Recht 20.06.2012

Zahnärztliche Aufklärung bei Minderjährigen – gewusst wie

Zahnärztliche Aufklärung bei Minderjährigen – gewusst wie

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Die hinreichende Aufklärung des Patienten im Vorfeld einer Behandlung ist die Pflicht eines jeden Zahnarztes. Bei der Umsetzung im Einzelfall können jedoch Unsicherheiten auftreten, wie der Aufklärungspflicht in ausreichender und beanstandungsfreier Art und Weise nachgekommen werden kann. Insbesondere im Umgang mit minderjährigen Patienten müssen rechtliche Besonderheiten beachtet werden.

Wie muss sich der Zahnarzt beispielsweise verhalten, wenn ein minderjähriger Patient ohne elterliche Begleitung in der Praxis erscheint und eine Kariesbehandlung notwendig ist? Wie ist damit umzugehen, wenn sich ein Minderjähriger einer Behandlung verweigert, zu welcher seine Eltern bereits ihre Zustimmung erteilt haben? Diese und andere Fragen muss sich
ein Zahnarzt im Einzelfall stellen, um seine Pflichten ordnungsgemäß erfüllen zu können. Die sichere Kenntnis der rechtlichen Vorgaben ist von Vorteil, denn eine unterlassene oder unzureichende Aufklärung kann sowohl haftungsrechtliche als auch strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Allgemeine Voraussetzungen

Jeder zahnärztliche Eingriff stellt nach der Rechtsprechung eine tatbestandliche Körperverletzung im Sinne der §§ 223ff. StGB dar, unabhängig davon ob er ärztlich indiziert und lege artis vorgenommen worden ist. Dies gilt nicht nur für therapeutische Maßnahmen, sondern grundsätzlich auch für diagnostische Verfahren. Jeder Eingriff bedarf daher zu seiner Rechtfertigung und damit zur Straflosigkeit einer Einwilligung des Patienten. Das insoweit bestehende Selbstbestimmungsrecht ist verfassungsrechtlich garantiert. Eine wirksame Einwilligung ist dem medizinischen Laien allerdings nur möglich, wenn er den genauen Befund, Art und Umstände des geplanten Eingriffs sowie die damit verbundenen Risiken kennt. Es obliegt dem behandelnden Zahnarzt, den Patienten vorab ausreichend zu informieren und ihm damit die Grundlage für eine selbstbestimmte Entscheidung zu liefern. Nach der entsprechenden Aufklärung soll er sich
ein Bild über Art und Verlauf seiner Erkrankung, die Behandlungsmethode und mögliche Alternativen sowie über den Umfang der Risiken machen können. Die Aufklärung sollte durch den behandelnden Zahnarzt erfolgen und für den Patienten möglichst verständlich dargestellt werden. Außerdem ist es sinnvoll, den Patienten möglichst frühzeitig aufzuklären, um ihm ausreichend Zeit für die Entscheidungs-findung einzuräumen. Im Zivilrechtsweg trägt der Zahnarzt die Beweislast für eine ordnungsgemäße, vollständige und rechtzeitige Aufklärung, sodass sich schon aus Beweisgründen eine schriftliche Ausfertigung der Einwilligung, etwa mithilfe vorformulierter, standardisierter Aufklärungsbögen, anbietet. Es gilt jedoch zu beachten, dass die alleinige Aus-händigung eines solchen Formulars ohne entsprechende Erläuterung nicht den Anforderungen an eine individuelle, einzelfallbezogene Aufklärung genügt.

Besonderheiten bei der Behandlung Minderjähriger

Grundsätzlich soll die zahnärztliche Aufklärung demjenigen zuteilwerden, der seine Einwilligung zu dem Eingriff geben soll, in der Regel also dem Patienten selbst. Problematisch sind Konstellationen, in denen der Patient noch minderjährig ist und sich inso-weit die Frage stellt, ob er eine Einwilligung selbst wirksam erteilen kann. Anders als im Vertragsrecht kann diese Frage nicht mithilfe der Vorschriften zur Geschäftsfähigkeit beantwortet werden, da die Einwilligung keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung darstellt. Dem Minderjährigen ist nicht allein aufgrund seines Alters die Dispositionsbefugnis über seine höchstpersönlichen Rechtsgüter entzogen. Zur Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit wird gemeinhin auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen sowie dessen geistige und sittliche Reife abgestellt. Dabei sind im konkreten Einzelfall Faktoren wie Alter, Herkunft, physischer und psychischer Zustand sowie die Schwere des Eingriffs zu berücksichtigen, wobei dem Zahnarzt ein gewisser Beurteilungsspielraum zugestanden wird. Entscheidend ist, ob der Betreffende in der Lage ist, Tragweite und Risiken des Eingriffs verstehen und beurteilen zu können. Im Allgemeinen gilt der Grundsatz: Je mehr Aufklärung rechtlich geboten ist, desto mehr Information muss der Patient verarbeiten und umso höher sind die Anforderungen an die Einwilligungsfähigkeit.

Beurteilung der Einwilligungsfähigkeit

Erfahrungsgemäß nimmt die Einsichtsfähigkeit mit steigendem Alter zu, starre Altersgrenzen bestehen jedoch nicht. Bei Kindern unter 14 Jahren wird im Großteil der Fälle die Einwilligungsfähigkeit in zahnärztliche Eingriffe abgelehnt, sodass es insoweit auf den Willen der gesetzlichen Ver-treter ankommt. In der Regel sind dies die Eltern, welche im Rahmen der sogenannten „Personensorge“ auch für die ärztliche Versorgung ihres Kindes zuständig sind. Die Entscheidung steht regelmäßig beiden Elternteilen gemeinsam zu, bei geschiedenen Paaren kommt es auf die sorgerechtliche Konstellation an. Es muss also eine umfassende Aufklärung gegenüber den El-tern stattfinden, welche anstelle ihres Kindes in den Eingriff einwilligen können. Geht es um einen bloßen Routineeingriff, so kann der Zahnarzt davon ausgehen, dass der mit dem Kind erschienene Elternteil ermächtigt ist, die Entscheidung für den abwesenden Elternteil mit zu fällen.1 Bei erheblicheren Eingriffen, welche mit nicht unbedeutenden Risiken für die Gesundheit des Kindes verbunden sind, bedarf es hin-gegen einer Rückfrage des Zahnartes hinsichtlich der alleinigen Ent-scheidungsermächtigung des Elternteils. Bei schwerwiegenden Eingriffen ist es geboten, den nicht erschienenen Elternteil mit zu beteiligen.2 Regelmäßig sollte also bei zahnärztlichen Eingriffen die Einwilligung eines Elternteils ausreichen, umfassendere Aufklärungspflichten sind bei umfangreichen oder im Einzelfall besonders risikobehafteten Eingriffen zu beachten.

Ab einem Alter von etwa 12 bis 14 Jahren sollte der Zahnarzt den jungen Patienten bereits in die Aufklärung mit einbeziehen und eine Einschätzung dazu treffen, ob dieser nach den oben genannten Kriterien hinreichend reif und einsichtsfähig erscheint, um die Einwilligung selbst erteilen zu können. Die seiner Einschätzung zugrunde liegenden Umstände sollte er dabei möglichst in der Patientenakte dokumentieren, um bei eventuellen nachträglichen Beanstandungen entsprechende Gründe vortragen zu können. Wird der Patient als ausreichend einsichtsfähig beurteilt, muss auch ihm gegenüber eine den obigen Grundsätzen entsprechende Aufklärung erfolgen und seine Einwilligung zum Eingriff eingeholt werden. Natürlich ist die Art und Weise der Aufklärung regelmäßig dessen individuellem Horizont anzupassen. Trifft der einsichtsfähige Minderjährige eine Entscheidung, so ist diese durch den Zahnarzt zu respektieren, auch wenn sie ihm unvernünftig erscheint oder der Auffassung der Allgemeinheit widerspricht. Entsprechend reicht bei Routineeingriffen die Einwilligung des einsichtsfähi-gen Minderjährigen zur Rechtfertigung aus. Zur Notwendigkeit bei besonders risikobehafteten Behandlungen zusätzlich die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters einzuholen, gibt es bis-her keine eindeutige Rechtsprechung. Es empfiehlt sich jedoch im Zweifels-fall bei bedeutsamen Eingriffen zu-sätzlich die Eltern zu beteiligen.

Divergierende Entscheidungen von Eltern und Kind

Besondere Probleme bereiten Fälle, in denen die Eltern unvernünftige oder abweichende Entscheidungen von denen des Kindes treffen, der Zahnarzt also mit divergierenden Meinungen konfrontiert wird. Besonders im Falle der Verweigerung eines zahnärztlichen Eingriffs durch den einwilligungsfähigen Minderjährigen muss dessen wachsende Selbstständigkeit und sein Selbstbestimmungsrecht beachtet werden. Entsprechend gesteht die Rechtsprechung dem minderjährigen Patienten ein Vetorecht gegen die Einwilligung seiner gesetzlichen Vertreter für den Fall eines nur relativ indizierten Eingriffs zu, der aber mit erheblichen Folgen für die künftige Lebensgestaltung verbunden ist.3 Darüber hinaus muss die ablehnende Entscheidung der Eltern bezüglich ei-nes Eingriffs auch dann kritisch gesehen werden, wenn dieser dringend notwendig ist und die Betroffenen sich jeglicher Vernunft zuwider einer Einwilligung widersetzen. In derartigen Fällen kann eine gerichtliche Entscheidung herbeigeführt werden, welche die Einwilligung ersetzt.

Fazit

Im Hinblick auf seine Aufklärungspflichten ist der Zahnarzt bei der Behandlung minderjähriger Patienten zu besonderer Sorgfalt angehalten, um einer möglichen Haftung zu entgehen. Die Einschätzung der Einwilligungsfähigkeit eines Patienten kann den Behandler vor einige Herausforderungen stellen und wird regelmäßig von den Umständen des Einzelfalles abhängen. In Zweifelsfällen oder bei Unsicherheiten sollte der Zahnarzt fachkundige rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen.


Literatur

1 Vgl. BGH, Urteil vom 10.10.2006, Az: VI ZR 74/05 (für eine Impfung).
2 BGH, Urteil vom 15.02.2000, Az: VI ZR 48/99 (bzgl. Herzoperation).
3 BGH, Urteil vom 10.10.2006, Az: VI ZR 74/05 (bzgl. des Risikos einer Querschnittslähmung).




Laura Oprée
Lyck & Pätzold Medizinanwälte
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