Branchenmeldungen 02.10.2024

ZWP meets Dentista: "Ich weiß nicht, was Frauen vom Gründen abhält"



ZWP meets Dentista: "Ich weiß nicht, was Frauen vom Gründen abhält"

Foto: Dr. Kerstin Finger; JerinChowdhury – stock.adobe.com

Dr. Kerstin Finger ist Zahnärztin in Templin in der Uckermark. Jahrzehntelang hat sie sich in der Berufspolitik, unter anderem als stellvertretende Vorsitzende des Dentista e.V. – Verband der ZahnÄrztinnen und als mobile Zahnärztin in der aufsuchenden Betreuung von älteren Patienten, engagiert. Und auch ohne Amt bringt sich Kerstin Finger weiterhin bei Dentista ein.

Frau Dr. Finger, warum braucht es 2024 ein ausgewiesenes Netzwerk für Zahnärztinnen und worin liegt die Hauptauf gabe eines solchen Netzwerkes?

Netzwerke braucht es immer, nicht nur 2024. Der zahnärztliche Heilberuf ist ein Paradebeispiel für die neurowissenschaftliche Erkenntnis, dass jeder Mensch, ob Kind, Erwachsener oder Senior, in seinem Leben zwei zentrale Bedürfnisse hat. Immer geht es um die Balance zwischen Autonomie und Verbundenheit. In jeder Lebensphase will man autonom wachsen dürfen und gleichzeitig die Verbindung zu anderen Menschen nicht verlieren. Heruntergebrochen auf unsere Tätigkeit heißt das, ob junge oder erfahrene Kollegin, wir wollen uns fachlich und persönlich entwickeln und ausleben, uns gleichzeitig mit Mitstreiterinnen austauschen, gegenseitig fördern und bestärken. Das braucht Räume, die im Dentista-Netzwerk mit dem spezifisch weiblichen Blick und Anliegen gestaltet werden wollen.

Wie gestaltet sich Ihre Zusammenarbeit mit Dentista? In welcher Weise bringen Sie sich ein?

Einige Jahre war ich Vizepräsidentin von Dentista, habe in dieser Funktion die satzungsgemäßen Aufgaben erfüllt, vor allem jedoch an der konzeptionellen Ausrichtung des Verbandes mitgearbeitet. Der Berufsstand hat in den letzten Jahren einen „Gendershift“ erfahren. Ich musste lernen, dass dies nicht automatisch bedeutete, was mir selbstverständlich erschien. Ich wurde in der früheren DDR sozialisiert und habe meine ersten Berufsjahre in einer Poliklinik verbracht. Ich kannte die Situation, dass im Beruf überwiegend Frauen Vollzeit tätig waren. Das auf die heutige Zeit zu übertragen, entpuppte sich bei genauerem Hinschauen als Irrtum. Die Bedingungen haben sich verändert. Nicht jede junge Absolventin hatte für ihre Berufsausübung die gleichen Vorstellungen, wie ich sie für erstrebenswert halte. Manch eine fühlte sich in der früheren Kollegendomäne in fachlicher Positionierung oder Praxisführung verunsichert. Heute sehe ich meine Rolle als Ermutigerin zu einer Entscheidung für eine selbstständige, freiberufliche Tätigkeit.

Teilzeit ist das neue Vollzeit: Welche Spielräume in der Arbeitszeitgestaltung haben Zahnärztinnen in der Niederlassung? Und warum führen diese Spielräume nicht dazu, dass mehr Frauen gründen?

Ich weiß nicht, was Frauen vom Gründen abhält. Ich kann mir Einiges vorstellen, bewege mich jedoch im Bereich der Spekulation. Geht es um die reine Arbeitszeitgestaltung ist man in der Niederlassung deutlich beweglicher. Auch eine Praxisführung mit Kinderwunsch lässt sich heute besser gestalten als noch vor ein paar Jahren. In der Niederlassung geht man nicht in ein Beschäftigungsverbot, welches die fachliche Entwicklung unnötig unterbricht, es gibt ein viel größeres Angebot an möglichen Praxisvertretungen für die Zeit im Mutterschutz. Oder man gründet gleich mit mehreren Kolleginnen. Die Anfangsinvestitionen müssen nicht exorbitant hoch sein, es werden etliche Praxen günstig abgegeben. Ja, der bürokratische Aufwand ist gewachsen. Dem steht jedoch die Therapie- und Gestaltungsfreiheit in der eigenen Praxis gegenüber. Ich beobachte eine gewisse Scheu zur Übernahme von Verantwortung und ich bedauer, dass die in unserer Berufsordnung verankerte Gemeinwohlverpflichtung häufig nicht zu der Erkenntnis führt, dass eine in der Regel mit Steuermitteln finanzierte (Voll-)Ausbildung am Ende nicht mit einer Teilzeittätigkeit für die Gesellschaft abgegolten ist.

Sie wurden 2022 mit dem Bundesverdienstkreuz für Ihr Engagement in der aufsuchenden Betreuung von älteren Patienten ausgezeichnet – woher rührt Ihr Blickwinkel gerade auf diese Patientengruppe?

Ich bin seit 40 Jahren Zahnärztin, seit 1990 in eigener Niederlassung, die als allgemeinzahnärztliche Familienpraxis konzipiert war. In dieser Zeit bin ich nicht nur mit meinen Patienten älter geworden, sondern habe mich immer auch für deren gesamtgesundheitliche und persönliche Belange interessiert. Ich habe viel erfahren und mich von der Not Einzelner anrufen lassen. Es entspricht meiner ärztlichen Grundhaltung im Sinne von Prof. Klaus Dörner (Der gute Arzt – Lehrbuch der ärztlichen Grundhaltung) vom Schwächsten aus zu denken und auch für diesen Personenkreis nach Lösungen zu suchen.

Hier geht es zu unserem #reingehört-Podcast mit Dr. Finger auf ZWP online. Im Podcast sprechen wir mit der Templiner Zahnärztin zu ihrer Nachwende-Biografie, ihrem Einsatz für Frauen in der Zahnmedizin und ihrem Engagement in der Seniorenzahnmedizin.

Dieser Artikel ist unter dem Titel „Ich weiß nicht, was Frauen vom Gründen abhält. Ich kann mir Einiges vorstellen …“ in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.

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