Recht 14.03.2011

Schreckgespenster des Haftungsrechts



Schreckgespenster des Haftungsrechts

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Spätestens seit dem bundesweit beachteten „Spukfall Chopper“ in einer bayerischen Zahnarztpraxis ist es aktenkundig: Zahnärzte haben eine Schwäche für Gespenster. Der Fall hatte seinerzeit auch Polizei und Justiz beschäftigt. Dass das Interesse an übersinnlichen Phänomenen weiter ungebrochen ist, zeigt die freundliche Aufnahme des „Haftungstriptychons für den Zahnarzt“, einer Dokumentation von „Schreckgespenstern“ der Zahnarzthaftung in Form einer Gespenstertypologie. Sie findet mit diesem Beitrag nunmehr ihre Fortsetzung.  


Der vorliegende Beitrag versteht sich als Erläuterung von typischen Haftungssituationen, denen sich der Zahnarzt im Berufsalltag oftmals unvorbereitet und dann nicht selten hilflos gegenübersieht (Fortsetzung von ZWP 1+2/2011, S. 34ff.). Die Besonderheit des Vorgehens liegt in der Darstellung der Wechselbeziehung zwischen berufspraktischen und rechtlichen Faktoren, wobei insbesondere das Vorfeld haftungsauslösender (Fehl-)Entscheidungen beleuchtet werden soll (bisher dokumentierte haftungsrechtliche Schreckgespenster: „Behandlungs- und Aufklärungsfehler“, „Mithaftung für Altverbindlichkeiten“, „Praxishygiene/ Gesundheitsamt“ „Zahnarztinsolvenz“). 


1. „Fehlgeschlagener“ Praxiskauf 

Rechtsprechung: Die Übergabe einer Patientenkartei an den Käufer einer Arztpraxis darf nicht ohne Zustimmung der Patienten erfolgen (zu den hieraus erwachsenden Folgen: BGH, Urt. v. 11.12.1991 [ZR 4/91] NJW 1992, S. 737).

Was dieses Schreckgespenst auszeichnet: 
Dem Juristen unter dem Stichwort „Probleme beim Unternehmenskauf“ bekannter, für Verkäufer und Käufer oftmals aber überraschender Uraltgeist, der – wie jede ernst zu nehmende Spukerscheinung – nicht nur selbst Phänomen des Spuks ist, sondern diesen wiederum hervorruft („Folgespuk“). Schadet in der Praxis insbesondere der Käuferseite (Zahnarzt als Praxisübernehmer). Der Spuk hat in vielen Fällen berufsbeendende Wirkung. Beispiel:1 Zahnarzt Z1 kauft von Zahnarzt Z2 dessen Zahnarztpraxis. Er vertraut auf dessen Angaben zu Kosten und Umsatz der Praxis sowie darauf, dass sich Z2 aus dem Berufsleben zurückziehen wird. Bald darauf stellt sich heraus, dass Z2 im Hinblick auf den Umsatz gelogen hat. Auch sind die laufenden Kosten der Zahnarztpraxis dreimal so hoch wie angegeben. Zuletzt lässt sich Z2 500 Meter von seiner ehemaligen Praxis erneut als Zahnarzt nieder, wobei er fast 100 Prozent seiner ehemaligen Stammpatienten versorgt. Per Post teilt er Z1 überdies mit, dass er vor Übergabe der Praxis noch eine Mitarbeiterin eingestellt habe, deren Gehalt nun bedauerlicherweise Z1 zu zahlen habe. Die Angelegenheit sei ihm ein wenig peinlich, aber im Leben bekomme bekanntlich niemand etwas geschenkt.

Was den Spuk heraufbeschwört:
Fehler in der Planung und „Durchführung“ des Praxiskaufs (Katze-im-Sack-Syndrom). Auf Käuferseite heißt das: Unzureichendes Hinterfragen des materiellen und immateriellen Praxiswerts in Ermangelung einer fundierten Bewertung, unrealistische Einschätzung des Umfangs und der „Kaufkraft“ des bisherigen Patientenstamms. „Überzuversichtliche“ Bewertung wertbestimmender Faktoren der Praxis wie örtliche Lage, Konkurrenzdruck, Privatpatientenanteil, Grad der Patientenbindung, Inventar. Lückenhafte Erfassung und mangelhafte Prüfung bestehender Verträge (Arbeitsverhältnisse2, Versicherungsverträge, Mietverhältnis) und sonstiger kaufpreisrelevanter Daten (Steuerabschlüsse, Umsatzbelege). Fehler und Versäumnisse in der Vertragsgestaltung (zum Beispiel Verzicht auf die Vereinbarung eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots des Praxisveräußerers).  

Abhilfe:
Saubere Vertragsgestaltung unter Berücksichtigung des vertragsrechtlichen „Einmaleins“: Vereinbarung eines Freistellungsanspruchs für im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht offenbarte Kosten der Praxis (Käuferschutz), flankierend Absicherung der Kaufpreisforderung z.B. im Wege einer selbstschuldnerischen Bankbürgschaft (Verkäuferschutz). Treffen einer rechtlich „wasserdichten“ Regelung zur Übergabe und Nutzung der Patientenkartei (im beiderseitigen Interesse). Im Streitfall: Konsultation eines Fachmanns vor Verjährungseintritt.


„Spukfall Chopper“ – die Tatsachen

Angst vor dem Zahnarzt ist unter Patienten weitverbreitet. Dass es in Zahnarztpraxen weitere furchteinflößende Geschöpfe geben muss, zeigte vor 30 Jahren der „Spukfall Chopper“ in einer Zahnarztpraxis in der Nähe von Regensburg. Zahnarzt, Zahnarzthelferin und Patienten berichteten der Polizei von seltsamen Geräuschen. Unter anderem aus den Waschbecken drangen unidentifizierte Stimmen. Diese klangen in den Ohren der Patienten bisweilen bedrohlich („Mach‘s Maul auf!“). Die Polizei untersuchte den Fall mit großem Aufwand, aber zunächst ohne Erfolg. Am Ende wurden der Zahnarzt, seine Ehefrau und die Zahnarzthelferin wegen Vortäuschung einer Straftat verurteilt, weil sie den Spuk inszeniert hätten. An ein Gespenst „Chopper“ mochte das Gericht nicht glauben. Nicht alle Beobachter indes überzeugte der Richterspruch. 


2. Berufswidrige Werbung 

Rechtsprechung: Bei der Beantwortung der Frage, welche Werbeform als sachlich oder übertrieben zu bewerten ist, ist zu beachten, dass diese Beurteilung zeitbedingten Veränderungen unterliegt (BVerfG, Beschl. v. 13.07.2005 – 1 BvR 191/05). 

Was dieses Schreckgespenst auszeichnet: Trotz weitgehender Liberalisierung des zahnärztlichen Berufsrechts und immer neuer Schützenhilfe durch das Bundesverfassungsgericht offenbar nicht totzukriegender haftungsrechtlicher Wiedergänger. Findet über die in Werbestreitigkeiten vorzunehmende Einzelfallbetrachtung Zugang zu den Gerichten, wo er dem werbefreudigen Zahnarzt ungeachtet der Grundrechte auf Berufs- (Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz – GG) und Meinungsfreiheit (Art 5 Abs. 1 GG) auf der Nase herumtanzt. Führt in den Urteilen zu wenig plausiblen Unterscheidungen zwischen Freiberuflerund gewerblicher Werbung. Es droht die Geltendmachung von Unterlassungs- sowie Schadensersatzansprüchen durch Mitbewerber und Zahnärztekammern als berufsständische Organisationen.5 Vorboten des Spuks: Aufforderungen zur Abgabe strafbewehrter Unterlassungserklärungen sowie einstweilige Verfügungen. Bester Freund des hier beschriebenen Schreckgespensts: Rechtsanwälte, deren Tätigwerden der eingeschüchterte Zahnarzt im Regelfall zu bezahlen haben wird. 

Was den Spuk heraufbeschwört: Instanzgerichte, die die grundgesetzlich verankerte Berufsausübungsfreiheit des Zahnarztes geringer bewerten als ein nicht immer leicht fassbares „Gemeinwohlinteresse“. Mitbewerber, die „Werbung“ für ein fernöstliches Gericht halten. 

Abhilfe: Entweder: Beschränkung der Zahnarztwerbung auf klassische Formen, z.B. Praxisschild, Kleinanzeigen, Tage der Offenen Tür („konservative“ Strategie). Oder: Offensive Nutzung der durch die Liberalisierung von Berufsrecht und (Teilen der) Rechtsprechung eröffneten Möglichkeiten, darunter Websites, Logos, Beiträge in der (auch: Boulevard- und Ratgeber-) Presse, Werbung im kommerziellen Umfeld („gemischte“ Strategie). Hierbei Einkalkulierung eines – überschaubaren – Prozessrisikos. Zuletzt denkbar: Nutzung aller Möglichkeiten der kommerziellen Werbung, Vertrauen auf einen bevorstehenden Rechtsprechungswandel („Voll-Risiko-Strategie“) unter Hinnahme eines dann unter Umständen hohen Prozess- und Kostenrisikos. In jedem Falle zu beachten sind die nach wie vor unverrückbaren Werbeverbote des Heilmittelwerbegesetzes (HWG).


3. Diskriminierende Stellenausschreibung 

Rechtsprechung: Stellenanzeigen müssen in der Regel altersneutral formuliert werden (BAG, Urt. v. 19.8.2010 – AZR 530/09). 

Was dieses Schreckgespenst auszeichnet: Folgespukerscheinung „echter“ oder „vermeintlicher“ Benachteiligungen von Bewerbern und Mitarbeitern in der Zahnarztpraxis in Form von Unterlassungs-, Schadensersatz- bzw. Entschädigungsansprüchen. Beispiel:7 Zahnarzt Z sucht via Stellenanzeige nach einer Zahnarztgehilfin, „Muttersprachlerin deutsch“, bis 35 Jahre. Er begründet dies mit entsprechenden Erwartungen seiner teils hochbetagten, gutsituierten Patienten aus dem ländlichen Raum. Die abgelehnte Bewerberin B, die Z auch aus anderen Gründen nicht eingestellt hätte, verlangt daraufhin eine Entschädigung in Höhe von drei Monatsgehältern von Z. Der fühlt sich vor dem Hintergrund dieser Forderung „diskriminiert“. 

Was den Spuk heraufbeschwört: „Dreifaltigkeit“ der Rechtsirrtümer aufseiten des Zahnarztes in seiner – oftmals ungewohnten – Rolle als Arbeitgeber. Erster Irrtum: „Stellenbewerber unterliegen nicht dem Schutz des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes – AGG“ (das tun sie doch,8 genau wie „Arbeitnehmer“!).9 Zweiter Irrtum: „Als Zahnarzt unterliege ich nicht den Pflichten des AGG“ (das tut der Zahnarzt sehr wohl, ungeachtet seiner Mitarbeiteranzahl!). Dritter Irrtum: „Der Bewerber muss mir erst einmal eine Benachteiligung nachweisen“ (das muss der Bewerber in der Regel nicht, die Beweislast für das Nichtvorliegen einer Benachteiligung liegt beim Arbeitgeber, wenn der Bewerber Indizien bewiesen hat, die eine Benachteiligung vermuten lassen!).10

Exkurs:11 Die früher als zulässig erachtete Frage nach dem Bestehen beziehungsweise der Planung einer Schwangerschaft hat zwischenzeitlich ausnahmslos zu unterbleiben. 

Abhilfe: Eiserne Regel für alle Stellenanzeigen: Strikt neutrale Ausschreibungen im Hinblick (auch) auf Alter, ethnische Herkunft und Geschlecht! Führen von Vorstellungsgesprächen möglichst unter Zeugen. Sorgfältige Dokumentation aller Unterlagen des Bewerbungsverfahrens nach dem Vier- Augen-Prinzip.  


Die ZWP auf Gespensterjagd – den Erstlesern gefällt‘s

Albern oder aufschlussreich? Mit dieser Frage beschäftigten sich die Erstleser des Beitrags „Haftungstriptychon für den Zahnarzt“. „Der Ansatz ist mir zu esoterisch“, bekennt Erstleserin E., die vor Missverständnissen warnt: „Wo von ‚Schreckgespenstern‘ die Rede ist, bleibt offen, ob die beschriebenen Haftungsgefahren real sind oder nicht.“ Mehr Unterscheidungsfähigkeit traut Erst - leser Z. seinen Berufskollegen zu: „Der Beitrag beleuchtet echte Haftungsfallen und wie man ihnen aus dem Weg geht.“ – „Die Metapher vom Schreckgespenst ist stimmig“, findet auch Erst - leser Dr. P., ein Rechtsanwalt. Er hat seine eigene Gespenstereinteilung entwickelt: „Es gibt bekannte, unbekannte, gefährliche und ungefährliche haftungsrechtliche Schreckgespenster.“ Als problematisch erweise sich vor allem die Kombination „unbekannt“- „gefährlich“. „Gefährlich sind aber auch Haftungsgefahren, die schlicht ignoriert werden“, gibt Erstleser W. zu bedenken, auch er ein Rechtsanwalt. Dies zeige die zum „Schreckgespenst Behandlungsfehler“ ergangene Rechtsprechung: „Mit jedem neuen Urteil verändert dieses Gespenst sein Gesicht.“ Ein echter Mehrwert für den Zahnarzt bestünde in der regelmäßigen Auswertung der Rechtsprechung. Dieser Idee kann auch die zunächst skeptische Erstleserin E. etwas abgewinnen: „Eine Art Gespenster-Screening, warum nicht? Ist das geplant?“

Den viermal im Jahr erscheinenden „Gespensterbrief“ bestellen ZWP-Leser via E-Mail bei den Autoren dieses Beitrags.

Eine ausführliche Literaturliste finden Sie hier.

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