Praxismanagement 13.10.2016
Mehrkosten-Marketing im Visier der GKV
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Der GKV-Spitzenverband untersuchte Homepages von KFO-Praxen hinsichtlich einer vergleichenden öffentlichen Beschreibung kassenärztlicher Leistungsangebote. Er monierte dabei das teils zu werbewirksame Marketing kieferorthopädischer Mehrkosten.
Seit der BEMA-Neubewertung im Jahr 2004 sind Mehrkosten in allen kieferorthopädischen Praxen ein Alltagsthema. Ursache hierfür sind Aufklärungspflichten und betriebswirtschaftliche Erfordernisse. Da es keine einheitliche Rechtsgrundlage für diese höherwertigen Materialien und Dienstleistungen gibt, unterscheiden sich die Kostenvoranschläge bzw. Zusatzvereinbarungen je nach Bundesland und KZV erheblich. Im Jahr 2015 hat sich als letzte Instanz der kassenzahnärztlichen Selbstverwaltung die KZBV mit dem Mehrkostenthema beschäftigt. In einem neuartigen „Letter of intent“ und einer ausführlichen Publikation in der ZM hat sich die KZBV zu kieferorthopädischen „Mehrleistungen“ positioniert. Im Rahmen dieses berufspolitischen Agierens wurde für die zwölf Jahre alte Bezeichnung „Mehrkosten“ ausgehend von höheren Kosten für höherwertiges Material 2015 ein dritter euphemistischer Begriff etabliert: „add on“. Durch diese Aktivitäten hat die KZBV die Existenz von „kieferorthopädischen Mehrleistungen“ erstmals öffentlich anerkannt. Der Rechtsrahmen bzw. die Sicherheit hat sich dadurch für die Leistungserbringer jedoch keinesfalls verändert. Nur die Breite der Akzeptanz hat scheinbar zugenommen.
GKV-Aktivitäten zur IGeL-Aufklärung
Der medizinische Dienst des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) hat den sogenannten IGeL-Monitor gegründet. Diese Homepage (www.igel-monitor.de) hat sich zum Ziel gesetzt, generell über den IGeL-Markt und seine Akteure aufzuklären. Zum anderen möchte der Dienst einzelne IGeL-Angebote wissenschaftlich fundiert bewerten, um Versicherte in die Lage zu versetzen, sich für oder gegen die IGeL-Angebote zu entscheiden. Bisher wurde aus dem Bereich der Zahnmedizin nur eine einzige Leistung, nämlich die professionelle Zahnreinigung, kritisch bewertet. Gegen diese abfällige Einschätzung haben die Bundeszahnärztekammer und die KZBV am 12.07.2016 eine Gegendarstellung publiziert (www.bzaek.de): „... Die Professionelle Zahnreinigung (PZR) ist wesentlicher Bestandteil eines präventionsorientierten Gesamtkonzepts zur Vermeidung und Therapie von Erkrankungen des Zahn-, Mund- und Kieferbereichs. Vor diesem Hintergrund die PZR als sogenannte Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) einzustufen, wird ihr nicht gerecht. Sowohl bei der Vermeidung von Karies und insbesondere in der Parodontitistherapie werden in den Praxen tagtäglich die Elemente der PZR auch zur Sicherung des Behandlungserfolges eingesetzt, …“. Kieferorthopädische Angebote tauchten bisher beim IGeL-Monitor nicht auf.
KFO-Homepages im Visier der GKV
Der Spitzenverband der GKV hat die Kieferorthopädie durchaus als Untersuchungsfeld im Visier. Eine investigative Abteilung untersuchte in den letzten Monaten die Homepages von vielen Kieferorthopäden aus allen Bundesländern hinsichtlich einer vergleichenden öffentlichen Beschreibung der kassenzahnärztlichen Leistungsangebote. Anschließend hat sich der GKV-Spitzenverband bei der KZBV über die bestehende öffentliche Desinformation auf den werbewirksam platzierten Homepages der Kieferorthopäden beschwert. Die KZBV hat die regionalen KZVen am 26.8.2016 über diese Missstände bei den Kieferorthopäden aufgeklärt und um Abhilfe gebeten: „Auf den Internetseiten einiger kieferorthopädischer Praxen wird im Zusammenhang mit der Versorgung mit festsitzenden Apparaturen über die Vor- und Nachteile eines Standardbogens aus Edelstahl einerseits sowie eines hochelastischen Bogens andererseits informiert. Zum Standardbogen aus Edelstahl wird auf den betreffenden Praxisseiten ausgeführt, dass es sich um eine Kassenleistung handle, dieser günstig sei und von diesem meist ein hoher Druck auf die Zähne ausgehe (Gefahr der Wurzelschädigung). Zum hochelastischen Bogen wird ausgeführt, dass es sich dabei nicht um eine Kassenleistung handle, von diesem ein geringerer Druck auf die Zähne ausgehe und er daher schonender für Zahnwurzeln und Zahnhaltegewebe sei. Diese Aussagen sind nach der Bewertung von KZBV, BDK, DGKFO und DGZMK fachlich unzutreffend.Mit dem Standardbogen aus Edelstahl ist bei indikations- und sachgerechter Anwendung eine erhöhte Schädigungsgefahr u. a. für die Zahnwurzel auch im Vergleich zum hochelastischen Bogen nicht verbunden. Erst recht kann in diesem Zusammenhang keinesfalls von einer regelhaft vorliegenden Gefahr der Wurzelschädigung gesprochen werden, wie sie der von den betreffenden Praxen gewählten Darstellung zu entnehmen ist und nach hiesiger Bewertung auch entnommen werden soll. Die fachlich unzutreffende Information verlässt den Rahmen einer wertneutralen Aufklärung über Behandlungsalternativen und ist daher zu unterlassen. In der Anlage erhalten Sie einige Screenshots, anhand derer Sie sich ein eigenes Bild machen und in geeigneter Form auf die betreffenden kieferorthopädischen Praxen zugehen können.“
GKV-Beschwerde geht an die Zahnärztekammern
Die regionalen KZVen habe diese GKV-Kritik bezüglich der Homepages an die zuständigen Zahnärztekammern weitergeleitet, da es sich formal gesehen um einen berufsrechtlichen Verstoß der Kieferorthopäden handelt. Die Ahndung berufsrechtlicher Verstöße, wie z. B. irreführender Werbung, obliegt der Kammeraufsicht. Die Abänderung der Homepageinhalte hat bei den betroffenen Kieferorthopäden bereits begonnen.
Rechtliche Grenzen von Werbeaussagen
Öffentliche Ausführungen auf einer Homepage von Zahnärzten unterliegen formal dem Heilmittelwerberecht (HWG) sowie dem Wettbewerbsrecht (UWG, Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb). Die betroffenen Kieferorthopäden können sich auf Artikel 12 des Grundgesetzes berufen. Werbung von Zahnärzten ist nicht zu beanstanden, wenn bei einer Abwägung zwischen dem Interesse des Zahnarztes und dem Bedürfnis des Patienten auf Information die Berufsausübungsfreiheit überwiegt. Ausnahmen bestehen vor allem dort, wo eine unsachliche, weil übermäßig anpreisende oder gar irreführende Werbung stattfindet. Schaut man sich die Gegenüberstellung von den Kassendrahtbögen aus Edelstahl mit den hochelastischen Drahtqualitäten auf den betroffenen Homepages an, dann lässt sich die Argumentation des GKV-Verbandes nachvollziehen.
Welche Werbung ist nicht gestattet?
Unsachliche, übermäßig anpreisende oder gar irreführende Werbung ist Ärzten nicht erlaubt. Bei einer sogenannten vergleichenden Werbung mit Wettbewerbern bestehen im Einzelfall rechtliche Bedenken. Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht einen Preisvergleich in einem Internetportal als rechtmäßig anerkannt (BVerfG, 8.12.2010, 1 BvR 1287/08). In der Musterberufsordnung der BZAEK wird in § 21 die berufswidrige Werbung angesprochen: „Dem Zahnarzt sind sachangemessene Informationen über seine Berufstätigkeit gestattet. Berufsrechtswidrige Werbung ist dem Zahnarzt untersagt. Berufsrechtswidrig ist insbesondere eine anpreisende, irreführende, herabsetzende oder vergleichende Werbung. Der Zahnarzt darf eine berufsrechtswidrige Werbung durch Dritte weder veranlassen noch dulden und hat dem entgegenzuwirken.“
KFO-Homepages mit anpreisender Werbung?
Die meisten Internetauftritte von Kieferorthopäden sind eher zurückhaltend und sachlich orientiert. Die Rechtsprechung hat in den letzten zehn Jahren die Grenzen von Werbeaktionen in der Medizin ausgeweitet, sodass sich die beklagten Zahnärzte meist mit ihren Marketingaktivitäten durchgesetzt haben. Eine unzulässige Werbung muss übertrieben marktschreierisch und reißerisch formuliert sein. Dabei ist immer der Gesamteindruck einer werbehaften Aussage zu betrachten.
Wo sind die Grenzen verkaufsfördernder Angaben?
Sogenannte verkaufsfördernde Maßnahmen, wie z. B. das Werben mit Festpreisen, Sonderpreisen, Sonderangeboten, Rabatten, Skonto, Geld-zurück-Garantien, kostenfreien Dienstleistungen, ist für Zahnärzte nicht anzuraten und hat bei Gericht wenig Aussicht auf Erfolg. Die Werbung mit einem PZR-Gutschein und/oder Zahnbleaching für den Festbetrag X verstößt gegen ärztliches Preis- und Werberecht. Zahnärztliche Leistungen sind keinesfalls als Pauschalbetrag, sondern nur nach der GOZ berechenbar. Rabatte und Skonto sind in der GOZ jedoch nicht vorgesehen. Eine Geld-zurück-Garantie wurde bei Gericht als unzulässiges Erfolgsversprechen in der Medizin abschlägig beschieden. Das Oberlandesgericht Hamm hat eine Werbung für ein kinesiologisches Behandlungsverfahren abschlägig entschieden (OLG Hamm, 20.5.2014, 4 U 57/13): „Bei gesundheitsbezogener Werbung sind besonders strenge Anforderungen an die Richtigkeit, Eindeutigkeit und Klarheit der Werbeaussage zu stellen, da mit irreführenden gesundheitsbezogenen Angaben erhebliche Gefahren für das hohe Schutzgut des Einzelnen sowie der Bevölkerung verbunden sein können. (...) Im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung gilt für Angaben mit fachlichen Aussagen auf dem Gebiet der gesundheitsbezogenen Werbung generell, dass die Werbung nur zulässig ist, wenn sie gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis entspricht. (...) Diese Voraussetzung ist nicht gegeben, wenn dem Werbenden jegliche wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse fehlen, die die werbliche Behauptung stützen können. (…) Unzulässig ist es außerdem, wenn mit einer fachlich umstrittenen Meinung geworben wird, ohne die Gegenmeinung zu erwähnen.“ Kostenpflichtige Eingangsuntersuchungen in Badehosen oder Bikini beim Kieferorthopäden zur Beurteilung einer Sprunggelenks-, Knie-, Becken- bzw. Wirbelsäulenverschiebung werden als umsatzträchtiges Mehrkosten-Marketing bei Gericht keine Aussicht auf Erfolg haben. Ankündigungen hinsichtlich einer Erfolgsgarantie für KFO-Behandlungen oder für hochpreisige Retainer ohne jegliches Bruch- und Rezidivrisiko sind als unerlaubte Werbebotschaften einzustufen.
Welche Mehrkosten-Aufklärung ist unverzichtbar?
In den meisten KFO-Praxen gibt es zwei Arten von Mehrkosten, die Doppelabrechnung von höherwertigen Brackets und Bogenmaterialien. Dabei ist es generell anzuraten, das hochelastisches Bogenmaterial als außervertragliche Leistung vollständig über GOZ abzurechnen und eine risikobehaftete anteilige Doppelabrechnung über die KZV apriori zu vermeiden ist. Dadurch werden Erstattungsdiskussionen mit zusätzlichen privaten Kostenträgern für alle Beteiligten deutlich einfacher.
Dass Kieferorthopäden ihren Patienten unterschiedliche Brackettypen anbieten, ist heute ein allgemeinüblicher unverzichtbarer Aufklärungsstandard. Davon abzugrenzen ist die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit von höherwertigen Brackets. Die Kosten für höherwertige Bracketbauarten sind gegenüber privaten Kostenträgern nicht ansetzbar, da hierfür keine medizinische Notwendigkeit besteht. Mit allen Bracketbauarten (selbstligierend, Straight wire, Egdewise usw.) können vergleichbare Therapieergebnisse erzielt werden. Ein wissenschaftlich gesicherter Unterschied bei den Therapieergebnissen in Abhängigkeit zur Bracketbauart konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Die Kosten für höherwertige Bracketmaterialien aus Keramik, Kunststoff, Titan bzw. nickelfreie Legierungen sind medizinisch notwendig, wenn eine nachgewiesene Nickelallergie mit intraoraler Manifestation an den Schleimhäuten klinisch vorliegt bzw. von einem Allergologen nachgewiesen werden konnte. Diese Allergien sind extrem selten. Ein Erstattungsanspruch gegenüber privaten Kostenträgern für höherwertige Brackets ist zumeist nicht vorhanden.
Ist regionales Mehrkosten-Marketing risikobehaftet?
In verschiedenen Bundesländern bzw. KZV-Verwaltungsregionen wurden hinsichtlich der Mehrkosten-Liquidation mit einzelnen Krankenkassen Sonderverträge abgeschlossen. Im Bundesland Baden-Württemberg wurde z. B. mit der AOK und der Landwirtschaftlichen Krankenkasse eine Mehrkosten-Fähigkeit für die sogenannten Kernpositionen BEMA 119 OK/UK und 120 vereinbart. Die Doppelabrechnung von den GOZ-Ziffern 6030–6080 mit den BEMA-Ziffern ist sicherlich nur in extrem wenigen Patientenbefunden denkbar, da hierzu keinerlei abgrenzender formaler Kriterienkatalog, wie z. B. die Positivliste, vorliegt. Man kann den Kieferorthopäden in den bevorzugten Bundesländern von dieser Form der Doppelabrechnung nur abraten, da private Kostenträger diese Kosten meist nicht erstatten und die angerufenen Gerichte oftmals solche Mehrkosten als unberechtigt verwerfen können.
Wie prüfen Gerichte die Mehrkosten?
Vom Vorsitzenden Richter wird zur Beurteilung der geplanten bzw. abgerechneten Mehrkosten meist ein Sachverständiger hinzugezogen. Gerichtssachverständige müssen zumindest Fachzahnärzte für KFO sein. Zusätzlich formuliert das Gericht hinsichtlich der berechneten Mehrkosten und Zusatzvereinbarung meist einen umfassenden Beweisbeschluss mit folgenden Festlegungen: Der Sachverständige hat anhand der Rechnungslegung gegenüber der KZV und anhand der vorliegenden privaten Liquidationen gegenüber der Klägerin die bestehende Mehrkosten-Zusatzvereinbarung zu prüfen. Inwieweit konnte eine fachgerechte private Leistungsliquidation erfolgen, die über das Maß der gesetzlichen Versorgungsleistung hinausgehen und zusätzlich medizinisch notwendig waren. Zur Abgrenzung der Mehrkosten soll der Sachverständige auf die Positivliste der KZBV (http://kzbv.de/kzbv-schnittstellen-bemagoz.media.pdf) zurückgreifen, soweit diese ständige Anwendung in der Praxis findet. Zusätzlich sind die abgerechneten Leistung hinsichtlich der Vorgaben aus der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) zu prüfen und inwiefern die gesetzlich versicherten Leistungen angerechnet wurden.
Schlussfolgerung
Kieferorthopädische Mehrkosten sind zwölf Jahre nach der BEMA-Neubewertung ein fester Angebots- und Aufklärungsbestandteil der Kieferorthopädie. Der ungesicherte rechtliche Rahmen erfordert für die Leistungsanbieter ein zurückhaltendes Marketing auf der Grundlage der Positivliste und der medizinischen Notwendigkeit. Bei jeder Zuzahlung sind die gebührenrechtlichen Regularien der GOZ und der Kassenverträge zu beachten. Es empfiehlt sich, die sogenannte Doppelabrechnung einer Leistung über die KZV und privat auf höherwertige Brackets zu beschränken. Konflikte mit dem GKV-Spitzenverband, Medien und Gesundheitspolitikern sind nur durch eine nachvollziehbare wissenschaftlich begründete Anwendung des Mehrkosten-Marketings mit Augenmaß zu vermeiden. Anpreisende Werbung auf Homepages, gedruckten Praxisangeboten wie Flyern oder ausgereichten Zusatzangeboten sollten formal und inhaltlich einer Nachprüfung bei privaten Kostenträgern und Gerichten standhalten.
(Vorabdruck aus KFO-Marketing – Skript 2.0, welches am 11. November 2016 erscheint.)