Wissenschaft und Forschung 16.04.2013
Zähne neuer Fossilienart entlarven direkte Vorfahren des Menschen
Forscher der Wits University in
Südafrika, darunter auch Peter Schmid von der Universität Zürich,
beschreiben in sechs neuen Studien die Anatomie eines einzigartigen
frühen Homininen. Australopithecus Sediba wurde 2008 nahe
Johannesburg entdeckt. Die Studien in «Science» weisen nach, wie
der zwei Millionen Jahre alte Vorfahre ging, kaute und sich bewegte.
Die vor vier Jahren in Malapa, nahe Johannesburg, entdeckten
Fossilien zeigen eine Mischung aus primitiven Merkmalen der
Australopithecinen und fortgeschrittenen Merkmalen der späteren
Menschenarten. Die Forscher um Prof. Lee Berger, Wits University,
sind deshalb der Ansicht, dass die neue Art derzeit der beste
Kandidat für einen unmittelbaren Vorfahren unserer eigenen Gattung
Homo ist. Nun legen die Forscher neue Studien vor, darunter auch
diejenige von Peter Schmid, der bis zu seiner Pensionierung an der
Universität Zürich lehrte und forschte. Beteiligt sind auch die
UZH-Studierenden Nakita Frater, Sandra Mathews und Eveline
Weissen.
Schmid hat die Überreste des Brustkorbs von
Australopithecus sediba beschrieben. «Sie zeigen einen engen oberen
Brustkorb, wie ihn auch die grossen Menschenaffen wie Orangutans,
Schimpansen und Gorillas besitzen», erklärt Peter Schmid. Der
Brustkorb des Menschen hingegen ist gleichförmig zylindrisch.
Ergänzt mit den weitgehend kompletten Resten des Schultergürtels
entsteht das morphologische Bild eines konischen Brustkorbs mit einem
hochgestellten Schultergelenk, das aussieht wie ein permanentes
Achselzucken. Die weniger gut erhaltenen Elemente des unteren
Brustkorbs weisen dagegen auf eine enge Taille hin, ähnlich
derjenigen des Menschen.
Konischer Brustkorb erschwert
Armschwingen beim Gehen
Der enge obere Brustkorb der Affen
ermöglicht Bewegungen des Schulterblattes, die für das Klettern und
Hangeln in den Bäumen wichtig sind. Die konische Form dagegen macht
es schwierig, im aufrechten Gang oder beim Rennen die Arme zu
schwingen, zudem waren diese affenähnlich lang. Deshalb nimmt Schmid
an, dass Australopithecus sediba nicht so gut auf beiden Füssen
gehen oder rennen konnten wie Menschen. «Längere Strecken konnten
sie wohl nicht rennen, zumal ihnen das energiesparende Armschwingen
fehlte», erklärt Schmid.
Die Untersuchung der unteren
Extremitäten zeigen Ferse, Mittelfuss, Knie, Hüfte und Rücken, die
einzigartig und neuartig sind. Sediba muss mit stark einwärts
gekipptem Fuss gegangen sein. Diese Einwärtsdrehung nach innen
unterscheidet ihn von anderen Australopithecinen. Daraus lässt sich
folgern, dass sich unsere frühen Vorfahren auf verschiedene Weise
fortbewegen konnten.
Arme fürs Klettern und Hangeln
Australopithecus sediba war ein geübter Kletterer. Das zeigen
die in Malapa gefundenen Reste von Oberarm, Speiche, Elle,
Schulterblatt, Schlüsselbein und Brustbeinfragment. Diese sind
eindeutig einem einzigen Individuum zuzuordnen, was einmalig ist im
gesamten bisher bekannten Fossilnachweis der frühesten Homininen.
Mit Ausnahme des bereits beschriebenen Handskeletts, ist die obere
Extremität ausgesprochen ursprünglich. Australopithecus sediba
verfügt wie alle anderen Vertreter der Gattung Australopithecus über
einen Armbereich, der sowohl fürs Klettern wie möglicherweise auch
fürs Hangeln geeignet war. Möglicherweise war diese Fähigkeit
sogar ausgeprägter als dies bis anhin für diese Gattung angenommen
wurde.
Unterschiede zu Australopithecus afarensis
Aufgrund
der Zahnkronen nehmen die Forscher an, dass Australopithecus sediba
stammesgeschichtlich nicht zu den ostafrikanischen Australopithecinen
gehört, sondern näher bei Australopithecus africanus liegt und
damit eine südafrikanische Schwestergruppe bildet. Dies hat eine
Auswirkung auf das moderne Verständnis der Entwicklungsgeschichte
der frühen Homininen aus dem ausgehenden Pliozän. Demnach wären
Australopithecus sediba und vielleicht auch Australopithecus
africanus nicht aus Australopithecus afarensis hervorgegangen.
Untersucht wurden auch der Unterkiefer des weiblichen
Skeletts und bisher unbekannte Schneidezähne und Vorbackenzähne.
Wie bereits auch am Schädel und anderen Bereichen des Skeletts
festzustellen ist, weisen die Unterkieferreste Gemeinsamkeiten mit
anderen Australopithecinen auf. Sie unterscheiden sich jedoch in
Grösse und Form wie auch in den ontogenetischen
Wachstumsveränderungen von Australopithecus africanus. Diese
Ergebnisse unterstützen die Hypothese, dass sich Australopithecus
sediba taxonomisch von Australopithecus africanus unterscheidet. In
den betreffenden Unterschieden scheinen die Unterkieferteile am
meisten denen der Vertreter des frühen Homo zu ähneln.
Die
Analyse der Hals-, Brust, Lenden- und Kreuzbeinregion der
Wirbelsäule zeigen, dass Australopithecus sediba gleich viele
Lendenwirbel hatte wie der moderne Mensch. Das starke Hohlkreuz lässt
vermuten, dass er in diesem Bereich fortschrittlicher war als
Australopithecus africanus und eher mit dem Homo erectus verglichen
werden kann.
Mosaikartiger Körperbau
Die neuen Studien
zeigen ein einmaliges Bild einer Menschenart mit einem mosaikartigen
Körperbau. Einige Körperteile entsprechen denjenigen von früheren
und andere denjenigen von späteren Homininen. «Die zahlreichen
Gemeinsamkeiten mit Homo erectus lassen vermuten, dass
Australopithecus Sediba die geeignetste Vorform der Gattung Homo
darstellt» sagt Peter Schmid. Die bisherigen Kandidaten seien zu
fragmentarisch, um diese Stellung einnehmen zu können.
Literatur:
Peter Schmid, Steven E. Churchill, Shahed Nalla, Eveline Weissen,
Kristian J. Carlson, Darryl J. de Ruiter, Lee R. Berger. Mosaic
Morphology in the Thorax of Australopithecus sediba. Science April
12. 2013. Doi: 10.1126/science.1234598
Quelle: Universität
Zürich