Digitale Zahnmedizin 23.09.2014
Standards von heute – aktuelle Technologien in der MKG-Chirurgie
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Entwicklungen aus Medizin und Zahnmedizin finden im klinischen Alltag gleichermaßen Anwendung. Die Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie wird heutzutage stark von modernen Technologien geprägt. Der komplex aufgebaute Gesichtsschädel und der Anspruch, operative Zugänge im sichtbaren Bereich zu minimieren, sind zusammen mit den vitalen Strukturen der Region die Treiber dieser Entwicklung.
Der vorliegende Artikel zeigt etablierte und routinemäßig im klinischen Alltag eingesetzte Verfahren. Verfahren abseits der klinischen Routine bleiben bewusst unerwähnt, um zu gewährleisten, dass keine kurzfristigen Trends dargestellt werden, die in wenigen Jahren wieder irrelevant sind.
Digitale Volumentomografie
Mit Wilhelm Conrad Röntgens Entdeckung1 hatten Ärzte erstmals die Möglichkeit, in den individuellen Patienten zu sehen. Die Einführung der Computertomografie2 hat das Tor zur individuellen Beurteilung unserer Patienten dann endgültig geöffnet.3 Für den zahnmedizinischen Praxisalltag bahnbrechend war die Vorstellung der digitalen Volumentomografie (DVT) im Jahre 1998.4 Sie ermöglicht bei geringer Strahlenbelastung die dreidimensionale Darstellung von Hartgeweben mit Ortsauflösungen von unter 0,1 mm.5 Abbildung 1 zeigt am Beispiel eines retinierten Weisheitszahnes die erreichte Bildqualität. Aufgrund der genanntenEigenschaften ist die DVT Grundlage für viele diagnostische und therapeutische Entscheidungen in der MKG-Chirurgie6, 7 und auch häufig Datengrundlage für die im Weiteren dargestellten Technologien.
Fusion und Spiegelung
Wie verhält sich eine knöcherne Läsion im Zeitverlauf? Das Vermessen in verschiedenen Ebenen kann hier eine Antwort liefern. Jedoch sind kleine Veränderungen nur schwer zu erkennen bzw. auszuschließen, da es nahezu unmöglich ist, exakt korrespondierende Punkte für den Vorher-Nachher-Vergleich auszuwählen. Ideal ist, die fraglichen Datensätze zu überlagern, um korrespondierende Regionen exakt beurteilen zu können. Veränderungen können so hervorragend visualisiert werden.
Ob ein Operationsergebnis beispielsweise dem Ziel der Symmetrie entspricht, ist aber (mangels Referenz) durch Bildfusion nicht zu beantworten. Die Gegenseite wird zwar routinemässig abgebildet, jedoch ist die Darstellung abhängig von der Orientierung der Schnittebene. Die Lösung für die perfekte Beurteilung liegt in der Spiegelung der gesunden Seite. Abbildung 2 zeigt, wie Operationsergebnis (metallische Rekonstruktion des Orbitabodens) und die Spiegelung der gesunden Seite (grüne Markierung) eine adäquate Deckung aufweisen. Der Augenboden wurde symmetrisch zur Gegenseite wiederhergestellt.
Patientenspezifische Modelle/ Implantate
Ein zusätzliches Hilfsmittel zur Operationsplanung und -durchführung stellen patientenspezifische Modelle und Implantate dar. In Abbildung 3 wurde eine lasttragende Osteosyntheseplatte entlang des Unterkieferunterrandes exakt angepasst. Nach Sterilisation kann diese Platte in der Operation verwendet werden. Präzision und Vorhersagbarkeit des Ergebnisses steigen bei gleichzeitig reduzierter Operationszeit.
Gleichsam der logische Folgeschritt zu diesem Vorgehen ist die Verwendung individueller, patientenspezifisch hergestellter Implantate. Diese kommen in der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie regelmäßig zum Einsatz. Sie ermöglichen mit geringem operativen Aufwand und gleichzeitig hoher Vorhersagbarkeit die Korrektur von Asymmetrien im Bereich von Schädelkalotte, Mittelgesicht und Unterkiefer. Abbildung 4 zeigt den Entwurf eines solchen Implantates zur Korrektur des ästhetischen Defizits nach in Fehlstellung verheilter Jochbeinfraktur.
Schablonengeführte Chirurgie, intraoperative Computernavigation und Bildgebung
Aus der zahnärztlichen Implantologie ist die schablonengeführte Chirurgie bekannt. Ausgehend von einem 3-D-Datensatz werden Zahnimplantate bezüglich Position, Angulation und Dimension geplant. Aus der Planung entsteht eine Schiene, die in der Operation als Führung für den Bohrer dient. Abbildung 5 illustriert eine solche Planung. Abseits der Implantologie eignet sich das schienenbasierte Vorgehen für viele Eingriffe, welche auf hohe Präzision bezüglich Ort, Winkel und Tiefe angewiesen sind. Ein Beispiel hierfür sind Knochenbiopsien.
Als Weiterentwicklung der Stereotaxie8 ist die intraoperative Computernavigation oft dann eine Lösung, wenn die Fragestellung für schablonengeführte Chirurgie zu umfangreich wird. Bei der auch freie Navigation genannten Methode werden Instrumente innerhalb des Operationssitus frei bewegt und im Livebild am Monitor in einem 3-D-Datensatz anzeigt. Zusammen mit einer virtuellen Planung kann so immer verifiziert werden, ob ein Zwischenergebnis mit der präoperativen Planung übereinstimmt.3, 9 Abbildung 6 zeigt eine solche Computernavigation am Beispiel der Rekonstruktion der Orbitawände. Erkennbar steht die Evaluationssonde auf der virtuellen Planung. Die intraoperative Computernavigation erlaubt es also, eine intraoperative Situation oft und schnell mit einer präoperativen Bildgebung abzugleichen. Dies ermöglicht zusätzlich auch die Identifikation von Strukturen oder die Orientierung im schlecht einsehbaren oder unübersichtlichen Situs. Die klinische Genauigkeit liegt um 1 mm.10–12
Eine Alternative und Ergänzung zur geführten Chirurgie stellt die intraoperative dreidimensionale Bildgebung dar. Trotz gewisser Einschränkungen sind die Bilder klinisch gut brauchbar. Sie ermöglichen eine sofortige Darstellung der aktuellen intraoperativen Situation. Der Aufwand (röntgendurchlässiger OP-Tisch, Abdeckung etc.) ist jedoch erheblich.
Im Idealfall wird zunächst mittels freier Navigation operiert und dann die Abschlusskontrolle mittels intraoperativer 3-D-Bildgebung durchgeführt. So können technische Ungenauigkeiten der Navigation ausgeschlossen und gleichzeitig die postoperative Kontrollbildgebung durchgeführt werden.
Dreidimensionale Fotografie
Häufig liegt in der MKG-Chirurgie ein Teil der Problematik im Weichgewebe. Die dreidimensionale Fotografie kann hier objektiv dokumentieren. Hautoberflächen lassen sich dreidimensional erfassen, auswerten und archivieren. Abbildung 7 verdeutlich die Bildqualität einer solchen Aufnahme. Zu beachten ist, dass die Abbildung beliebig rotiert werden kann und im Gegensatz zu klassischen Fotografien geometrisch kalibriert ist. Das heißt, es sind beispielsweise exakte Streckenmessungen möglich. Vorteile ergeben sich vorallem auch bei Babys und Kleinkindern, welchen systematischen Messungen oder standardisierten Fotografien sonst nur schwer vermittelbar sind.13, 14 Die erreichte Genauigkeit liegt unter einem Millimeter.15
VELscope (Visual Enhanced Lesion Scope)
In letzter Zeit hat sich zunehmend die fluoreszenzbasierte Mundschleimhautuntersuchung/VELscope etabliert. Im Rahmen dieser Methode wird die Mundschleimhaut mit blauem Licht von bestimmter Wellenlänge mit einem Handinstrument beleuchtet. Gesundes Gewebe reagiert mit einer grünlichen Farbe, während das suspekte Gewebe dunkel erscheint und dann gezielt biopsiert werden kann. Ziel dieses schmerzlosen Untersuchungsverfahrens liegt in der Früherkennung von Mundhöhlenkarzinomen.
Zusammenfassung
Der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie stehen Methoden und Technologien aus den Bereichen der Medizin wie auch der Zahnmedizin zur Verfügung. Sie werden je nach Situation ausgewählt. Es muss erwähnt werden, dass bei allen offensichtlichen Vorteilen ein besseres Resultat bisher nur vereinzelt gezeigt wurde. Hier gibt es noch wissenschaftlichen Nachholbedarf.
Letztlich muss der Behandler patientenindividuell entscheiden, was sinnvoll und erforderlich ist.
Literatur
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12. Lubbers, H.T. et al., A simple and flexible concept for computer-navigated surgery of the mandible. J Oral Maxillofac Surg, 2011. 69(3): p. 924–30.
13. Metzler, P. et al., Craniofacial landmarks in young children: how reliable are measurements based on 3-dimensional imaging? J Craniofac Surg, 2012. 23(6): p. 1790–5.
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