Abrechnung 23.10.2020

Dental Monitoring® in der digitalen KFO



Dental Monitoring® in der digitalen KFO

Bewegung und Wachstum sind in der Kieferorthopädie zentrale Begriffe. Beide stehen für eine Veränderung, weg von einem Zustand hin zu einem anderen. Es müssen so zunächst Widerstände überwunden und sodann etabliert werden, um den erreichten Zustand dauerhaft zu erhalten. Um all dies zu ermöglichen, musste sich der Patient bisher zum Kieferorthopäden hinbewegen. Und zwar nicht nur regelmäßig im Rahmen einer oft mehrere Jahre dauernden Behandlung, sondern auch nach abgeschlossener Therapie, um festzustellen, dass sich nichts mehr verändert. Gewissermaßen der Stillstand als erwünschter Befund. Wie vor diesem Hintergrund digital abgestützte, remote Monitoring-Verfahren einzuschätzen und deren Abrechenbarkeit bzw. Mehrkostenfähigkeit zu bewerten ist, versucht der folgende Artikel zu klären.

Regelmäßige Bewegungen hin zum Kieferorthopäden vollziehen mehr als die Hälfte der Jugendlichen in Deutschland. Oftmals sind dabei nicht unerhebliche Distanzen zurückzulegen und am Ende des Termins steht allein die Feststellung, dass Zahnbewegungen erwartungsgemäß verlaufen sind oder eben erwartungsgemäß der Stillstand (das erzielte Ergebnis) anhält. Diese (oft befundlose) Kontrollfrequenz hat in der Vergangenheit so manchen Erwachsenen davon abgehalten, sich einer kieferorthopädischen Behandlung zu unterziehen.

Der Anteil der kieferorthopädisch behandelten Jugendlichen wäre vermutlich noch höher, würde sich die gesamte Population eines Jahrgangs überhaupt jemals bei einem Kieferorthopäden vorstellen. Im Gegensatz zu Bildungs- und Freizeitangeboten erreichen jedoch manche Gesundheitsangebote eben nicht all jene, für die sie sinnvoll wären. Im Bereich der Jugendarbeit hat sich der Begriff der aufsuchenden Jugendarbeit herausgebildet. Sie richtet sich gezielt an Jugendliche, die durch die stationären Angebote der Jugendarbeit, wie Bildungs- und Erziehungseinrichtungen, gar nicht erreicht werden.

Aufsuchende Zahnmedizin

Die aufsuchende Zahnheilkunde hat sich nun für die vulnerable Gruppe der Pflegebedürftigen und Behinderten etabliert, die den Weg zum Zahnarzt aus eigener Kraft nicht schaffen. Hier wurde in einem ersten Schritt dem Zahnarzt zunächst ermöglicht, die Behandlung dort (also außerhalb seiner Niederlassung) beispielsweise in einem stationären Pflegeheim physisch auszuführen.

Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz wurden entsprechend seit dem 1. April 2013 neue Abrechnungsziffern (Nrn. 171 ff. BEMA) eingeführt, als zusätzliche Vergütung für das erforderliche Aufsuchen von Versicherten, die einer Pflegestufe nach § 15 SGB XI zugeordnet sind, Eingliederungshilfe nach § 53 SGB XII erhalten oder dauerhaft erheblich in ihrer Alltagskompetenz nach § 45a des SGB XI eingeschränkt sind (sogenannte aufsuchende Betreuung von immobilen Personen mit erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz nach § 87 Abs. 2j SGB V). Damit wurde die Bindung der Ausübung der Zahnheilkunde an die zahnärztliche Niederlassung pulverisiert – aus guten Gründen.

In einem zweiten Schritt wurde nun zum 01.10.2020 seitens der KZBV eine Abrechnungsgrundlage für die Videosprechstunde geschaffen, in der einerseits dem Pflegebedürftigen der Weg in die zahnärztliche Niederlassung, aber andererseits auch dem Zahnarzt der Weg in das Pflegeheim erspart wird. Dies stellt eine richtige Entwicklung dar. Die weitere Ausweitung der digitalen Befundauswertung im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung ist bereits angekündigt: für Nachkontrollen einer umfangreichen zahnärztlichen Behandlung und für die Erörterung anstehender prothetischer Planungen – dies wohlgemerkt ohne eine Beschränkung auf die besonderes vulnerable Patientengruppe der Pflegebedürftigen und Behinderten. Zweifellos würde hiervon auch jedwede Form der kieferorthopädischen Behandlung erfasst sein.

Offene Fragen

Damit ist die Frage nach der Abrechenbarkeit online übermittelter bildgebender Befunde im privatzahnärztlichen Segment aufgeworfen. Dieses Segment betrifft bei oberflächlicher Betrachtung zwar nicht einmal zehn Millionen privat Vollversicherte. Hinzu kommt aber eine Patientengruppe von ca. 17 Millionen privat Zusatzversicherter und weiterhin sicherlich eine Gruppe von zehn Millionen Beihilfeberechtigter. Da eine Erhebung und Auswertung online übermittelter bildgebender Befunde im EBM/BEMA gar nicht vorgesehenen sind, stellt sich die Frage nach der Mehrkostenfähigkeit dieser zahnärztlichen Maßnahmen gerade vor dem Hintergrund des am 11.05.2019 in Kraft getretenen Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG), das in § 29 SGB V bekanntlich eine Rechtsgrundlage für Mehrkostenvereinbarungen – für die Kieferorthopädie erstmals – in das Gesetz aufgenommen hat. Sollte die Mehrkostenfähigkeit dem Grunde nach zu bejahen sein, wäre die richtige Abrechnung des Dental Monitoring® der Höhe nach zu beantworten.

Medizinische Notwendigkeit

Digital abgestützte, remote Monitoring-Verfahren in der Zahnmedizin sind medizinisch notwendig, da sie das Potenzial zur Therapieverbesserung und -beschleunigung besitzen, indem sie eine im Prinzip jederzeitige Diagnostik und eine unmittelbare therapeutische Reaktion des Zahnarztes ermöglichen. Im Bereich der Kieferorthopädie können so einerseits die Anzahl der Besuche in der zahnärztlichen Niederlassung auf das wirklich erforderliche Maß reduziert und andererseits ein erforderlicher Behandlungstermin zeitnäher am Auftreten eines klinischen Symptoms vereinbart werden, was wiederum die Therapiechancen verbessert.

Bei der Planbesprechung oder der Einleitung der kieferorthopädischen Therapie wird dem Patienten in der Praxis erläutert, wie und wie häufig er selbst die Fotos/Videos erstellen und während der kieferorthopädischen Behandlung an den Kieferorthopäden versenden soll. Die eingehenden Daten werden durch den Kieferorthopäden jeweils zeitnah fachlich ausgewertet. Der Patient erhält von ihm digital eine Rückmeldung über das Ergebnis der Befundauswertung, möglicherweise zugleich verbunden mit weiteren Instruktionen.

Die remote Befundung aussagekräftiger digitaler Bilddateien für kieferorthopädische Zielsetzungen erscheint der oralen Inspektion der Mundhöhle durch den Behandler zahnmedizinisch qualitativ gleichwertig. Im Rahmen der privaten Krankenversicherung steht dem Patienten frei, zwischen mehreren ärztlich empfohlenen Behandlungsansätzen zu wählen. Dem Kostenträger wird es daher rechtlich versagt sein, den Patienten auf einen vermeintlich kostengünstigeren Behandlungsansatz zu verweisen oder den Kostenersatz für das remote Monitoring-Verfahren abzulehnen. Denn der Patient kann sich zwischen einer oralen InhouseInspektion und einem oralen Remote-Monitoring frei entscheiden. Dies auch dann, wenn beim Dental Monitoring® zusätzliches Honorar bei dem Kieferorthopäden anfällt (vgl. BGH, Urteil vom 12.03.2002, IV 278/01).

Konkrete Abrechnung

Die diagnostische Auswertung einer Foto-/Videodokumentation wird erfasst durch die Position BEB 0706 („Foto-/Videodokumentation einschließlich diagnostischer Auswertung“), sodass hierfür eine praxisindividuelle Planzeit als Laborposition in der zahnärztlichen Leistungsabrechnung in Ansatz gebracht werden kann. Im Kontext der Kieferorthopädie war ein Ansatz von 11,12 Euro je diagnostisch ausgewerteter (analoger) Foto-/Videodokumentation für angemessen erachtet worden (betreffend eine Behandlung im Jahre 2007: VG Stuttgart, Urteil vom 21.09.2009, 12 K 6383/07).

Die therapiebegleitende Erhebung und zahnärztliche Auswertung bildgebender Diagnostik ist medizinisch geboten, aber ihre Abrechnung nicht schon in der Vergütung der Kernposition (Nrn. 6030–6050 GOZ) enthalten. So empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft der Bundes- und der Landeszahnärztekammern auch in anderem Kontext die Abrechnung diagnostischer Positionen wie beispielsweise der Nrn. 6000(a), 6010a GOZ zusätzlich zur Kernposition, da die obligate Bewertung des Behandlungsverlaufs dem Behandler in aller Regel erst und nur aufgrund einer aktuellen Inspektion, Bildgebung oder Visualisierung der klinischen Situation möglich ist.

Fazit

Der physische Patientenbesuch in der zahnärztlichen Niederlassung erscheint heute in vielen kieferorthopädischen Behandlungsfällen – zumindest teilweise, vielleicht sogar überwiegend – verzichtbar. In welchen Fällen ein physischer Kontrolltermin sogar obsolet ist, obliegt dem Ermessen des Kieferorthopäden. Verzichtet der Behandler auf eine digitale Visualisierung und beschränkt er sich auf die augenblickliche eigene sinnliche Wahrnehmung im Rahmen einer bloßen oralen Inspektion, dürfte diese Kontrolle durch die Kernposition abgegolten sein. Aus dem Umstand, dass ein Patient physisch in der Lage ist, dem „Recall“ des Kieferorthopäden zu folgen und ihn in der Niederlassung aufzusuchen, kann sicher nicht abgeleitet werden, dass nur so eine standardgerechte Behandlung möglich wäre. Im Gegenteil: Bei der gebotenen Mitwirkung des Patienten und einer technisch ausgereiften Monitoring-Technik können – ungeachtet des Convenience-Faktors auch auf Patientenseite – medizinische Gründe für das Dental Monitoring® sprechen. Dass dem Behandler trotz geringerer Stuhlzeit am Patienten eine zusätzliche Abrechnung eröffnet wird, ist nicht ungerecht, sondern Folge davon, dass zu Recht veranlasste Diagnostik abrechenbar ist, je nach fachlicher Auswertung.

Dieser Beitrag ist in KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.

Foto Teaserbild: Andrey_Popov/Shutterstock.com

Mehr News aus Abrechnung

ePaper