Kinderzahnheilkunde 14.07.2025

Interkulturelle Sensibilität für effektive Gesundheitsoutcomes



Neuste Daten der Sechsten Deutschen Mundgesundheitsstudie zeigen, dass zehn Prozent der 12-jährigen Kinder zu Hause kein Deutsch sprechen und 21 Prozent Deutsch plus eine weitere Sprache sprechen. Insbesondere bei den Kindern, die im häuslichen Kontext nicht die deutsche Sprache verwenden, sehen wir deutlich häufiger eine beschwerdeorientierte Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen und ein schlechteres Mundhygieneverhalten.

Interkulturelle Sensibilität für effektive Gesundheitsoutcomes

Foto: Drazen – stock.adobe.com

Jedes fünfte Kind ohne Deutsch im Familienhaushalt kommt oftmals erst dann in Klinik oder Praxis, wenn Schmerzen oder Beschwerden vorliegen und mehr als ein Drittel dieser Kinder putzt sich maximal einmal täglich die Zähne. Vor diesem Hintergrund braucht es eine sensibilisierte Herangehensweise, um die Patientengruppe gezielt und effektiv versorgen zu können.

Für den Zugang und die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen spielt die Sprache eine Schlüsselrolle. Sprachbarrieren und mangelnde Deutschkenntnisse – bei Kindern wie bei Eltern – führen zu Kommunikationsproblemen, die eine eingeschränkte Aufklärung und eine erschwerte Diagnosestellung aufgrund fehlender Informationen zur Folge haben können. Zum Erzielen einer partizipatorischen Entscheidungsfindung seitens der Patienten und ihrer Familien, und für ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen beiden Seiten, ist eine zielführende Kommunikation essenziell. Lassen sich aufgrund von Kommunikationsdefiziten notwendige Verhaltensänderungen nicht übermitteln, sind sie schwieriger bis kaum umsetzbar. Dies kann sich wiederum negativ auf den Therapieerfolg auswirken und die Zufriedenheit der teilweise kleineren Patienten, ihrer Familien sowie die des (Zahn-)Arztes beeinflussen.

Bild von einem Quotenzeichen
„Für eine interkulturelle Verständigung sind reineVerständigung sind reine Sprachkenntnisse alleinSprachkenntnisse allein nicht ausreichend.nicht ausreichend. Es ist ein kommunikativer Prozess, der Verständnis und Respekt für das Wertesystem des Gegenübers anstrebt.“

Kulturelle Unterschiede in Gesundheitssozialisation

Neben der Sprache werden der Stellenwert der Mundgesundheit und die Gesundheitssozialisation als weitere Faktoren, die den Zugang zur zahnärztlichen Versorgung beeinflussen können, diskutiert. Andere Konzepte von Gesundheit, Krankheit und Prävention können sowohl einen Einfluss auf die Inanspruchnahme zahnärztlicher Leistungen als auch auf die Kommunikation zwischen Patient, Familie und Zahnarzt haben. In diesem Zusammenhang kann es wichtig sein, die Krankheitsgeschichte der Patienten auch im Hinblick auf kulturelle Faktoren zu betrachten. Aufgrund anderer Sozialisierungen zu Gesundheitsthemen verschiedener Gesundheitssysteme und Angeboten von Programmen zur Förderung der Mundgesundheit, können Erwartungen an die Gesundheitsversorgung und das Bewusstsein für die Bedeutung der Mundgesundheit variieren. Während wir beispielsweise in Deutschland eine präventiv orientierte Inanspruchnahme anstreben, mag der Präventionsgedanke in anderen Herkunftsländern anders sein.

Respekt für Wertesystem des Gegenübers

Kulturelle Erfahrungen und das kulturelle Verständnis sowohl der Patienten als auch der Fachkräfte sollten daher in die Interaktionen im Gesundheitswesen einbezogen werden, um effektive Gesundheitsoutcomes zu gewährleisten. Für eine interkulturelle Verständigung sind reine Sprachkenntnisse allein nicht ausreichend. Es ist ein kommunikativer Prozess, der Verständnis und Respekt für das Wertesystem des Gegenübers anstrebt. Es bedarf einer interkulturellen Sensibilität und insbesondere Stärkung interkultureller Kompetenz.

Strategien zum Abbau sprachlicher und kultureller Barrieren

Mehrsprachige Patienteninformationen, Aufklärungsbögen oder Fragebögen zur Notfallbehandlung sowie die Verwendung bildgebender Sprache, zum Beispiel zur Schmerzdiagnostik oder Mundhygieneanleitungen, sind wichtige Ressourcen zum Abbau sprachlicher Barrieren. Den Einsatz von professionellen Dolmetschern halte ich außerdem für effektiv. Die Bedeutung dieser für eine angemessene Kommunikation mit Patienten mit eingeschränkten Sprachkenntnissen ist bereits allgemein bekannt. Im Gegensatz zu Übersetzungsprogrammen wie Google Translate oder der Hinzunahme von Angehörigen der Patienten als Ad-hoc-Übersetzer, kann beim Einsatz von professionellen Dolmetschern eine korrekte Übersetzung medizinischer Begriffe und Anweisungen gewährleistet werden. Die Arbeitsgemeinschaft Segemi – Seelische Gesundheit, Migration und Flucht e.V. – bietet beispielweise einen Dolmetschpool für die ambulante psychotherapeutische und fachärztliche Versorgung an. Neben der Überwindung sprachlicher Barrieren sind Programme zur Stärkung der interkulturellen Kompetenz von Zahnärzten und anderen medizinischen Fachkräften essenziell. Das Projekt IPIKA – Interprofessionelles und Interkulturelles Arbeiten in der Klinik – ist eine Fortbildungsreihe zur Stärkung interkultureller und -professioneller Kompetenz für Ärzte, Pflegekräfte und Sozialdienstmitarbeitende und ist seit 2020 Regelfortbildung in der Fortbildungsakademie der Charité.

Im Rahmen des MuMi Projektes wurde eine interaktive Mundgesundheits-Präventions-App für Erwachsene entwickelt. Im Folgeprojekt MuMi+ „Gesunde Zähne für Alle: Förderung der Mundgesundheitskompetenz von Klein bis Groß“ wird die App derzeit für Kinder und Jugendliche sowie Schwangere und (werdende) Eltern weiterentwickelt. Die App ist in Deutsch, Englisch, Türkisch, Arabisch und Russisch verfügbar. Die App dient als Informations-, Beratungs- und Schulungsprogramm. Inhalte sind in Form von Fragen, Videos, Piktogrammen und regelmäßigen Erinnerungshilfen („Haben Sie heute Interdentalbürsten benutzt?“) abgebildet.

MuMi+ App mit kultur- und migrationssensibler Ansprache

In den letzten Jahren konnten wir außerdem ein großes Wachstum an digitalen Programmen zur Gesundheitsprävention beobachten. Allerdings mangelt es an evidenz- und kultursensiblen Angeboten. Gemeinsam mit meinem Forschungsteam und Dr. Christopher Kofahl (Institut für Medizinische Soziologie, UKE Hamburg) haben wir daher ein digitales Schulungsprogramm in Form einer App zur Förderung der Mundgesundheitskompetenz von Erwachsenen entwickelt. Die MuMi+ App „Gesunde Zähne für Alle: Förderung der Mundgesundheitskompetenz von Klein bis Groß“ wird aktuell um die Module für Kinder und Jugendliche sowie Schwangere erweitert. Es werden auf eine spielerische Art und Weise umfangreiche Informationen zur Zahn- und Mundgesundheit vermittelt. Für eine kultur- und migrationssensible Ansprache ist die App in insgesamt fünf Sprachen verfügbar und verwendet ausschließlich einfache, laiengerechte sowie bildgebende Sprache. In den Bild- und Videomaterialien wird außerdem auf kulturelle Diversität geachtet und bei dem Thema Ernährung Speisen aus verschiedenen Kulturkreisen verwendet. Die Akzeptanz der App ist höher, wenn sich die App-User in der App wiederfinden, zum Beispiel durch Lebensmittel, die sie aus ihrem eigenen Alltag kennen.

Interkulturelle Kompetenzen fördern

Ein Umdenken hin zu einer kultursensiblen Versorgung muss sich strukturell und auf allen Ebenen des Gesundheitswesens manifestieren. Daher sollte eine systematische Berücksichtigung dieser Thematik in der Aus-, Fort- und Weiterbildung von Zahnärzten erfolgen, um Ungleichheiten bei der Mundgesundheit verschiedener Patientengruppen zu verringern. Ein interkulturelles Kompetenztraining für Zahnmedizinstudierende wurde bereits an einer Universität in den USA getestet. Das Lehrkonzept beinhaltet Partnerarbeit und Rollenspiele, verschiedene Modelle für kulturübergreifendes Verhandeln und Erklärungsmodelle sowie Materialien zur interkulturellen Kompetenz. Die Evaluation der Lehrveranstaltung hat gezeigt, dass sich die kulturelle Kompetenz der Studierenden signifikant verbessert hat. Ich denke, das ist ein wunderbares Beispiel, das zeigt, wie Zahnmedizinstudierende frühzeitig an das Thema herangeführt werden können. Das „Lehrnetzwerk Migration und Gesundheit“ ist eine deutschsprachige Initiative, die versucht, migrationsrelevante Inhalte systematisch in der Aus- und Weiterbildung zu konsolidieren und weiterzuentwickeln.

Fazit

Um Personen verschiedener Kulturkreise sowie unterschiedlicher Sprachkenntnisse in der (zahn-)medizinischen Versorgung gerecht werden zu können, braucht es ein sprachlich wie kulturell sensibles Vorgehen und Präventionsmaßnahmen. Die MuMi+ App bietet hier beispielsweise ein barrierefreies Tool, welches zukünftig auch für die Zielgruppe der Kinder zur Verfügung stehen soll. So kann, trotz verschiedener Hürden, ein gleichberechtigter Zugang zu Präventionsmaßnahmen ermöglicht und somit die gesundheitliche Chancengleichheit in Deutschland gestärkt werden. Insbesondere angesichts aktueller Migrations- und Fluchtbewegungen ist dieses Thema von großer Bedeutung.

Lernen Sie unsere Autorin kennen: Priv.-Doz. Dr. Ghazal Aarabi, M.Sc.


Frau Priv.-Doz. Dr. Aarabi, Sie sind leitende Oberärztin an der Poliklinik für Parodontologie, Präventive Zahnmedizin und Zahnerhaltungklinik für Parodontologie, Präventive Zahnmedizin und Zahnerhaltung am UKE Hamburg – was reizt Sie am Thema der interkulturellenam UKE Hamburg – was reizt Sie am Thema der interkulturellen Kommunikation?

Ich beschäftige mich seit 2012 intensiv mit der Mundgesundheit vonIch beschäftige mich seit 2012 intensiv mit der Mundgesundheit von Menschen mit Migrationsgeschichte, auch in meiner Masterarbeit habeMenschen mit Migrationsgeschichte, auch in meiner Masterarbeit habe ich mich dem Thema gewidmet. Mein Interesse an diesem Bereich wurdeich mich dem Thema gewidmet. Mein Interesse an diesem Bereich wurde 2016 durch ein Fachgespräch im Bundeskanzleramt weiter vertieft, bei dem ich einen Fachvortrag zu dem Thema Zahn- und Mundgesundheit in der Einwanderungsgesellschaft gehalten habe. Im Rahmen der DMS • 6 wurden nun erstmals spezifische Daten zur Mundgesundheit von Menschen mit Migrationsgeschichte erhoben. Hier zeigt sich: Menschen mitschen mit Migrationsgeschichte profitieren nicht in gleichem Maße von den bestehenden präventiven Angeboten, wie der Individual- und Gruppenprophylaxe, wie Menschen ohne Zuwanderungsgeschichte. Hierbei interessieren mich im Besonderen die konkreten Zugangsbarrieren, die zu einer schlechteren Mundgesundheit in dieser Bevölkerungs Bevölkerungsgruppe führen.

Sie sind Teil des Gleichstellungsteams am UKE Hamburg. Warum bringen Sie sich hier ein?

Ich engagiere mich in diesem Kontext, weil mir die Förderung von Chancengleichheit ein wichtiges Anliegen ist. Obwohl Frauen häufiger Studienabschlüsse erreichen als Männer, zeigt ein Blick auf die Habilitationen und Professuren, dass Männer in diesen Bereichen immer noch deutlich überrepräsentiert sind. Daher setzen wir uns gezielt für Nachwuchsförderung ein, beispielsweise durch Mentoringprogramme und Anreize zur Habilitation, um Frauen Karrierewege aufzuzeigen. Zusätzlich begleiten wir Berufungsverfahren als beratendes Mitglied, um sicherzustellen, dass Gleichstellung als zentraler Aspekt berücksichtigt wird.

Welcher Fragestellung gehen Sie in Ihren Projekten, die von der Deutschen Forschungsgesellschaft gefördert werden, nach?

Hier untersuche ich die Assoziationen zwischen chronischen Entzündungen der Mundhöhle, insbesondere Parodontitis, und neurodegenerativen Erkrankungen wie Alzheimer und Demenz. Ein zentraler Fokus liegt dabei auf der Rolle des oralen Mikrobioms. Unsere Arbeit ist stark interdisziplinär geprägt, da wir eng mit Neurologen zusammenarbeiten, um die zugrunde liegenden Mechanismen besser zu verstehen. Grundlage für diese Forschung sind Daten aus zwei großen epidemiologischen Studien, der Hamburg City Health Study und der NAKO-Gesundheitsstudie, die es ermöglichen, umfassende Analysen und langfristige Beobachtungen durchzuführen.

Foto: © Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.

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