Wissenschaft und Forschung 12.02.2013
Rauchen beeinflusst allergierelevante Stammzellen
Umweltschadstoffe, z.B. Rauchen, sind schädlich für den
menschlichen Organismus, insbesondere im Hinblick der
Allergieentstehung. Das ist bekannt. Ob und inwieweit Umweltschadstoffe
auch allergierelevante Stammzellen beeinflussen, wurde wissenschaftlich
bislang nicht untersucht. Jetzt hat ein Team des Helmholtz-Zentrums für
Umweltforschung erstmals den Nachweis erbracht: Rauchen beeinflusst die
Entwicklung von peripheren allergierelevanten Stammzellen im Blut. Um
dieses Forschungsergebnis vorzulegen, haben Dr. Irina Lehmann und Dr.
Kristin Weiße einen neuen wissenschaftlichen Weg gewählt: Die
Kombination von Expositionsanalytik und Stammzellforschung.
Stammzellen sind nicht spezialisierte Zellen, die sich unbegrenzt
vermehren und in verschiedene Zelltypen entwickeln können. Aus ihnen
differenzieren sich die verschiedenen Zell- und Gewebetypen des
menschlichen Organismus, u.a. das Allergiegeschehen fördernde
eosinophile Granulocyten. Als Bindeglied zwischen unspezialisierten
Stammzellen und spezialisierten Gewebe- oder Organzellen fungieren
Vorläuferzellen, z.B. eosinophie/basophile Vorläuferzellen, die im
Knochenmark heranreifen und dann in die Blutbahn, die sogenannte
Peripherie, ausgeschwemmt werden. Ob und wieweit Umweltschadstoffe
diesen Reife– und Entsendeprozess beeinflussen, wurde bislang nicht
untersucht.
An diesem Punkt setzte das UFZ-Team von Dr. Irina
Lehmann und Dr. Kristin Weiße an. Aus mehreren Studien waren zwei
Sachverhalte bereits bekannt: Zum einen, dass sich im Blut von
Allergikern – gleich ob Kinder oder Erwachsene – erhöhte Zahlen an
eosinophilen/basophilen Vorläuferzellen nachweisen lassen. Zum anderen,
dass ein Auftreten von jenen peripheren Vorläuferzellen im
Nabelschnurblut auf ein erhöhtes späteres Allergierisiko hindeutet. Die
Hypothese, die Dr. Kristin Weiße und Dr. Irina Lehmann auf dieser Basis
entwickelten, verband erstmals diese Erkenntnisse aus der
Stammzellforschung mit den Ergebnissen aus der langjährigen
Expositionsforschung des UFZ. „Wir wollten den Zusammenhang klären
zwischen Umgebungseinflüssen sowie der Reifung und Differenzierung der
Vorläuferzellen einerseits und dessen Beitrag zum Allergiegeschehen
andererseits. Konkret wollten wir wissen, ob das Auftreten von
allergierelevanten Vorläuferzellen im Blut von Kleinkindern durch
Umwelteinflüsse verändert werden kann“, skizzieren die
Wissenschaftlerinnen den Ansatz.
Das Ergebnis der Studie,
basierend auf Daten von 60 Kindern im Alter von einem Jahr, wurde
kürzlich in der britischen Fachzeitschrift „Clinical & Experimental
Allergy“ publiziert: Es wurde beobachtet, dass Kinder mit
Hauterkrankungen wie atopischer Dermatitis oder Milchschorf erhöhte
Mengen an eosinophilen Vorläuferzellen in ihrem Blut haben. In diesem
Zusammenhang wurde nun erstmals der Nachweis erbracht, dass Kinder die
bereits erkrankt sind, besonders sensibel auf Umweltexpositionen
reagieren: Nachwuchs aus Familien mit hoher Belastung an flüchtigen
organischen Verbindungen in der Wohnung (VOC) zeigten deutlich mehr der
allergierelevanten eosinophilen/basophilen Vorläuferzellen. „Dass VOCs,
die in hohem Maße aus Zigarettenrauch freigesetzt werden, den stärksten
Effekt auf die Reifung von Stammzellen erbringen, war nicht völlig
unerwartet“, erläutert Dr. Irina Lehmann. „Ebenso wichtig ist jedoch“,
ergänzt Dr. Kristin Weiße, „dass wir zeigen können, dass nur bei den
Kindern, die bereits eine Hauterkrankung bekommen haben, eine durch
Schadstoffe veränderte Anzahl an Stammzellen zu beobachten ist.“ Daher
wird geschlussfolgert: Es besteht eine Verbindung zwischen genetischer
Veranlagung für eine Erkrankung und Umwelteinflüssen – es gibt Faktoren
in Umwelt und Lebensstil, die darüber entscheiden, ob eine genetische
Anlage zur Ausprägung gelangt oder nicht.
Hinter dieser Erkenntnis steckt ein hoher logistischer Aufwand: Da ist
zum einen die Langzeitstudie „LiNA – Lebensstil und Umweltfaktoren und
deren Einfluss auf das Neugeborenen-Allergierisiko“, die gemeinsam vom
Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung und vom Städtischen Klinikum St.
Georg in Leipzig realisiert wird. 622 Mütter mit ihren insgesamt
geborenen 629 Kindern konnten zwischen 2006 und 2008 für die Studie
gewonnen werden. Um mit LiNA auch Umwelteinflüsse aus der
vorgeburtlichen Phase erfassen zu können, wurden die Mütter - im
Unterschied zu früheren vergleichbaren Neugeborenenstudien – bereits
während der Schwangerschaft und die Kinder vom Zeitpunkt der Geburt an
in die Untersuchungskohorte aufgenommen. Zum anderen galt es, die für
die Stammzellanalysen notwendige Methode im Labor des kanadischen
Kooperationspartners, Prof. Judah Denburg von der McMaster University in
Hamilton, zu erlernen und anschließend nach Deutschland zu
transferieren. Sechs Monate arbeitete Dr. Kristin Weiße in Kanada in der
Arbeitsgruppe von Prof. Denburg, um sich das entsprechende Know-how
anzueignen und von den Erfahrungen der kanadischen Partner zu
profitieren. „Mit dem Thema Umweltbelastung und Stammzellen haben wir
ein spannendes neues Forschungsfeld etabliert“, da sind sich Dr. Lehmann
und Dr. Weiße einig. Weltweit ist das UFZ-Team das derzeit einzige, das
diesem Zusammenhang mit analytischer Präzision und methodischer Geduld
nachgeht. Die LiNA-Studie, in der Mütter und ihre Kinder über Jahre
hinweg beobachtet werden können, liefert dazu eine einzigartige Basis.
Publikation:
K. Weisse, I. Lehmann, D. Heroux,
T. Kohajda, G. Herberth, S. Röder, M. von Bergen, M. Borte and J.
Denburg (2012): The LINA cohort: indoor chemical exposure, circulating
eosinophil/basophil (Eo/B) progenitors and early life skin
manifestations (pages 1337–1346). Clinical & Experimental Allergy.
09/2012; 42(9):1337-46. DOI:10.1111/j.1365-2222.2012.04024.x http://dx.doi.org/10.1111/j.1365-2222.2012.04024.x
Autorin: Daniela Weber
Quelle: Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung