Recht 20.06.2011

Dokumentationspflicht in der vertragszahnärztlichen Versorgung



Dokumentationspflicht in der vertragszahnärztlichen Versorgung

Die Bedeutung der vollständigen Dokumentation wird immer wieder unterschätzt. Manchem mag die lückenlose Dokumentation eine lästige Pflicht sein. Eine unvollständige Dokumentation kann aber spätestens im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren unangenehm werden.

Das Sozialgericht Marburg unterstrich in seiner Entscheidung vom 06.04.2011 (Az. S 12 KA 831/10) die Bedeutung der Dokumentationspflicht. Dieser kommt im Rahmen der vertragszahnärztlichen Versorgung eine ganz besondere Bedeutung zu.

Die Leitsätze der Entscheidung des SG Marburg lauten:

1. Soweit die (zahn-)ärztliche Dokumentationspflicht in  ers- ter Linie therapeutischen Zwecken dient, wird sie im Rahmen des Sachleistungsprinzips innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung erweitert und dient auch zum Nachweis einer wirtschaftlichen und ordnungsgemäßen Leistungserbringung.
2. Fehlt es an einer ausreichenden Dokumentation zum Nachweis einer der Behandlungsrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses entsprechenden Parodontosebehandlung, so kann die gesamte Behandlung wegen Unwirtschaftlichkeit abgesetzt werden.

Der Fall

In dem Gerichtsverfahren vor dem Sozialgericht Marburg wurde wegen einer Honorarkürzung wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise in 46 Parodontose-Behandlungsfällen gestritten. Mehrere Krankenkassen beantragten die Prüfung  verschiedener Parodontose-Behandlungsfälle. Der Prüfungsausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen lud die behandelnde Zahnärztin zu einer Prüfsitzung ein. Man kam zu dem Ergebnis, dass teilweise keine Beanstandungen zu machen seien, teilweise aber auch komplette PAR-Behandlungen abzusetzen seien. Im Ergebnis wurde mit Bescheid Honorarberichtigungen festgesetzt.

Die Position der behandelnden Zahnärztin

Die Zahnärztin legte gegen die Bescheide Widerspruch ein. „Sie trug vor, bei der Prüfung durch den Prüfungsausschuss sei es nicht darum gegangen, ob die von der GKV genehmigte und bezahlte Behandlung erfolgreich gewesen sei, sondern ob sich Angriffspunkte in Einzelpositionen ergeben habe, um die Behandlung als nichtvertragsgerecht abstempeln zu können. Die Prüfung könne sich nur auf vertragszahnärztliche Leistungen erstrecken. Im Gegensatz zu den bis Ende 2003 gültigen Richtlinien (Vorbehandlung sei pauschal in der P200 enthalten gewesen) habe man die Vorbehandlung aus dem vertragszahnärztlichen Leistungskatalog (aus Kostengründen) herausgenommen und ganz bewusst als Privatleistung eingeführt. Insofern könne eine Prüfung diesbezüglich nicht erfolgen. Die Forderung bezüglich der Angaben der Daten der Vorbehandlung oder Forderungen nach Erhebung verschiedener Indizes, die Aussagen zur gingivalen/parodontalen Gesundheit erlaubten (API/Quigley-Hein), seien nicht durch die Richtlinien gedeckt. Die Forderung des Prüfungsausschusses nach lehrbuchhaftem Ablauf einer jeden PA-Therapie widerspreche klinischer Realität. Beispielhaft zu nennen sei die Forderung nach „Fehlen von Zahnstein und sons-tigen Reizfaktoren“. Bei Patienten, denen eine professionelle Zahnreinigung aus ökonomischen Gründen nicht möglich sei, dürfte keine PA-Therapie durchgeführt werden. Den Patienten dürfe aber eine solche Therapie nicht verweigert werden. Allein unter diesem Aspekt seien die Entscheidungen des Prüfungsausschusses in den Fällen inakzeptabel, bei denen bestimmte Fristen und Daten der Vorbehandlung bemängelt würden. In keinem Abschnitt der Richtlinien seien bestimmte Fristen festgelegt. Die Richtlinien überließen den Behandlern die Entscheidung der zeitlichen Abfolge der einzelnen Behandlungsschritte im Rahmen der konservierend-chirurgischen und PA-Therapie. Extraktionen könnten auch in Sitzungen der PA-Therapie erfolgen, bei de-nen ohnehin anästhesiert werde. Auch spreche nichts dagegen, chirurgische oder konservierende Maßnahmen, die nicht mit der PA-Therapie interferierten (Zahnhalsfüllungen, approximale supragingivale Füllungen, Wurzelreste) im Verlauf der PA-Behandlung durchzuführen (Anästhesie!). Der Prüfungsausschuss nehme eine einseitige Interpretation der Richtlinien zum Nachteil des Behandlers vor. Die Wirtschaftlichkeit einer PA-Therapie wäre nur durch eine Erfolgskontrolle durch Nachbegutachtung sinnvoll. Vor Genehmigung einer PA-Therapie bestehe für die gesetzliche Krankenversicherung die Möglichkeit der Vorbegutachtung, wobei die gutachterliche Überprüfung der Vorbehandlungen nach Aktenlage (PA-Status und Röntgenbild) sowie die nachträgliche Prüfung von Prüfungsausschüssen aufgrund von Statistiken, Behandlungsdaten und Röntgenbildern dem Charakter der Erkrankung und den daraus resultierenden Fragestellungen und individuellen Befunden nicht gerecht werde. Wenn die Möglichkeit der klinischen Untersuchung von den Krankenkassen nur spärlich in Anspruch genommen werde, könne dies nicht dem Behandler angelastet werden. …

Soweit ihr vorgeworfen werde, in einigen Fällen sei es unmittelbar nach der Kürettage erneut zur Zahnsteinentfernung gekommen, sei der Begriff unmittelbar sehr dehnbar. Es dürfte bekannt sein, dass sich bei einigen Patienten mit entsprechendem Mineralgehalt im Speichel Zahnstein, unabhängig von Mundhygiene, innerhalb weniger Wochen bilden könne. Bei sämtlichen Patienten seien die notwendigen Füllungen vor der Antragstellung vorgenommen worden. Lägen allerdings Klasse V-Defekte, Füllungen ohne Einfluss auf die Mundhygiene (ohne Approximalflächen) oder ausgewaschene Füllungen vor, so seien diese aus Wirtschaftlichkeitsgründen während der PA-Therapie durchgeführt worden (teilweise auf Wunsch des Patienten, um eine Doppelanästhesie zu vermeiden und um die daraus resultierende körperliche Belastung zu reduzieren). …“

Das Problem der unzureichenden Dokumentation

Das Hauptproblem der behandelnden Zahnärztin war eine  unzureichende Dokumentation. Sie wurde mehrfach auf eine nicht erkennbare vertragsgerechte Vorbehandlung hingewiesen. Allein die unzureichende Dokumentation rechtfertigte nach Auffassung des Sozialgerichts Marburg die Honorarkürzungen. Das Sozialgericht Marburg führt aus: „Der Beklagte war auch nicht verpflichtet, der Klägerin einen Hinweis auf die Komplettabsetzung in allen Fällen wegen mangelnder Dokumentation zu erteilen. Der Beklagte ist im Ergebnis nicht über die Honorarkürzung des Prüfungsausschusses hinausgegangen. Bereits der Prüfungsausschuss hat in fast allen Fällen eine Komplettabsetzung vorgenommen und im Wesentlichen auf die nicht erkennbare vertragsgerechte Vorbehandlung hingewiesen. Damit hatte er hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass es insofern an einem Nachweis und/oder einer ausreichenden Dokumentation fehle. Der Klägerin war dies auch bewusst.“
In dem Verfahren ist die Zahnärztin so verstanden worden, die nicht vollständige Dokumentation sei ihr nicht nur bewusst, sie vertrete vielmehr die Auffassung, eine vollständige Dokumentation sei nicht erforderlich.

Unzureichende Dokumentation = Unwirtschaftlichkeit?

Das Sozialgericht Marburg kommt zu dem Schluss, dass eine unvollständige Dokumentation gleichbedeutend sei mit einer Unwirtschaftlichkeit: „Der Beklagte hat die Absetzungen  im Wesentlichen damit begründet, dass die vorgelegten Dokumentationen unzureichend gewesen seien. Dies war von der Kammer nicht zu beanstanden. Die Durchsicht der von dem Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen der insoweit fachkundig mit einem Vertragszahnarzt besetzten Kammer hat ergeben, dass eine auch nur annähernd aussagefähige Dokumentation nicht vorgelegt wurde. Die Unterla-gen beschränken sich auf den Parodontalstatus, die Abrechnungsscheine mit den Abrechnungsdaten, eine kurze chronologische Auflistung des Behandlungsablaufs ohne nähere Angaben – es werden lediglich die Leistung und der Zahn bezeichnet – und z.T. der Kopie eines Orthopantomogramms. Damit kann auch für einen Zahnmediziner nicht ansatzweise der Behandlungsablauf nachvollzogen werden.

Der Beklagte konnte bei einer fehlenden Dokumentation auf die Unwirtschaftlichkeit schließen. Fehlt es bereits an der Dokumentation, so fehlt es damit bereits an einer Begründung, weshalb Kosten angefallen sind. Grundsätzlich ist für die Erbringung einer zahnärztlichen Leistung der Vertragszahnarzt als Leistungserbringer nachweispflichtig. Im vertragszahnärztlichen Leistungssystem reicht hierfür im Regelfall der Nachweis durch die Angaben des Vertragszahnarztes auf dem Behandlungsausweis aus. Bestehen allerdings Zweifel an der ordnungsgemäßen und/oder vollständigen Erbringung der Leistung, so ist der Vertragszahn- arzt wiederum nachweispflichtig. Ein Mittel für den Nachweis der Leistungserbringung sind seine Aufzeichnungen in der Karteikarte, die auch elektronisch geführt werden kann, oder die angefertigten technischen Aufzeichnungen wie z.B. Röntgenbilder.“

Fazit

Diese Entscheidung zeigt wieder einmal, welch wichtige Bedeutung der ordnungsgemäßen und vollständigen Dokumentation zukommt. In dem Verfahren vor dem Sozialgericht Marburg kam es auf die Fragen der durchgeführten Behandlung teilweise  alleine wegen der unvollständigen Dokumentation gar nicht mehr an. Selbstverständlich hat die Dokumentationspflicht Grenzen.  Dies bestätigt auch das Sozial-gericht Marburg: „Die (zahn-)-ärztliche Dokumentationspflicht dient der Sicherstellung wesentlicher medizinischer Daten und Fakten für den Behandlungsverlauf. Eine Dokumentation, die aus medizinischer Sicht nicht erforderlich ist, ist nach Haftungsgrundsätzen auch aus Rechtsgründen nicht geboten.“ Ein Mindestmaß muss aber in jedem Fall gefordert werden. Wie dieser Fall zeigt, aus eigenen Beweisgründen.

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