Praxismanagement 10.09.2012
Kein Schadensersatz bei Abbruch kieferorthopädischer Behandlung
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Im vertragszahnärztlichen Bereich geben die Verträge der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung mit den Krankenkassen den Rahmen für einen Behandlungsabbruch vor. Nach §2 Abs. 4 S. 3 des Ersatzkassenvertrages zwischen der KZBV, dem Verband der Angestellten-Krankenkassen sowie dem AEV, Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e.V., hat der Vertragszahnarzt „insbesondere darauf zu achten, dass der Behandlungsaufwand in einem sinnvollen Verhältnis zur Prognose und zur erreichbaren Verbesserung des Gesundheitszustands des Patienten steht“.
Leistungen, die keine Verbesserung des Gesundheitszustands bringen, dürfen nicht erbracht werden. In diesem Fall lässt der Ersatzkassenvertrag explizit den Abbruch der Behandlung durch den Vertragszahnarzt zu. So heißt es in §7 Abs.5: „Der Vertragszahnarzt unterrichtet die Ersatzkasse schriftlich, wenn die kieferorthopädische Behandlung in dem durch den Behandlungsplan bestimmten medizinisch erforderlichen Umfang abgeschlossen wurde bzw. einen unplanmäßigen Verlauf nimmt.“ Weiter heißt es: „Über den Abbruch einer kieferorthopädischen Behandlung ist die Ersatzkasse unter Angabe der Gründe ebenfalls schriftlich zu unterrichten.“ Nach §16 Abs. 4 des Bundesmantelvertrages Zahnärzte (BMV-Z) soll der Kassenzahnarzt die Krankenkassen über besondere Vorkommnisse, welche die Versichertengemeinschaft schädigen, und über besondere Umstände, z.B. bei Abbruch der kieferorthopädischen Behandlung, unterrichten. Ein besonderes Vorkommnis im Sinne des §16 Abs. 4 BMV-Z liegt auch dann vor, wenn kieferorthopädische Behandlungsmittel nicht sorgfältig behandelt werden.
Patient zur Mitwirkung verpflichtet
Grundsätzlich kann der Behandlungsvertrag als Dienstvertrag im Sinne des §627 Abs. 1 BGB jederzeit von beiden Seiten auch ohne wichtigen Grund gekündigt werden (BGH, Entscheidung v. 29.3.2011 – VI ZR 133/10). Das gilt für den privat Versicherten eben-so wie für den gesetzlich Versicherten. Einer „Vorankündigung“ bedarf es zur Kündigung nicht. Dennoch erscheint es aus Sicht des Zahnarztes sinnvoll, bei der Behandlung Minderjähriger den oder die Erziehungsberechtigten auf einen bevorstehenden Behandlungsabbruch hinzuweisen, wenn z.B. die Mitwirkung des Patienten nicht (mehr) gegeben ist. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn Hinweise zur Mundhygiene nicht befolgt oder Behandlungstermine ohne Grund versäumt werden. Die Mitwirkungspflicht des Patienten folgt aus dem Behandlungsvertrag. Wichtig: Eine Kündigung des Behandlungsvertrages muss gegenüber den gesetzlichen Vertretern eines minderjährigen Patienten (Erziehungsberechtigten) ausgesprochen werden. (Auf das Rechtskonstrukt des Kindes als Erklärungsboten, das die mündlich ausgesprochene Kündigung des Behandlungsvertrages den Eltern weitergibt, sollte man sich nicht verlassen.) Soweit die Behandlung grundsätzlich bei jedem anderen Kieferorthopäden fortgesetzt werden kann, sieht auch die Rechtsprechung keinen Hinderungsgrund für eine Kündigung (AG München, Urteil v. 9.3.2012 – 261 C 19530/11). Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn der Behandler eine Monopolstellung hat, so das Kammergericht Berlin (Urteil v. 4.6.2009 – 20 U 49/07), und die Behandlung von daher nur bei diesem weitergeführt werden kann. Das dürfte bei der kieferorthopädischen Behandlung nicht der Fall sein, gibt es doch in räumlich zumutbarer Entfernung in der Regel genügend Kieferorthopäden. Dabei kommt es nicht darauf an, dass diese tatsächlich auch bereit wären, die Behandlung fortzuführen. Im Fall des vor dem AG München von uns erstrittenen Urteils hatten die Eltern der Patientin auf Schadensersatz geklagt, da sie nach dem Abbruch der Behandlung auf ihrem Eigenanteil „sitzen geblieben waren“. Sinn und Zweck des Versichertenanteils ist allerdings, die Mitwirkung des Patienten an der medizinischen Behandlung zu fördern. Die Eigeninitiative des Versicherten soll geweckt werden. Der Selbstbehalt soll Anreize schaffen, die Behandlung nicht vorzeitig abzubrechen. Wolf („Das moralische Risiko der GKV im Spannungsfeld zwischen Solidarität und Eigenverantwortung“, Universität Köln, Diss. 2009) spricht sogar von einem „gewissen Erziehungseffekt“. Der Eigenanteil kann daher in diesem Fall nicht zurückgefordert werden.
Eigenanteil hat „Erziehungseffekt“
Wo die fehlende Mitwirkung des Patienten hinreichend dokumentiert und durch Aussagen des Praxispersonals bezeugt werden kann, „hält“ die Kündigung des Behandlungsvertrages auch vor Gericht. Hier gibt es für einen Schadensersatzanspruch kei-ne Rechtsgrundlage, zumal der durch die Kündigung entstehende Schaden erst einmal belegt werden müsste. Den Kieferorthopäden trifft auch keine Schutzpflicht (gem. §241 Abs.2 BGB) hinsichtlich des Vermögens seines Patienten.
Fazit
Bereits in den allgemeinen Informationen zu Beginn einer kieferorthopädischen Behandlung sollte schriftlich darauf hingewiesen werden, dass der Behandlungsvertrag, z.B. bei fehlender Mitwirkung des Patienten, gekündigt werden kann. Patienten sollten auch darüber informiert werden, dass der Vertragszahnarzt gehalten ist, die Krankenkasse zu informieren, wenn die Behandlung einen unplanmäßigen Verlauf nimmt. Die fehlende Mitwirkung sollte ausreichend dokumentiert werden; schriftliche Hinweise an die Eltern minderjähriger Patienten sind sinnvoll. Auch die Kündigung selbst sollte gegenüber den Erziehungsberechtigten schriftlich erfolgen.