Recht 14.07.2016
Selbstständige Abrechnungsspezialisten – Risiko Sozialversicherungspflicht?
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Ganz dringend ist davon abzuraten in einer Zahnarztpraxis "selbstständige/freiberufliche Mitarbeiter" einzusetzen und an diese Leistungen im Rahmen des Zahnheilkundegesetzes zu delegieren (z.B. im Bereich PZR). Die Delegation ist nach § 1 Abs. 5, Abs.6 Zahnheilkundegesetz nur an angestelltes und entsprechend qualifiziertes Personal möglich. Bei der unzulässigen Delegation an freiberufliche Mitarbeiter sind die Leistungen nicht abrechenbar, wobei auch keine wirksame Einbindung in die Haftpflicht besteht, wenn etwas passiert.
Im Abrechnungsbereich stellt sich die Situation differenziert da, wie auch eine aktuelle und brisante Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg zeigt.
Im Abrechnungsbereich werden keine originär zahnärztlichen Leistungen delegiert, wobei der Einsatz von Dienstleistern bei ausdrücklicher Einwilligung des Patienten (wie z.B. auch im EDV-bereich) möglich ist. Allerdings stellt sich hier auch die Frage, ob der Einsatz des freiberuflichen Abrechnungsmitarbeiters nicht doch - auch unter dem Gesichtspunkt der Scheinselbstständigkeit - im Einzelfall als Arbeitsverhältnis zu qualifizieren ist. Zudem stellt sich auch die Frage, ob derartige Rechtsverhältnisse nicht im Einzelfall zu einer Sozialversicherungspflicht führen, was ganz aktuell das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 29.01.2016 (L 1 KR 118/14) zu entscheiden hatte. Die Entscheidung zeigt dabei überdeutlich, dass es bei der Abgrenzung selbstständige Tätigkeit und Arbeitnehmerstatus auf sehr viele Punkte ankommt. Dringend zu empfehlen ist, dass man derartige Vertragsverhältnisse (auch z.B. bei dem Einsatz von EDV-Dienstleistern) rechtlich auf ihre Durchführbarkeit prüft (z.B. Einhaltung der Verschwiegenheitsverpflichtung). Unbedingt empfehlenswert ist zudem, dass die Abreden schriftlich getroffen werden, was auch die nachfolgende Entscheidung zeigt.
Der Fall
In dem konkreten Fall hat sich das OVG Berlin-Brandenburg mit der Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von der selbstständigen Tätigkeit bei einem in der Abrechnung von Zahnarztleistungen Tätigen befasst, wobei die Revision nicht zugelassen wurde.
Eine zahnärztliche Berufsausübungsgemeinschaft beschäftigte ohne schriftlichen Vertrag eine zertifizierte zahnmedizinische Verwaltungshelferin sowie zertifizierte Praxismanagerin. Mündlich wurde vereinbart, dass die externe Abrechnungsspezialistin nach jeweils individueller Terminvereinbarung Abrechnungsleistungen in der Praxis erbringen sollte. Abgerechnet wurde stundenweise mit einem Stundensatz von 32,00 €. Die externe Mitarbeiterin stellte im Mai 2011 einen Antrag auf Feststellung ihres sozialversicherungsrechtlichen Status.
Bescheid - abhängiges Beschäftigungsverhältnis
Mit Bescheid vom 24.11.2011 wurde festgestellt, dass die Abrechnungstätigkeit der externen Abrechnungsspezialistin in der Praxis im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt wurde und Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung bestünde. Es überwögen die Merkmale für ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis nach § 7 Abs. 1 SGB IV. So werde die Tätigkeit am Betriebssitz des Auftraggebers ausgeübt. Die benötigten Arbeitsmittel würden von diesem zur Verfügung gestellt. Hinsichtlich der Arbeitszeiten ergäben sich Einschränkungen aufgrund der Praxiszeiten. Der Einsatz eigener Arbeitsmittel sei nicht erforderlich. Es werde eine erfolgsunabhängige Stundenvergütung gezahlt und ein Unternehmerrisiko sei nach Aktenlage nicht erkennbar. Für selbstständige Tätigkeit spräche lediglich, dass keine regelmäßigen Arbeitszeiten vereinbart seien und die Möglichkeit bestünde, bei Verhinderung eine Ersatzkraft zu stellen.
Gegen diesen Bescheid erhob sowohl die externe Abrechnungsspezialistin als auch die Berufsausübungsgemeinschaft Widerspruch. Für die Abrechnungen sei die Abrechnungsspezialistin nach Bedarf und ihrer eigenen Entscheidung in die Praxis gekommen. In manchen Zeiten sei dies regelmäßig erfolgt, in anderen unregelmäßig. Hinsichtlich des Arbeitsortes gebe es die standesrechtliche Einschränkung, dass Patientendaten nicht aus der Praxis des Arztes entfernt werden dürften.
Klage vor SG Berlin
Dem Widerspruch wurde nicht abgeholfen, weshalb die Berufsausübungsgemeinschaft Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhob. Zur Begründung führte sie u.a. an, dass die erbrachte Leistung grundsätzlich geeignet sei, auch selbstständig von einem freien Mitarbeiter erbracht zu werden. Arztpraxen würden sich häufig spezieller Dienstleister bedienen. Die beigeladene Abrechnungs-spezialistin habe ihre Arbeitszeit frei bestimmen können. So schwankten die Beträge der eingereichten Rechnungen zwischen 1,25 Stunden bis 33,25 Stunden pro Monat. Zudem wurde argumentiert, dass die Abrechnungsspezialistin In der Zeit von 2009 bis 2011 ihre Tätigkeiten für mindestens fünf weitere Zahnarztpraxen ausgeübt habe.
Mit Urteil vom 21.03.2014 hat das SG Berlin festgestellt, dass die externe Abrechnungsspezialistin im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Gemeinschaftspraxis nicht der Versicherungspflicht in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen ist. Nach dem Gesamteindruck überwögen hier die Merkmale, die gegen eine abhängige Beschäftigung sprächen.
Berufung vor dem LSG - die Entscheidung
Gegen dieses Urteil legte die Beklagte Berufung ein. Zur Begründung führte sie u. a. aus, das Urteil sei in sich widersprüchlich, weil die Abrechnungsspezialistin einerseits über das alleinige Know-how verfügt haben solle, andererseits aber Streitigkeiten über Abrechnungsdetails angeführt worden seien. Die Beigeladene sei in den Betriebsablauf eingegliedert gewesen und habe nicht abgrenzbare Vorbereitungsarbeiten ausgeführt, ohne diese im Sinne eines Endproduktes vollumfänglich zum Abschluss zu bringen.
Das LSG Berlin-Brandenburg gab der Berufung statt.
Weisungen und Eingliederung in die Arbeitsorganisation
Zur Begründung führte es u.a. aus, dass Anhaltspunkte für eine Beschäftigung nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers sei. Abzugrenzen sei die eine Versicherungspflicht begründende abhängige Beschäftigung von einer selbstständigen Tätigkeit. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes liege eine Beschäftigung vor, wenn die Tätigkeit in persönlicher Abhängigkeit erbracht werde. Dieses Merkmal sei bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb gegeben, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert sei und mit seiner Tätigkeit einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung erfassenden Weisungsrecht unterliege.
Gesamtbild entscheidend - Indizien für Selbstständigkeit
Dagegen sei eine selbstständige Tätigkeit durch ein eigenes Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen freie Gestaltung von Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob eine abhängige Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit vorliege, richte sich danach, welche der genannten Merkmale bei Betrachtung des Gesamtbildes der Verhältnisse überwiegen. Ausgangspunkt der Prüfung, ob die Klägerin für die Beigeladene im Rahmen einer Beschäftigung oder als Selbstständige tätig wurde, seien die für ihre Tätigkeit maßgebliche vertraglichen Vereinbarungen.
Abrechnung nach Stunden
Es sei zwar davon auszugehen, dass die Parteien eine Beschäftigung auf freier Basis vereinbaren wollten. Allerdings sei bereits die Vereinbarung von Dienstleistungen und nicht von Werkleistungen und deren Abrechnung nach Stunden und nicht nach den Werken (z. B. nach erstellten Abrechnungen) ein Indiz für eine vertragliche Bindung auf Basis abhängiger Beschäftigung. Nach der Vereinbarung sollte die Arbeit in den Räumen der Praxis unter Verwendung des dortigen Equipments (insbesondere PC) erfolgen.
Entscheidend für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung sei die tatsächliche Ausgestaltung der Verhältnisse, welchen gegebenenfalls sogar stärkeres Gewicht als abweichenden vertraglichen Regelungen zukommen könne.
In der praktischen Umsetzung der mündlichen Vereinbarung habe sich die Tätigkeit der Abrechnungsspezialistin als in den Praxisbetrieb integriert dargestellt. Die Beigeladene habe in der Praxis und unter Verwendung der dortigen Hard- und Software gearbeitet. Sie habe die Rechnungen, Mahnungen und Abrechnungen nicht wie eine privatärztliche Abrechnungsstelle in eigenem Namen erstellt und sei im Außenverhältnis nicht in Erscheinung getreten. Ihre Arbeitsergebnisse hätten sich für die Praxisinhaberinnen als Entwürfe dargestellt. Bei Gelegenheitsarbeitsverhältnissen sei es weiter nicht ausgeschlossen, dass die Arbeit nur zu den Zeiten und zu den Bedingungen stattfänden, zu welchen der Arbeitnehmer bereit sei.
Fazit
Bei der Einbindung von externen Abrechnungsspezialisten wird man die vom LSG Berlin-Brandenburg aufgestellten umfangreichen Anforderungen sicher noch im Detail analysieren müssen, um entsprechende Schlussfolgerungen zu ziehen. Dies gilt besonders auch für bereits praktizierte Vertragsverhältnisse. Die Revision wurde mit der Begründung nicht zugelassen, dass es sich um einen Einzelfall handele, was mehr als verwundert.
Quelle: lennmed.de