Praxismanagement 22.02.2023
Praxisgründung braucht Wissen in alle Richtungen
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Der zahnärztliche Nachwuchs entscheidet sich immer weniger für eine Niederlassung – besonders bei jungen Zahnärztinnen sind die Gründungsbedenken groß. Dr. Anke Welly, Vorstandsmitglied der Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern, stellt im Interview unter anderem das Agieren ihrer Kammer vor, um junge Berufstätige für eine Niederlassung zu gewinnen.
Dr. Welly, was tun Sie als Vorstand, um den zahnärztlichen Nachwuchs über die vielfältigen Möglichkeiten der Berufsausübung zu informieren?
Mecklenburg-Vorpommern leidet, wie andere Bundesländer gewiss auch, an einem Ungleichgewicht zwischen Praxisschließungen und Praxisneueröffnungen. Während jährlich mehr als 60 Praxen geschlossen werden, wagen im Durchschnitt lediglich 40 Zahnärzte einen Neustart. Das liegt vor allem am demografischen Wandel: Die „Babyboomer“ treten ihren wohlverdienten Ruhestand an und der Nachwuchs kann diese Lücke nur schwer füllen. Als Zahnärztekammer wissen wir um die Problematik und konzentrieren uns deshalb darauf, jungen Zahnmedizinern die Vorteile der Selbstständigkeit näherzubringen und für die eigene Praxis zu begeistern. Gemeinsam als zahnärztliche Körperschaften thematisieren wir im Rahmen von Berufskundevorlesungen an den Universitäten Rostock und Greifswald nicht nur die generellen Vorteile einer Selbstständigkeit, sondern auch die Chancen, die eine Niederlassung im ländlichen Bereich bietet. Im intensiven Austausch mit den Studierenden wird aber vor allem deutlich, dass ihnen betriebswirtschaftliche Kenntnisse fehlen und Begriffe wie Investitions- und Kostenberatung (INKO) oft unbekannt sind. Diese Kenntnismängel erschweren den Schritt in die Selbstständigkeit.
Meine Empfehlung: Specht miteinander!
Regelmäßige Qualitätszirkel und Study Clubs helfen nicht nur, die fachliche Kompetenz zu bereichern, sondern sind auch gut geeignet, die Wirtschaftlichkeit der eigenen (oder zukünftigen) Praxis zu hinterfragen. Sprechen Sie neben Fachleuten wie Steuerberatern auch mit ehemaligen Kommilitonen oder befreundeten Zahnärzten, das hilft auch bei der Definition der eigenen Ziele und Vorstellungen. Um entscheidende Aspekte planen zu können, muss jeder wissen, wie groß der Stellenwert einzelner Parameter ist.
Wie bauen Sie Bedenken vonseiten des Nachwuchses gegenüber einer Praxisgründung ab?
Eines unserer besonderen Herzensprojekte als zahnärztliche Körperschaften in Mecklenburg-Vorpommern ist der Tag der Chancen. Bei dieser Veranstaltung im schönen Ostseebad Warnemünde laden wir Vorbereitungsassistenten, angestellte Zahnärzte und Studierende ein: Neben Fachvorträgen zum Thema Niederlassung und Praxisgründung können sich junge Zahnärzte mit niedergelassenen Kollegen austauschen und erhalten so wertvolle Tipps, können aber vor allem offen und ehrlich über Hürden und Fehler im Gründungsprozess sprechen. In zwangloser Atmosphäre gibt es beim anschließenden Abendessen genügend Zeit, um ins Gespräch zu kommen. Aus diesem Projekt heraus ist ganz aktuell eine Imagekampagne entstanden. Es wurde eine Video-Serie entwickelt, in der junge Zahnärzte berichten, weshalb sie sich bewusst für eine Niederlassung im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern entschieden haben, insbesondere mit dem Fokus Niederlassung im ländlichen Raum. Wir hoffen auf große Resonanz, Neugierde und Vernetzung mit jungen Kollegen, die das Abenteuer Praxisgründung avisieren. Zusätzlich gibt es seit drei Jahren die Arbeitsgruppe „Förderung des beruflichen Nachwuchses“. Die Mitglieder präsentieren sich auf der Homepage der ZÄK und berichten im persönlichen Gespräch sowie im Rahmen von Online-Fortbildungen in Form eines Existenzgründertalks von ihren eigenen Erfahrungen. Demnächst können Interessierte auch über soziale Medien von diesem Angebot der Arbeitsgruppe profitieren.
Stichwort Vereinbarkeit von Familie und Praxisgründung – wie machbar erachten Sie das Ganze?
Die Themen Schwangerschaft und Selbstständigkeit sind ehrlich gesagt leider aus finanzieller Sicht nur schwer miteinander vereinbar. Problematisch ist, dass es sich beim Mutterschutzgesetz lediglich um ein Arbeitnehmerschutzgesetz handelt, was damit nicht bei schwangeren Selbstständigen anwendbar ist. Selbstständige Zahnärztinnen „dürfen“ zwar, sofern sie sich gesundheitlich dazu in der Lage fühlen, bis unmittelbar vor und auch direkt nach der Geburt arbeiten, müssen aber auf eigene Rücklagen zurückgreifen, wenn sie sich entschließen, in der Schwangerschaft oder Stillzeit nicht zu arbeiten. Das bedeutet auch, dass für Selbstständige kein Beschäftigungsverbot möglich ist.
Film läuft: Zahni in Mecklenburg-Vorpommern
Die Zahnärztekammer Mecklenburg-Vorpommern hat auf ihrem YouTube-Kanal die Reihe „Zahni in MV“ gestartet, die niedergelassene Zahnärzte in einzelnen Porträts vorstellt und so für eine Gründung im Bundesland wirbt. Frau Dr. Welly ist Teil dieser Reihe.
Kann man sagen: Angestellten Zahnärztinnen geht es grundsätzlich besser?
Das würde ich so nicht unterschreiben. Wie immer gibt es Vor-, aber auch Nachteile. Denn das geringere finanzielle Risiko in Schwangerschaft und Stillzeit für angestellte Zahnärztinnen ist ja nur ein Aspekt. Auf der anderen Seite ist es für schwangere angestellte Zahnärztinnen kaum möglich, am Patienten zu arbeiten, selbst wenn der Wunsch besteht. Dadurch kann sich zum Beispiel die Weiterbildungszeit innerhalb einer Fachzahnarztausbildung deutlich verlängern.
Wann raten Sie Zahnärztinnen zur Praxisgründung – vor, mitten oder nach der Familiengründung?
Eine generelle Empfehlung kann ich hier nicht geben, denn das ist immer eine individuelle Entscheidung der Zahnärztin im Kontext ihres persönlichen, aber auch beruflichen Umfeldes. Ich persönlich habe die Elternzeit in der Anstellung verbracht, aber es ist ja ein Unterschied, ob jemand in einer Praxisgemeinschaft oder in einer Einzelpraxis niedergelassen ist, ob Großeltern im Krankheitsfall des Kindes kurzfristig einspringen können oder generell die Kinderbetreuung übernehmen. Übernimmt ggf. der Kindsvater die Elternzeit oder springt vielleicht sogar der Praxisvorgänger gern als Vertretung ein? All das sind Faktoren, die diese Entscheidung in die eine oder die andere Richtung beeinflussen können. Vorteile in der eigenen Praxis sind ganz klar die Möglichkeit, die Arbeitszeiten optimal festlegen, den Familienurlaub viel freier planen und auch die Praxisphilosophie selbst bestimmen zu können. Es gibt genügend Beispiele, bei denen die Familienplanung parallel zum Praxisaufbau sehr gut funktioniert hat.
Vorurteile abbauenWir müssen es als Standesvertreter schaffen, Ressentiments zu entkräften: Wer eine Praxis übernimmt oder neu gründet, fürchtet sich zunächst vor (hohen) Investitionen. Es muss aber Verständnis dafür geschaffen werden, dass Investitionskosten nicht gleichbedeutend mit einem hohen Risiko sind. Entscheidend für den Erfolg der eigenen Praxis sind vielmehr eine gute Vorbereitung und Planung. Existenzgründerprogramme und Fortbildungsveranstaltungen sowie Curricula vermitteln alles Entscheidende zur Gründung und Führung einer Zahnarztpraxis. Hilfe für den ParagrafenwaldNeben allgemeinen Aspekten – Betriebswirtschaft, Führung, Kommunikation und rechtliche Grundlagen – der Praxisgründung ist es für uns als Körperschaften aber auch wichtig, auf die aktuelle Situation in unserem Bundesland einzugehen. Da die Zahl der abzugebenden Praxen aktuell wesentlich höher ist als die Gesuche junger Gründer, eröffnet sich für die jungen Kollegen eine gute Verhandlungsgrundlage. Neben den Übernahmekosten ist dies auch im Hinblick auf Reserven für notwendige Investitionen sehr attraktiv. Gesetzliche Grundlagen, Verordnungen und der mit einer Niederlassung verbundenen hohe bürokratische Aufwand können aber auch durch die Standespolitik nicht oder nur bedingt geändert werden. Wir können hier nur vielfältig darüber informieren, wie man am effektivsten durch den Paragrafenwald steuert. |
Dieser Beitrag ist in der ZWP Spezial erschienen.