Praxismanagement 28.11.2023

Die systemische GesprächsFÜHRUNG in der Praxis



Die systemische GesprächsFÜHRUNG in der Praxis

Foto: svetazi – stock.adobe.com

Dieser Beitrag ist unter dem Originaltitel "Weniger Technik – mehr Haltung: Die systemische GesprächsFÜHRUNG in der Zahnarztpraxis" in der cosmetic dentistry erschienen.

Eine Zahnarztpraxis zu führen, geht stets mit einer großen Verantwortung einher. Nicht nur medizinisch-fachlich gegenüber den Patienten, sondern auch menschlich führend bei den Mitarbeitenden. Es gibt unzählige Ansätze, um in einem Team wirksam zu kommunizieren. In der systemischen Gesprächsführung geht es vor allem darum, die Wirklichkeit eines Menschen so zu akzeptieren, wie sie ist – und zwar nach der Beschreibung der betreffenden Person selbst.

„Systemische Fragestellungen: Dabei ist nicht das Ziel, schnell Antworten zu erhalten oder eine Situation zu lösen, sondern die Befindlichkeiten des Befragten und die komplexen Zusammenhänge dahinter zu erfahren.“

Der Begriff Wirklichkeitskonstruktion hat sich etabliert, um zu verstehen, dass die Wirklichkeit der einen Person nicht mit der Wirklichkeit der an-deren gleichzusetzen ist, auch wenn beide sich in einem Raum befinden und gerade dasselbe erleben. Zu sehr ist das abhängig von dem, was jeder Mensch mitbringt, seiner Geschichte sowie dem Umfeld, Emotionen, vielleicht erfahrenen Enttäuschungen und vielem mehr. Auch bei der Kommunikation im Praxisteam sind viele Aspekte zu beachten: die individuellen Persönlichkeiten, die zugeteilten Rollen, soziale Begebenheiten, der Ausbildungsgrad und vieles mehr. Würden diese Aspekte als Mobile dargestellt, kreisten sie fortwährend umeinander.

Nach dem systemischen Gedanken kann all das nur gemeinsam, gleichzeitig und ganzheitlich betrachtet werden. Würde man einen Punkt innerhalb des Mobiles verschieben, würde gleichzeitig das gesamte Gebilde aus dem Gleichgewicht geraten. Das Systemische kümmert sich sozusagen um jedes einzelne Teil, so- dass es wieder in einem Verhältnis zu den anderen Teilen steht. In der systemischen Gesprächsführung geht es demzufolge nicht nur um den Dialog zwischen zwei Menschen, sondern um die Berücksichtigung des gesamten anhängenden Systems mit allen Aspekten, die zu der aktuellen Situation geführt haben.

Fragen sind der Schlüssel für ein transparentes Miteinander

Eine bewährte Technik in der systemischen Gesprächsführung sind systemische Fragestellungen. Dabei ist nicht das Ziel, schnell Antworten zu erhalten oder eine Situation zu lösen, sondern die Befindlichkeiten des Befragten und die komplexen Zusammenhänge dahinter zu erfahren. Die zirkulären Fragen betreffen das komplette soziale Umfeld der befragten Person: „Was würde Ihr Kollege/Ihre Kollegin dazu sagen?“, „Wie wäre die Reaktion Ihres Patienten?“, „Wie würde der Zahnarzt/die Zahnärztin das finden?“, „Was würde(n) Ihre Familie/Ihre Freunde davon halten?“.

Bei Skalierungsfragen kann der Befragte auf einer Skala von 0 bis 10 seine Befindlichkeiten ausdrücken, wie sehr er bei einer Sache zustimmt oder diese ablehnt. Auf diese Weise lässt sich schnell ein Meinungsbild entwickeln. Eine weitere Möglichkeit ist die ressourcenorientierte Frage. Sie richtet sich darauf, was bisher zu der angestrebten Lösung geführt hat: „Was hat Ihnen früher geholfen, als Sie in einer ähnlichen Situation waren?“, „Mit welchen Mitteln konnten Sie damals die Behandlung gut abschließen und wer hat Sie dabei unterstützt?“.

Bei der sogenannten Wunderfrage wird ein Szenario beschrieben, was denn wohl passieren würde, wenn sich über Nacht alles komplett verändert, keine finanziellen Einschränkungen mehr bestehen und man sich am nächsten Tag alles wünschen könnte, was man denn wollte. Die Antwort fällt häufig sehr „klein“ aus und stößt bei Zahnärzten nicht selten auf Verwunderung. Oft sind es gar nicht die großen Dinge, die Mitarbeitende brauchen, um ihre Arbeit in der Praxis wesentlich effektiver oder kreativer gestalten zu können, sondern eher unscheinbare Mittel und Werkzeuge.

Spannend auch die paradoxe Frage, mit der absichtlich provoziert wird, um das Dilemma der befragten Person zu verdeutlichen: „Wollen Sie sich weiterhin von Ihrer Kollegin/Ihrem Patienten so ärgern lassen?“ Weil niemand mit so etwas rechnet, erreicht man einen Schockmoment bei der betroffenen Person. Und eben weil es paradox ist, führt es dazu, dass die- oder derjenige darüber nachdenkt und in der Regel recht schnell beteuert, nicht länger in dieser unzufriedenen Situation verharren zu wollen. Daran lässt sich gut anknüpfen, um die Lösungsfindung gemeinsam mit dem Gegenüber weiterhin systemisch begleiten zu können.

All diese Fragetechniken haben eines gemeinsam: Sie richten sich einzig und allein auf die möglichen Ressourcen des Befragten. Es geht niemals darum, dass der/die Fragende Lösungsansätze vorschlägt, aus denen der/die Befragte auswählen kann. Eine systemische Gesprächsführung zielt immer darauf ab, eine Person zu ihren eigenen möglichen Lösungen zu führen. Oftmals liegt die Lösung ja schon zum Greifen nah, es fehlt lediglich die mentale Verbindung dazu. Diese wird mit der systemischen Gesprächsführung hergestellt.

Aktives Zuhören als zugewandte Kommunikation

Neben zahlreichen Frageformen und -arten geht mit der systemischen Gesprächsführung auch das aktive Zuhören einher. Im Mittelpunkt steht dabei, wirklich bewusst zuhören zu können und dies auch zu signalisieren. Wir können nicht nicht hören, also gehen wir häufig davon aus, dass unser Gegenüber doch mitbekommt, was wir sagen, und vergessen dabei, dies auch zu zeigen. Das aktive Zuhören hingegen verdeutlicht, dass alle Informationen zudem gut angekommen sind. Nachfragen, Bestätigungen oder auch Äußerungen des Staunens geben dem Gespräch eine ganz neue Dimension und Tiefe.

Ein Lösungsassistent von außen

Ein Boot lässt sich nicht von den Menschen anschieben, die in ihm sitzen! Wenn also jemand im eigenen System „gefangen“ ist, kann er keine Perspektive von außen einnehmen. Übrigens: Es muss nicht zwangsläufig ein Dilemma vorliegen, um systemische Gespräche zu führen. Auch in normalen Alltagsgesprächen erreicht man eine sehr tiefgreifende Nuance, wenn systemische Aspekte hinzukommen. Das Gegenüber fühlt sich viel mehr angenommen und ist daher umso mehr bereit, an einer eigenen Lösung zu arbeiten.

Längst hat die systemische Gesprächsführung den Hafen von Coaching, Mediation oder therapeutischen Interventionen verlassen und im Rahmen abflachender Hierarchien und einer menschenbewussten Führung auch in der Zahnarztpraxis Einzug gehalten. Immer mehr ist die Rede von systemischer Lösungsorientierung. Der systemische Ansatz bringt ein neues Gefühl in die Führungsaufgabe. Es ist eine zugewandte Führungslinie erkennbar, die für die Mitarbeitenden die Möglichkeit schafft, ein ganzheitliches und nach allen Seiten abgeklärtes Vertrauensverhältnis aufzubauen. Sich dieser Aufgabe und der damit verbundenen Verantwortung zu widmen und bewusst zu werden, ist die Aufgabe der Zahnärzte unserer Zeit. Vertrauen und Zuversicht sind Werte, die ein Praxisteam durch besondere Zeiten tragen – so wie wir sie immer wieder einmal erleben!

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