Personalmanagement 27.02.2017
Machtorientierte Führung hat ausgedient
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Zukunftsfähiges Management lässt Mitarbeiter mitgestalten
Patriarchische Führungsstile haben im modernen Gesundheitswesen keinen Platz mehr. Chefmediziner von heute müssen sich auf schnell wandelnde Anforderungen einstellen, Prozesse patientenorientiert ausrichten und Mitarbeiter fördern. Soweit die Theorie. Im Praxis- und Klinikalltag bleiben Hierarchien jedoch verkrustet wie eh und je. Entscheidungen fällt der Chef. Das Personal bekommt Anweisungen und führt aus. Und das im 21. Jahrhundert.
„Der Druck im Gesundheitswesen ist enorm“, weiß Robert Walter* (Name geändert), Leiter einer zahnmedizinischen Klinik. Personalengpässe, Notfälle und Kostendruck drängen Beschäftigte an ihre Grenzen. Wer qualifizierte Mitarbeiter trotzdem halten will, müsse Führungskultur neu denken. Denn egal ob medizinische Fachangestellte oder Zahnarzt: „Heutige Arbeitnehmer wollen mitgestalten.“ Insbesondere, wenn Entscheidungen den eigenen Arbeitsbereich betreffen, möchten Fachkräfte mit einbezogen werden. „Kliniken müssen darauf reagieren“, weiß Walter. Sonst laufe das Personal zur Konkurrenz über.
„Führen kann – und sollte – gelernt werden.“
Für Johannes Woithon ist das nichts Neues. Der Gründer der Berliner Softwareschmiede Orgavision rüttelt gerne an Altem. Als Vordenker läutet er in Kliniken und Praxen eine neue Kultur ein. „Führung ist ein Instrument, um Ziele zu erreichen“, sagt der Berliner. Dabei gehe es nicht darum, Mitarbeiter zu kontrollieren. Im Gegenteil: Führung müsse das Team befähigen, Bestmögliches zu leisten. Letztendlich habe modernes Anleiten also einen dienenden Charakter. „Fragt ein Chefarzt, was seinen Fachangestellten im Arbeitsalltag hilft, ist er auf einem guten Weg“, erklärt Woithon. In vielen Kliniken kursiere noch immer der Irrglaube, Führungskompetenz hänge mit Fachwissen zusammen. Dabei sind kommunikative Fähigkeiten mindestens genauso wichtig. „Führen kann – und sollte – gelernt werden.“ urteilt der Experte.
Technologien unterstützen Mitarbeiter beim Mitgestalten
Den Auslöser des starken Mitentscheidungsdrangs der jüngeren Generationen sieht der 48-Jährige in der Digitalisierung. „Web 2.0-Techniken, die im Privaten selbstverständlich sind, stellen alte Beziehungsmuster zwischen Chefetage und Mitarbeiterbasis in Frage“, meint er. Denn das Internet bestehe nicht aus Stufen - sondern aus Knoten. Der Austausch von Ideen und Wissen findet unabhängig von Hierarchiestufen statt. „Und weil sich Informationsflüsse noch nie kontrollieren ließen – wir denken an den guten, alten Flurfunk – ist die Essenz einer werteorientierten, vernetzten und digitalen Führungskultur Vertrauen“, erläutert der Experte.
Schon vor acht Jahren ist Woithon losgezogen, um diesen Wertewandel „Führung durch Vertrauen“ voranzutreiben. Sein Ansatz beginnt ganz profan in der EDV. „Die richtigen technologischen Strukturen unterstützen partizipative Führung und machen sie erlebbar“, so seine These. Deshalb hat der Visionär eine Software programmiert, die Werkzeuge sozialer Medien mit der Dokumentenablage koppelt. Verändert sich ein Prozess – etwa in der Anästhesie – werden betroffene Mitarbeiter per Nachricht informiert und können wie bei Facebook und Co direkt über Kommentar- und Bewertungsfunktionen reagieren. Der Dokumentersteller sieht das. So kann er Bedenken, Vorschläge oder Korrekturen seiner Kollegen miteinbeziehen. Diese Features ermöglichen Fachkliniken eine Kulturrevolution. Statt wie üblich, von oben zu regieren, können von der Hilfskraft bis zum Oberarzt alle an Arbeitsprozessen mitgestalten. Engagierte Mitarbeiter sind sichtbar, Entscheidungen nachvollziehbar.
Akzeptanz erhöhen durch transparente Prozesse
„Transparenz ist das A und O“, findet auch Geschäftsführer Walter. Er informiert seine Belegschaft stets zeitnah über Veränderungen und Beweggründe. „Selbst, wenn jemand anderer Meinung ist, steigt die Akzeptanz, wenn ich Entscheidungswege offen lege“, sagt er. Dass die Ansprüche der Mitarbeiter steigen, findet der promovierte Mediziner richtig und wichtig. Denn auch das Arbeitspensum nimmt zu. „Es ist Aufgabe der Führung, im Dialog mit den Mitarbeitern zu bleiben.“ Deshalb gibt es bei ihm seit kurzem sogenannte „Kummerkästen“. Mitarbeiter, denen ein Mangel in ihrem Arbeitsalltag auffällt, können ihn hier melden – auch anonym.
Seit Mitarbeiter Prozesse aktiv mitgestalten, entsprächen Projekte eher der Arbeitsrealität. Denn was sich früher theoretisch gut anhörte, war längst nicht immer praktikabel. Zur Beteiligung gehöre jedoch auch das Festlegen klarer Befugnisse: „Während einer OP sind Diskussionen fehl am Platz“, gibt der Klinikleiter ein Beispiel. Geht es hektisch zu, etwa in der Notaufnahme, müsse jeder wissen, wer welche Entscheidungen treffen muss.
Ein Patentrezept gebe es nicht, partizipative Strukturen sehen in jeder Organisation anders aus, schließt Woithon. Allerdings ist sich der Management-Experte sicher: „Kliniken, die jetzt neue Strukturen, Rollenvorbilder und Multiplikatoren schaffen, sind ihren Mitbewerbern im War of Talents einen Schritt voraus.“ Denn: Mitbestimmung, Transparenz und Wertschätzung sind entscheidende Argumente für Bewerber.
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