Recht 15.03.2016
Behandlung von Minderjährigen – Haftungsfalle Einwilligung
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Bei der Behandlung minderjähriger Patienten ist grundsätzlich die Zustimmung beider Eltern erforderlich, sofern ein gemeinsames Sorgerecht besteht. Erscheint nur ein Elternteil mit dem Kind in der Praxis ist nach der Rechtsprechung zu differenzieren, wann der Zahnarzt darauf vertrauen darf, dass der andere Elternteil den anwesenden Elternteil zur Erteilung der Einwilligung ermächtigt hat.
Jeder ärztliche und zahnärztliche Heileingriff stellt zunächst eine Körperverletzung dar und zwar unabhängig davon, ob der Eingriff lege artis erfolgt. Erst durch die Einwilligung des Patienten bzw. dessen Vertreters entfällt nach vorheriger Aufklärung die Rechtswidrigkeit des Eingriffs. Erscheint ein minderjähriger Patient in der Praxis stellt sich daher die Frage, wer aufzuklären ist und ob dieser wirksam in den Eingriff einwilligen kann.
Bei Kindern sind das grundsätzlich deren Eltern als gesetzliche Vertreter. Mit zunehmendem Alter und der damit einhergehenden geistigen und sittlichen Reife und somit der natürlichen Einsichts- und Urteilsfähigkeit können Jugendliche – auch vor Vollendung des 18. Lebensjahres – selbst einwilligungsfähig sein. Dies gilt allerdings nur in engen Grenzen, und der Zahnarzt hat sich persönlich von der Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Jugendlichen ein Bild zu machen. Dabei muss er die gesamten Umstände wie Alter, physische und psychische Konstitution, Grad der Verständnisfähigkeit, Herkunft, kulturelle Tradition usw. berücksichtigen.
Eine feste Altersgrenze, ab der ein Zahnarzt von der Einwilligungsfähigkeit eines Jugendlichen ausgehen darf, besteht nicht. Unter 14 Jahren ist in aller Regel nicht von einer rechtswirksamen Einwilligungsfähigkeit des Minderjährigen auszugehen. Je näher sich ein Jugendlicher an der Volljährigkeit befindet, desto eher kann der Zahnarzt – allerdings immer unter Berücksichtigung der individuellen Gegebenheiten, der Bedeutung und der Tragweite der geplanten Behandlung sowie ihrer Risiken und Auswirkungen auf das weitere Leben, von der Einwilligungsfähigkeit des Jugendlichen ausgehen. Ob darüber hinaus auch noch die Einwilligung der Eltern als gesetzliche Vertreter einzuholen ist, wurde bisher von der Rechtsprechung noch nicht eindeutig entschieden. Daher sollte der Zahnarzt in Zweifelsfällen, insbesondere vor risikobehafteten oder in sonstiger Weise für das weitere Leben des Minderjährigen bedeutsamen Maßnahmen, auch die Einwilligung der Eltern einholen.
Dabei stellt sich jedoch die Folgefrage, ob die Einwilligung eines Elternteils ausreichend ist oder ob beide Elternteile der Behandlung zustimmen müssen. Die Einwilligung in eine zahnmedizinische Behandlung ist nämlich Bestandteil der Ausübung der elterlichen Personensorge. Dies hat zur Folge, dass sie – im Falle eines gemeinsamen Sorgerechts – grundsätzlich wirksam nur im Einvernehmen beider Eltern erteilt werden kann.
Selbstverständlich kann jeder Elternteil den anderen ermächtigen, im Einzelfall oder in bestimmten abgegrenzten Bereichen für ihn mit zu handeln, und das kann wie auch sonst im Rechtsverkehr ausdrücklich oder durch schlüssige Handlung geschehen. Daher ist grundsätzlich anerkannt, dass Ärzte und Zahnärzte auf eine solche Ermächtigung desjenigen Elternteils vertrauen dürfen, der mit dem Kind in der Praxis erscheint. Dies gilt zwar im Grundsatz, allerdings ist je nach Schwere des Eingriffs zu unterscheiden.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in mehreren Urteilen folgende allgemeine Grundsätze zur Orientierung aufgestellt: Wenn es um die medizinische Behandlung eines minderjährigen Kindes geht, kann typischerweise davon ausgegangen werden, dass der mit dem Kind beim Arzt, Zahnarzt oder im Krankenhaus vorsprechende Elternteil aufgrund einer allgemeinen Funktionsaufteilung zwischen den Eltern oder einer konkreten Absprache ermächtigt ist, für den Abwesenden die erforderliche Einwilligung in ärztliche Heileingriffe nach Beratung durch den Arzt bzw. Zahnarzt mitzuerteilen. Sicherlich widerspräche es dem besonderen Vertrauensverhältnis zwischen dem Arzt und den Sorgeberechtigten eines behandlungsbedürftigen Kindes, stets den Nachweis einer irgendwie gearteten Ermächtigung oder Einverständniserklärung des nicht anwesenden Elternteiles beim Arzt bzw. Zahnarzt zu verlangen. Eine derartige bürokratische Handhabung wäre nicht nur ganz unpraktikabel, sie würde in der Regel auch nicht der Interessenlage der Eltern gerecht.
Dementsprechend darf sich der Zahnarzt in „Routinefällen“, wenn es etwa um die Behandlung leichterer Erkrankungen und Verletzungen geht, im Allgemeinen ungefragt auf die Ermächtigung des erschienenen Elternteiles zum Handeln für den anderen verlassen.
In anderen Fällen, in denen es um ärztliche Eingriffe schwererer Art mit nicht unbedeutenden Risiken gehe, muss sich der Arzt bzw. Zahnarzt nach Ansicht des BGH darüber hinaus beispielsweise durch Nachfrage vergewissern, ob der erschienene Elternteil die beschriebene Ermächtigung des anderen hat und wie weit diese reicht. Er darf aber, solange dem nichts entgegenstehe, auf eine wahrheitsgemäße Auskunft des erschienenen Elternteils vertrauen.
Geht es allerdings um schwierige und weitreichende Entscheidungen über die Behandlung des Kindes, die mit erheblichen Risiken für das Kind verbunden sind, dann liege nach der Rechtsprechung eine Ermächtigung des einen Elternteils zur Einwilligung in ärztliche Eingriffe bei dem Kind nicht von vornherein nahe. Sie folge weder aus einer üblichen Funktionsteilung zwischen den Eltern, noch könne sich der Arzt oder Zahnarzt, auch wenn er keinen Anhalt für Differenzen zwischen den Eltern des Kindes über die anzustrebende Behandlung habe, darauf verlassen, der ihm gegenüber auftretende Elternteil habe freie Hand, solche schwierigen Entscheidungen allein zu treffen. Eine andere rechtliche Beurteilung würde die Berechtigung und Verpflichtung des anderen Elternteiles, die Personensorge für das Kind gerade in besonders wichtigen Angelegenheiten mit wahrzunehmen, auch unterlaufen. Ihm müsse die Möglichkeit gegeben werden, darauf Einfluss zu nehmen, wie die Entscheidung für die Behandlung des Kindes ausfalle. Deshalb muss sich der Arzt bzw. Zahnarzt in einem solchen Fall die Gewissheit verschaffen, dass der nicht erschienene Elternteil mit der vorgesehenen Behandlung des Kindes einverstanden ist.
Daher gilt, dass der Zahnarzt bei weitreichenden Entscheidungen, die das weitere Leben des Patienten betreffen können, auch den nicht erschienenen Elternteil in die Entscheidung einbeziehen sollte. Bei schwerwiegenden Eingriffen ist es daher ratsam, sich die Einwilligung von beiden Elternteilen unterschreiben zu lassen. Da der Zahnarzt für die ordnungsgemäße Einwilligung im Streitfall die Beweislast trägt, ist es zudem wichtig, auf eine vollständige Dokumentation zu achten.
Minderjährige, die ohne Elternteil allein in der Praxis erscheinen, sollten nur in Ausnahmefällen behandelt werden, also in Notfällen oder aber, wenn eine bereits begonnene Behandlung, in die die Eltern in einem vorangegangenen Termin ordnungsgemäß eingewilligt haben, in einem Folgetermin fortgesetzt wird.