Praxismanagement 28.09.2009

Abfindungsklauseln in ärztlichen Sozietätsverträgen

Abfindungsklauseln in ärztlichen Sozietätsverträgen

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Ärzte gehören bekanntlich zu jenen Berufsgruppen mit den höchsten Scheidungsraten. Auch wenn sich diese statistische Aussage auf die private Sphäre von Ärzten bezieht, scheint zumindest fraglich, ob dadurch nicht eine gewisse Prädestination zur Auseinandersetzung auch in der beruflichen Sphäre gegeben ist. Fakt ist, dass gerichtliche Auseinandersetzungen von Ärzten heute an der Tagesordnung stehen. Dabei geht es nicht selten um die Bemessung der Höhe von Abfindungen beim Ausscheiden eines Gesellschafters, denn entsprechende Abfindungsklauseln in den Sozietätsverträgen sind nicht immer eindeutig formuliert.

Für den Sachverständigen, der mit der Begutachtung einer zu bewertenden Praxis betraut ist, um die Höhe der Abfindung entsprechend dem Praxisanteil des ausscheidenden Gesellschafters zu ermitteln, erwachsen aus missverständlich formulierten Abfindungsklauseln häufig sowohl Interpretations- als auch Durchführungsprobleme. Denn letzten Endes obliegt es dem Sachverständigen, die im Vertrag vorgegebenen Klauseln in einem betriebswirtschaftlichen Modell zu verwerten (unter Wahrung der Interessen involvierter Parteien).

Der Abfindungsbemessung geht üblicherweise eine Praxisbewertung voraus. Bereits bei der Benennung des Sachverständigen kann es zu ersten Schwierigkeiten kommen. Werden in Abfindungsklauseln Regelungen wie beispielsweise die Benennung durch den Präsidenten der Bundeszahnärztekammer festgeschrieben, können die vertraglichen Vorgaben bereits aufgrund der Nichtdurchführbarkeit von Klauseln scheitern. Denn Standesorganisationen oder Präsidenten benennen in aller Regel keine Sachverständigen. Öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen werden nur durch die Industrie- und Handelskammern benannt. Auch in Sozietätsverträgen teilweise festgeschriebene Klauseln, Bewertungsrichtlinien der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) für die Bemessung der Abfindung zu berücksichtigen, muss an der Nichtdurchführbarkeit scheitern, da derartige Richtlinien nicht existieren. Lediglich die Bundesärztekammer (BÄK) hat in der Vergangenheit Richtlinien verabschiedet, die aber nur für die Bewertung von Arztpraxen gelten. Wohl auch aufgrund der massiven Kritik an deren pseudowissenschaftlicher Konzeption sind diese Richtlinien zwischenzeitlich jedoch überholt und 2008 in einer Neuauflage unverbindlich als „Hinweise für die Bewertung von Arztpraxen“ publiziert und in deren Relevanz herabgestuft worden.

Objektivierte Praxiswerte
Große Probleme können einem Sachverständigen auch erwachsen, wenn in Sozietätsverträgen Bewertungsansätze festgeschrieben werden, die der Sachverständige in seinen Auswertungen zu berücksichtigen hat. Denn üblicherweise wird der Sachverständige als neutraler Gutachter grundsätzlich einen „objektivierten“ Wert ermitteln, also einen Wert, der frei von subjektiven Wertschätzungen ist aus der Sicht eines objektiv vernünftigen dritten Beobachters. Für die Bewertung wird dabei in der Regel auf ein Verfahren abgestellt, das alle wesentlichen Parameter einer Unternehmung ausreichend berücksichtigt und wertschätzt. Weil sich Zahnarztpraxen entgegen teilweise verbreiteter Meinungen problemlos unter den betriebswirtschaftlichen Unternehmensbegriff subsumieren lassen, sind damit für deren Bewertung einzig die wissenschaftlich anerkannten Bewertungsverfahren, das Ertragswertverfahren in modifizierter Form und das Discounted-Cash-Flow-Verfahren, als sachlich richtig zu beurteilen. Alle anderen Verfahren, und davon gibt es auf dem Markt der Praxisbewertung reichlich, müssen sich den Vorwurf gefallen lassen, Heuristiken abzubilden, das heißt vereinfachte Problemlösungsmethoden ohne wissenschaftlichen Anspruch zu sein. Lediglich die modifizierte Ertragswertmethode und die Discounted-Cash-Flow-Verfahren, die im Übrigen vom Aufbau her nahezu identisch sind und (bei gleicher Prämissenbildung zumindest theoretisch) zu gleichen Ergebnissen führen, gehen konform mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung und erheben damit den Anspruch, sachlich neutrale, das heißt objektivierte Praxiswerte abzubilden.

Werden dem Sachverständigen im Rahmen vertraglicher Abfindungsklauseln Verfahren diktiert, die nicht mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung vereinbar sind (z.B. BÄK-Methode, Faustformeln und sonstige Praktikermethoden), lassen sich keine objektivierten Praxiswerte berechnen. Die Kalkulation der Abfindung basiert dann auf einer Heuristik und muss als sachlich zweifelhaft ermittelt gelten.

Auch das Aufoktroyieren, Umsatztendenzen in der Ermittlung von Abfindungen zu berücksichtigen, kann dem Sachverständigen erhebliches Kopfzerbrechen bereiten. Es bleibt dann beispielsweise unklar, ob eine Ex-ante-Betrachtung angestellt werden soll, in der der Sachverständige lediglich, wie er es im Rahmen der oben favorisierten Verfahren ohnehin unternimmt, prognostisch tätig wird, oder aber durch eine Ex-post-Betrachtung für einen vertraglich vorgeschriebenen Zeitraum die tatsächlichen auf den Bewertungsstichtag folgenden Umsätze in dem Gutachten zu verwerten hat. Wäre Letzteres der Fall, würde z. B. das Stichtagsprinzip als eines der Wesentlichen Kriterien der Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung verletzt werden.

Pauschale Abfindungsklauseln
Nicht selten finden sich auch pauschale Abfindungsklauseln in Sozietätsverträgen, die beispielsweise „Überschussanteile“ vergangener Jahre mit einem willkürlichen Faktor multiplikativ verknüpfen und die Summe dem Sachverständigen als zu berechnende Abfindung vorgeben. Erstens ergibt sich hierbei wiederum die grundsätzliche Problematik der nicht zukunftsorientierten Bewertung und zweitens kann dem Sachverständigen in diesem Fall die gebrauchte Bezugsgröße „Überschussanteile“ Interpretationsprobleme bereiten: Darunter könnte beispielsweise der steuerliche Gewinn, der Gewinn vor Abschreibungen oder aber irgendeine andere Art bereinigten Gewinns verstanden werden. Darüber hinaus führen derartig pauschale Klauseln oftmals zu völlig überhöhten Abfindungen, die einen realen Abfindungswert nicht abbilden. Kommt es dabei gar zu signifikanten Diskrepanzen, kann der Vorwurf der Sittenwidrigkeit oder des Wuchers greifen und zur Nichtigkeit der Klausel führen. Gleiches gilt für vertragliche Abfindungsregelungen, die regelmäßig eine niedrigere Abfindung implizieren, so z.B. in Abfindungen zu Buchwerten, Substanzwerten oder anderweitig vorgesehener Größen.

Wissenschaftlich in keinster Weise nachvollziehbar sind weiterhin Klauseln, die das Mischen mehrerer Methoden und das anschließende Bilden eines Mittelwertes vorsehen. Danach wäre es z.B. gewollt, ein und dasselbe Bewertungsobjekt mit der BÄK-Methode und dem Ertragswertverfahren zu bewerten, den abschließenden Praxisgesamtwert dann aber nicht an einer der Methoden festzumachen, sondern als Durchschnitt der beiden Methoden auszuweisen. Diese Vorgehensweise scheint einmalig im Bereich der Bewertung ärztlicher Praxen und findet sich sonst nirgendwo in der betriebswirtschaftlichen Unternehmensbewertung. Es ist kaum vorstellbar, dass hierbei tatsächliche Praxiswerte abgebildet würden, ferner kann die Spannbreite der Gutachten sehr groß ausfallen. Eine Mittelwertbildung als Kompromisslösung scheidet in jedem Fall aus.

Schließlich kann auch für die Bemessung der Höhe einer Abfindung die Bewertung des Substanzwertes Zündstoff enthalten. Hier ergibt sich insbesondere eine Zurechnungsschwierigkeit der Sachwerte zu den einzelnen Parteien. Klauseln wie „der Sachverständige teilt den Substanzwert nach billigem Ermessen“ bzw. „die Verteilung erfolgt in der Weise, dass jeder der drei Gesellschafter ein Drittel des Inventars zugeteilt bekommt“ leisten hierbei keine Abhilfe. Aber auch die Ermittlung der Höhe des Substanzwertes kann dem Sachverständigen Probleme bereiten. Wird beispielsweise der Ansatz der Sachwerte zum sogenannten „wahren Wert“ vorgeschrieben, bleibt unklar, welcher betriebswirtschaftliche Wertansatz damit einhergehen soll. Eine genauere Erläuterung wäre wünschenswert. Die gesellschaftsvertragliche Vorgabe der Bewertung des Substanzwertes „zu Marktpreisen“ ist nur unwesentlich besser, denn hierbei wird intuitiv die Zerschlagung der Sachwerte unterstellt. Von einem Weiterführen der Praxis zu im Wesentlichen bestehenden Strukturen (sog. going-concern Annahme) könnte dann nicht mehr ausgegangen werden.

Schlussendlich bleibt festzuhalten: Abfindungsklauseln in ärztlichen Sozietätsverträgen bergen viele Risiken. Die Jurisprudenz und die Betriebswirtschaftslehre täten gut daran, sich noch intensiver auszutauschen, damit diese Bombe nicht gezündet wird.

Autor: Prof. Dr. Wolfgang Merk


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