Recht 08.03.2023

Nervschädigung bei Weisheitszähnen: Aufklärung über Risiken ein Muss?



Nervschädigung bei Weisheitszähnen: Aufklärung über Risiken ein Muss?

Foto: alesmunt – stock.adobe.com

Weisheitszähne sind die orale Achillesferse und sorgen nicht selten für Beschwerden und Infektionen. Die meist unumgängliche Extraktion dieser sollte möglichst nervenschonend vorgenommen werden. Nichtsdestotrotz kann es zu Verletzungen kommen – meist temporärer Art. Allerdings können auch dauerhafte Schädigungen z. B. des Trigeminusnervs entstehen. Eine entsprechende Aufklärung des zu behandelnden Patienten ist daher wichtig. Ob dies jedoch verpflichtend für den Behandler ist, erläutert der Folgebericht.

Die Extraktion von Weisheitszähnen gehört zum Praxisalltag. Dazu gehört auch die Aufklärung über mögliche Nervschädigungen bei einer Weisheitszahnentfernung. Nach der Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 7.7.2022 (12 U 8/22) muss der Patient nicht nur über das Risiko vorübergehender Beeinträchtigungen durch eine Nervverletzung informiert werden, sondern auch über das Risiko einer – wenn auch nur gering wahrscheinlichen – dauerhaften Beeinträchtigung durch eine Nervverletzung.

Der Entscheidung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts lag folgender Sachverhalt zugrunde: Eine Patientin wurde von der Hauszahnärztin überwiesen, um die Weisheitszähne links (28 und 38) zu entfernen, da Essprobleme und damit verbundene Schmerzen vorlagen. Der Eingriff verlief problemlos. Die später beklagte Zahnärztin empfahl, zeitnah auch die Weisheitszähne rechts (18 und 48) entfernen zu lassen, bevor auch hier Schmerzen auftreten. Das sei eine übliche Vorgehensweise. Die Patientin entschied sich, die beiden verbliebenen Weisheitszähne entfernen zu lassen.

Beeinträchtigungen in Folge

Nach dieser Operation traten allerdings dauerhafte Beschwerden auf. Die Zunge sei dauerhaft taub und der Geschmackssinn auf der Seite stark beeinträchtigt. Dazu kamen Sprachprobleme insbesondere bei s- oder sch-Lauten, was für ihren Beruf als Lehrerin schwierig sei. Die Patientin klagte ferner darüber, sie habe ständig das Gefühl einer geschwollenen Zunge, sie beiße sich beim Essen häufig auf die Zunge und neige zu vermehrtem starkem Speichelfluss im Mund und zu einer spuckenden Aussprache. All dies führte die Patientin auf die zweite Operation zurück, bei der ein irreversibler Nervschaden entstanden sei. Die Zahnärztin hielt der Patientin entgegen, es sei von Anfang die Entfernung aller vier Weisheitszähne in Planung gewesen, da die Patientin in Bezug auf alle vier Weisheitszähne ein zunehmendes Druckempfinden beschrieben habe. Im Rahmen der Untersuchung stellte die Zahnärztin bei den Zähnen 18 und 48 einen Platzmangel fest.

Aufklärungspflicht und Entscheidungskonflikt

Es kam zum Rechtsstreit und das Landgericht stellte in erster Instanz nach Einholung eines zahnärztlichen Sachverständigengutachtens fest, dass kein Behandlungsfehler vorlag. Da das Landgericht es aber als nicht bewiesen ansah, dass die Zahnärztin im Hinblick auf die Weisheitszähne 18 und 48 die Patientin darüber aufgeklärt hat, dass dieser zweite Eingriff mangels Entzündung gerade nicht zwingend notwendig gewesen wäre, warf es ihr einen Aufklärungsmangel vor. Hiergegen ging die Zahnärztin in Berufung und bekam Recht. Im Ergebnis wurde die Klage abgewiesen und die Patientin hatte die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Das Gericht stellte richtig, dass die Patientin sehr wohl über die Alternative des Zuwartens informiert gewesen ist und schob damit die erstinstanzlich festgestellte Aufklärungsrüge beiseite.

Das Oberlandesgericht argumentierte zulasten der Zahnärztin ganz klar, das Risiko über dauerhafte Beeinträchtigungen bei einer Nervschädigung hätte der Patientin erklärt werden müssen. Zwar sei die Wahrscheinlichkeit äußerst gering; wegen der beruflichen Beeinträchtigung als Lehrerin für diese aber sehr einschneidend und damit in die Aufklärung miteinzubeziehen. Dem hielt die Zahnärztin entgegen, die Patientin hätte bei Kenntnis dieses Risikos trotzdem genauso in die Behandlung eingewilligt (sogenannte „hypothetische Einwilligung“). Den prozesstechnischen Möglichkeiten folgend hat die Patientin wiederum vorgetragen, sie wäre bei der Kenntnis dieser möglichen Dauerbeeinträchtigung in einen echten sogenannten „Entscheidungskonflikt“ geraten. Diesem behaupteten Entscheidungskonflikt musste das Gericht nun auf den Grund gehen und hinterfragen, ob dies im Rahmen der Gesamtbetrachtung der konkreten Umstände plausibel war.

Mit einer ausführlichen Begründung verneinte das Gericht einen ausreichenden Entscheidungskonflikt, wobei verschiedene Aspekte zusammenkamen. Die Hauszahnärztin hatte ebenfalls zu einer weiteren Weisheitszahnentfernung geraten. Andere Risiken wie ein möglicher Kieferbruch haben die Patientin nicht abgeschreckt. In der Urteilsbegründung führte das Gericht schließlich noch sachverständig beraten über die Risiken im Zusammenhang mit einem Zuwarten aus: „Der Sachverständige … hat jedoch die Darstellung der Beklagten bestätigt, dass die Zähne rechts teilretiniert waren. Es sei auch so, dass – wenn auch nicht sicher vorhersehbar – zu erwarten sei, dass sich hier irgendwann Schmerzen oder krankhafte Veränderungen einstellen. Auch sei es so, dass sich nach dem Entfernen der Weisheitszähne links ein muskuläres Ungleichgewicht einstellen könne.

Hinzu treten im Falle des Abwartens das Risiko der Schädigung benachbarter Zähne und ein zunehmendes Operationsrisiko. Denn nach den vom Sachverständigen zitierten S2k-Leitlinien (abrufbar unter: www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien) war bekannt, dass sich gleichzeitig mit zunehmendem Alter vermehrt Komplikationen bei der operativen Entfernung ergeben können, ebenso wie – bei Platzmangel, wie hier vorliegend – ein erhöhtes Risiko an benachbarten 12-Jahr-Molaren mit einer hohen Rate (bis rund 50 Prozent) an distaler Karies als Folge einer engen Lagebeziehung zum Weisheitszahn zu erkranken. Mithin wäre mit einem Abwarten ein erhöhtes Risiko weiterer Schäden verbunden, dies insbesondere auch wegen der der Klägerin bekannten engen Lagebeziehung zu den Nerven. Hinzu tritt die sich aus dem von der Klägerin selbst vorgelegten histopathologischen Befundbericht vom 1.6.2018 ergebende Vorschädigung, wonach das Gewebe aus der Regio 48 eine teilweise entzündliche Durchwanderung sowie Entzündungszellinfiltrate aufgewiesen hat und eine 13 mm große Zahnzyste mit entzündlichen Veränderungen, morphologisch prinzipiell vereinbar mit einer follikulären Zahnzyste, bestand und sich damit der Verdacht auf eine follikuläre Zyste bestätigt hat.“

Fazit

Es ist immer wieder streitig, ab wann welches Risiko aufklärungsbedürftig ist. Allein auf die „Wahrscheinlichkeit“ oder gar Prozentzahlen darf hier nicht abgestellt werden. Wie dieser Fall zeigt, ist es stets eine Einzelfallentscheidung, bei der die konkreten Umstände – wie auch die individuelle Beeinträchtigung des Patienten, hier als Lehrerin – eine ausschlaggebende Rolle spielen.

Dieser Beitrag ist im OJ Oralchirurgie Journal erschienen.

Produkte
Mehr News aus Recht

ePaper