Bundesländern nachgefragt werden. Man findet sie im Internet auf kzvb.de/asyl. Rein rechtlich hätten Asylbewerber auch einen Anspruch auf einen Dolmetscher, aber davon gibt es viel zu wenige. Ich persönlich habe gute Erfahrungen gemacht mit Begleitpersonen, die Englisch oder Deutsch sprechen. Man muss sich aber vergewissern, dass auch richtig übersetzt wird. Noch wichtiger wäre aus meiner Sicht aber ein Gesundheitspass, in dem mögliche Vorerkrankungen eingetragen sind. Wir haben ja auch eine Sorgfaltspflicht gegenüber unseren Mit­arbeitern.

Die Deutsche Ärzteversicherung garantiert Behandlern, die Flüchtlinge ambulant betreuen, uneingeschränkten Versicherungsschutz in der Berufshaftpflicht-Versicherung. Wie hoch schätzen Sie grundsätzlich Behandlungsrisiken durch mögliche Verständigungsprobleme ein?

Ich halte das Risiko eines Behandlungsfehlers bei Asylbewerbern nicht für höher als bei anderen Patienten. Das liegt auch am reduzierten Leistungskatalog. Extraktionen und Füllungen sind nun einmal weniger komplex als Teleskopkronen oder Implantate. Hinzu kommt, dass die allermeisten Asylbewerber unendlich dankbar sind, wenn man sie behandelt und sie von oft jahrelangen Schmerzen befreit sind. Das ist ja auch für uns Zahnärzte ein schönes Gefühl, wenn wir Menschen helfen können. Die Behandlung wird natürlich mit der gleichen Sorgfalt wie bei allen anderen Patienten durchgeführt.

Auf dem 56. Bayerischen Zahnärztetag 2015 sind Sie im Besonderen auf die zahnärztliche Behandlung von minderjährigen Asylbewerbern eingegangen. Worin liegt Ihrer Meinung nach die Problematik dieser Patientengruppe?

Mit der steigenden Zahl der Asylbewerber kommt eine neue Gruppe von Minderjährigen ins Land, deren Eltern bisher natürlich ganz andere Sorgen gehabt haben, als sich um die Zahnpflege zu kümmern. Ganze Familien haben oftmals ihr letztes Geld zusammengelegt, damit ihre Kinder eine Zukunft in Frieden und Freiheit haben. Dementsprechend groß kann das Ausmaß der Erkrankungen im Zahn-, Mund- und Kieferbereich bei asylsuchenden Kindern und Jugendlichen sein. Ausgewählte Fälle wie zum Beispiel Karies der gesamten Milchzähne, ohne eine Möglichkeit des Erhalts eines Zahnes, Verlust von wichtigen Stützpfeilern für das Gesichtswachstum, dramatische Infektionen der Gesichtsweichteile, ausgelöst von zerstörten Zähnen und Anomalien wie Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten, und extreme Zustände nach vorangegangenen Operationen fordern ein besonderes Know-how des Behandlers und machen eine umfassende Behandlung, über eine reine Notfallversorgung hinaus, notwendig. Besteht darüber hinaus Angst und Traumatisierung bei den minderjährigen Patienten, muss die Behandlung zum Teil in Sedierung oder sogar in Allgemeinnarkose durchgeführt werden. Dies wiederum kann eine stationäre Behandlung nach sich ziehen. Die zahnmedizinischen Probleme können also – das sei hier nur angesprochen – wirklich vielfältig sein und brauchen daher entsprechende Mittel und Handlungsspielräume.

Ein weiterer wichtiger Aspekt bei der Betrachtung dieser Patientengruppe ist die rechtliche Lage. Reisen minderjährige Kinder und Jugendliche unbegleitet in Deutschland ein, brauchen sie nach deutschem Recht einen Vormund, der rechtliche Entscheidungen für sie trifft. Aufgrund der großen Zahl der Zuwanderer sind viele Jugendämter und Gerichte damit jedoch schlichtweg überfordert. Hier müssen wir uns unbürokratische Lösungen einfallen lassen, um bei Bedarf schnell eine Einwilligung zu einer notwendigen zahnmedizinischen Behandlung zu erhalten.

Welche ganz persönlichen Erkenntnisse und Erfahrungen bei der zahnärztlichen Betreuung von Migranten haben Sie über die vergangenen Wochen und Monate sammeln können?

Wie bereits angesprochen, halte ich persönlich die Behandlung von Flüchtlingen für ein Gebot der Menschlichkeit. Diese Patienten geben dem Behandler auch sehr viel zurück. Auch zahnmedizinisch können wir dazulernen. Aufgrund der großen Erfolge bei Prävention und Prophylaxe kommen bestimmte Erkrankungen bei uns ja so gut wie nicht mehr vor.

Ich danke allen Kollegen, die sich dieser Herausforderung stellen. Der KZVB danke ich, dass sie die Kollegen frühzeitig darüber informiert hat, welche Leistungen sie erbringen kön­nen und wie sie abzurechnen sind. Die Positivliste ist eine enorme Vereinfachung. Natürlich gibt es auch kulturelle Unterschiede zwischen Deutschland und den Herkunftsländern der Flüchtlinge. Sei es bei der Rolle der Frau in der Gesellschaft oder bei der Termintreue. Aber ich bin mir sicher, dass die meisten Flüchtlinge sich schnell an unsere Gepflogenheit anpassen werden und so aus der Zusammenarbeit zwischen Behandler und Patient die notwendige und bestmögliche Behandlung erfolgen kann.

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