Branchenmeldungen 04.02.2022
Abschiedssymposium von Prof. Dr. Dr. h.c. Christoph Hämmerle
«Rekonstruktive Zahnmedizin: Wo stehen wir, wo gehen wir hin?» lautete das Thema des Abschiedssymposiums, welches am 22. Januar am Zentrum für Zahnmedizin (ZZM) der Universität Zürich stattfand.
Rund 400 Teilnehmer, international renommierte Referenten und Freunde waren in Zürich dabei (direkt oder online), um ihre Einschätzungen zu klinischen Herausforderungen im Bereich der Rekonstruktiven Zahnmedizin darzulegen. Gleichzeitig bot sich die Gelegenheit, sich bei ihrem langjährigen Kollegen zu bedanken und ihre Wertschätzung und Anerkennung auszudrücken.
Eröffnet wurde das Symposium von Prof. Dr. Beatrice Beck Schimmer und Prof. Dr. Thomas Attin. Sie betonten den massgeblichen Beitrag, den Prof. Hämmerle zum heutigen internationalen Status des ZZM geleistet hat. Er zeichne sich durch seine Exzellenz sowohl im Bereich der Forschung als auch in der Lehre aus und habe Strukturen geschaffen, die den heutigen Erfolg und Standard des ZZM erst ermöglicht haben. Prof. Hämmerle baute ein grosses internationales Netzwerk auf, mit dem Resultat, dass das ZZM heute weltweit mit mehr als 60 Universitäten zusammenarbeitet. Sie erwähnten das Clinical Research Center und die digitale Lernplattform Dental Campus als wichtige Einrichtungen, die von Prof. Hämmerle initiiert wurden. Prof. Attin verwies zudem auf den beeindruckenden Lebensweg von Prof. Hämmerle und drückte seine Bewunderung für seine einzigartigen Erfolge in der zahnmedizinischen Forschung aus, welche in ihrer Bedeutung und Anzahl eigentlich die Lebensdauer mehrerer Forscher bedingen würden.
Im Anschluss an die beiden Eröffnungsreden stellte Prof. Hämmerle die Referenten des Tages vor. Das Programm hatte er persönlich zusammengestellt, es bestand aus Beiträgen von Zahnmedizinern, deren berufliche Wege sich im Laufe der Jahre mit seinem gekreuzt haben.
Drei Themenblöcke
Der erste von drei Themenblöcken des Tages war der Behandlungsplanung in der Prothetischen Zahnmedizin gewidmet und wurde moderiert von Prof. Dr. Daniel Thoma. Den Eröffnungsvortrag «Behandlungsstrategie in der festsitzenden Prothetik» hielt Prof. Dr. Markus B. Hürzeler, München (DE). Er kommunizierte seine Überzeugung dafür, dass alle Patienten eine festsitzende Lösung favorisieren würden, und betonte die Wichtigkeit einer patientenzentrierten Behandlungsplanung. Er zeigte auf, wie sich die Planung von grösseren Restaurationseinheiten weg in Richtung kleinere Einheiten bewegte. Des Weiteren sprach Prof. Hürzeler über die Bedeutung der Implantate in der Zahnmedizin, welche es oft ermöglichen, den Patienten festsitzende Lösungen anzubieten, und appellierte an die Teilnehmenden, Implantatbehandlungen im funktionellen Bereich mit der gleichen Passion anzugehen, wie sie dies im ästhetischen Bereich tun. Hierbei sei es aber wichtig, zu realisieren, dass das Setzen des Implantats nur einen sehr kleinen Teil des operativen Eingriffs ausmache und dass die Beherrschung des Weichgewebes, das richtige Wissen darüber und dessen korrekte Umsetzung, die grösste Herausforderung darstelle. Als bedeutendsten Parameter identifizierte Prof. Hürzeler die Patient-reported outcome measures (PROMs), welche die patientenorientierte Behandlung fördern, und legte es allen Zahnärzten nahe, Behandlungsstrategien zu wählen, welche die Bedürfnisse ihrer Patienten bestmöglich erfüllen.
Anschliessend sprach Prof. Dr. Lyndon F. Cooper, Chicago (US), im Rahmen seines Onlinevortrags über die Behandlungsstrategie in der abnehmbaren Prothetik. Er zeigte auf, dass abnehmbare Prothesen ihren wichtigen Platz in der Zahnmedizin wahren, und begründete dies mit ihren relativ günstigen Kosten, ihrer Funktion als Fundamente für implantatbasierte orale Rehabilitationen und ihrer Bedeutung als soziale Instrumente, da Prothesen die Sozialisierung der Patienten verbessern. Durch den Einsatz digitaler Technologien erhoffe man, Materialien, Arbeitsabläufe und Erfahrungen für Kliniker und Patienten zu verbessern, es sei jedoch noch ungeklärt, ob und in welchem Ausmass dies eine Verbesserung bezüglich des Behandlungserfolgs, PROMs und Zugänglichkeit dieser Therapien mit sich bringt. Er wies darauf hin, dass Implantate vor allem im Falle von Unterkieferprothesen einen deutlichen Mehrwert für die Patienten erzielen können.
Rund 400 Teilnehmer waren am Abschiedssymposium in der Uni Zürich Campus Irchel dabei.
Als Abschluss dieses ersten Themenblocks hielten Prof. Dr. Irena Sailer, Genf, und Dr. Stefano Gracis, Mailand (IT), einen gemeinsamen Vortrag über die Materialwahl für Rekonstruktionen im ästhetischen sowie im posterioren Bereich. Die beiden begannen ihren Beitrag mit einer Anekdote darüber, wie sie sich kennengelernt hatten. Ihre Bekanntschaft begann mit einer Kritik von Dr. Gracis an einer Publikation von Prof. Sailer, in der Zirkonoxidgerüste im posterioren Bereich evaluiert wurden, welche zu einem angeregten fachlichen Austausch führte. Genau wie damals hatten die beiden auch während dieses gemeinsamen Vortrags eine sehr spannende Diskussion über die richtige Materialwahl für festsitzende Rekonstruktionen. Aus diesem Austausch ging hervor, dass für Prof. Sailer die Vorteile monolithischer keramischer Rekonstruktionen überwiegen, während Dr. Gracis dem Potenzial von Zirkonoxid zwar zustimmte, aber deutlich untermauerte, dass wir nicht vollständig auf metallkeramische Rekonstruktionen verzichten könnten. Die beiden Referenten sahen noch bestehende Indikationen für metallkeramische Rekonstruktionen, wie zum Beispiel stark verfärbte Stümpfe und ein geringes Platzangebot im Verbinderbereich, zeigten aber auch viele Indikationen für vollkeramische Rekonstruktionen sowohl im anterioren wie auch im posterioren Bereich auf.
Der zweite Themenblock unter dem Titel «Regeneration von Knochen und Weichgewebe in der Prothetischen Zahnmedizin» wurde von Prof. Dr. Ronald E. Jung moderiert und begann mit dem Onlinevortrag zum Thema der gesteuerten Knochenregeneration von Prof. Dr. Christer Dahlin, Göteborg (SE). Er berichtete über die Entstehungsprozesse dieser Behandlung und die eingesetzten Membranen und zeigte den Wandel im Verlauf der vergangenen Jahre auf. Er teilte Studienresultate, die darauf schliessen liessen, dass Kollagenmembranen die Knochenformation in situ induzieren und auf eine Beteiligung der Kollagenfasern in den Membranen an der osteogenen Differenzierung hindeuteten. Des Weiteren gab er einen Ausblick auf bioaktive Membranen, die in Zukunft in der gesteuerten Knochenregeneration eingesetzt werden könnten, wobei durch die Modifikation der Membranstruktur und -oberfläche die Reaktionen in den benachbarten Weichgeweben beeinflusst werden könnten.
Dr. Rino Burkhardt, Zürich, referierte nachfolgend über die klinischen Herausforderungen bei der Behandlung parodontaler und periimplantärer Weichgewebe. Er sprach über die Wundheilungsprozesse und erläuterte den Einfluss der Lappenspannung beim Verschluss der Weichgewebe auf den Heilungsverlauf, woraufhin er die Bedeutung des Fertigkeitstrainings hervorhob.
Dieser zweite Themenblock wurde mit dem Onlinevortrag von Prof. Dr. Marc Quirynen, Leuven (BE), über den Einsatz von Leucocyte- and platelet-rich-fibrin (L-PRF) in der Regeneration oraler Gewebe abgeschlossen. Hierbei werde Blut vom Patienten entnommen, zentrifugiert und anschliessend das L-PRF weiterverwendet. Die daraus entstehende L-PRF-Membran schütze Wunden, setze Wachstumsfaktoren frei, habe eine antibakterielle Kapazität und fördere die Angio- und Vaskulogenese. Es finde Einsatz in diversen Behandlungen wie zum Beispiel der Kammerhaltung, Sinusbodenelevationen und lateralen Knochenaugmentationen.
Im dritten und letzten Teil des Symposiums wurde das Thema der Periimplantitis in der Prothetischen Zahnmedizin behandelt. Diesen Abschnitt, der von Dr. Nadja Nänni moderiert wurde, eröffnete Prof. Dr. Tord Berglundh, Göteborg (SE), mit einem Onlinevortrag über die Prävalenz von Periimplantitis. Die Diagnose der Periimplantitis bedinge ein Assessment der Blutung/Suppuration auf Sondieren und des Knochenverlusts. Er berichtete von einer relativ hohen Prävalenz, wobei die Daten stark abhängig seien von der jeweiligen Falldefinition. Kliniker sollten sich der Risikofaktoren für Periimplantitis bewusst sein, um dem Auftreten dieser Erkrankung vorbeugen zu können. Es liege eine grosse Evidenz dafür vor, dass Patienten mit der Vorgeschichte einer starken Parodontitis, einer schlechten Plaqueentfernung und keiner regulären Erhaltungstherapie nach der Implantatbehandlung ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Periimplantitis haben.
Nachfolgend teilte Dr. Mario Roccuzzo, Mailand (IT), seine Erfahrungen und Empfehlungen im Bereich der Periimplantitistherapie anhand vieler klinischer Beispiele. Seiner Ansicht nach wiesen korrekt platzierte Implantate weniger biologische Komplikationen auf, und sollten diese doch vorkommen, sei der Behandlungserfolg bei adäquat positionierten und versorgten Implantaten besser vorhersagbar. Zudem schätze er die nichtchirurgische Behandlung von Periimplantitis als ineffektiv ein. Periimplantäre Defekte um korrekt positionierte Implantate könnten in einer Vielzahl der Fälle mittels regenerativer Eingriffe erfolgreich behandelt werden. Bei der Entscheidung, ob ein Implantat behandelt oder entfernt werden sollte, ist eine gründliche Evaluation verschiedener Faktoren, allen voran der Motivation und Compliance des Patienten, notwendig.
Prof. Dr. Dr. h.c. Mutlu Özcan stellte den letzten eingeladenen Referenten des Tages, Herrn Prof. Dr. Christian S. Stohler, New York (US), vor, der einen Ausblick auf die nächste Generation in der Prothetik gab. Er erklärte, dass sich sowohl die Ausbildung von Studenten als auch die Forschung in Zukunft stark verändern und welche Rolle die künstliche Intelligenz und die sogenannte «Big data» dabei spielen werden. Er hielt einen fesselnden und inspirierenden Vortrag über zukünftige Entwicklungen und zeigte auf, wie die Zahnmedizin genutzt werden könne, um grosse Lücken im Bereich der Gesundheitsversorgung und -systeme zu füllen.
Das finale Referat hielt Prof. Hämmerle
Er sprach über seine Erfahrungen und Erlebnisse in den vergangenen mehr als 20 Jahren und zeigte auf, wie sich der «State of the Art» in Bezug auf Materialien, Behandlungsmethoden, Präparationsarten und vielem mehr im Laufe der Jahre verändert hat. Prof. Hämmerle hat während seiner Karriere viele Entwicklungen miterlebt und durfte zahlreiche davon mitgestalten. Unter seiner Leitung hat die Klinik für Rekonstruktive Zahnmedizin durch eine beeindruckende Kombination von Forschung und Klinik und einem bedeutenden internationalen Netzwerk und Kooperationen die Prothetische Zahnmedizin, wie wir sie heute kennen und praktizieren, massgeblich mitgestaltet.
Prof. Hämmerle sprach über seine grosse Passion und seinen Enthusiasmus für die Lehre und benannte die Ausbildung von Zahnärzten, welche der Bevölkerung dienen werden, als eine der Kernaufgaben der Klinik. Er unterstrich die Bedeutung einer engagierten und qualitativ hochstehenden Lehre, wobei es zu den Anfängen seiner Amtszeit noch nicht üblich gewesen sei, sich in Rekonstruktiver Zahnmedizin zu spezialisieren. Dies habe er erst im Laufe der Jahre in der Klinik etablieren können und sie nehme heute eine bedeutende Funktion im Fachgebiet ein. Nachfolgend erläuterte er die Einrichtung des online zugänglichen Dental Campus und der Knowledge-Management-Plattformen, die heute einen grossen Einsatz in der Aus- und Weiterbildung finden.
Ein Hauptaugenmerk richtete Prof. Hämmerle auf die Bedeutung eines gut funktionierenden Teams. Seiner Einschätzung nach sei es das Wichtigste, dass sich das Team als Ganzes in eine positive Richtung entwickeln könne und dass es keine Hierarchie an Wichtigkeit gäbe; jede Aufgabe sei wichtig und jedes Individuum im Team solle sich auf eine positive Weise entfalten können. Er verglich dies mit der Funktionsweise eines mechanischen Schweizer Uhrwerks: Nur, wenn jedes der Rädchen sich korrekt drehe und alle ineinandergreifen, könne die Uhr richtig funktionieren. Hierbei sei es wichtig, die Ziele des Einzelnen mit den Zielen der Organisation abzustimmen.
Bezugnehmend auf die Aussage von Prof. Attin, dass es mehrere Lebenszeiten bedinge, um seinen Forschungsstatus zu erreichen, bestätigte Prof. Hämmerle, dass dies nur dank seines Teams möglich gewesen sei, und bedankte sich an dieser Stelle nochmals ganz herzlich bei seinen Mitarbeitern.
Das Abschiedssymposium zeigte deutlich, welchen Einfluss Prof. Hämmerle in der Welt der Zahnmedizin sowohl auf fachlicher als auch auf persönlicher Ebene hatte und welch grosses Netzwerk er in dieser Zeit geschaffen hat. Prof. Hämmerle hinterlässt einen grossen Fussabdruck und nachhaltiges Wissen für die kommenden Generationen an Zahnärzten. Wir wünschen ihm für die Zukunft alles Gute und bedanken uns für dieses grossartige Symposium!
Autorin: Kevser Pala
Dieser Beitrag ist in der Dental Tribune Schweiz erschienen.