Branchenmeldungen 11.04.2024
Bye bye Amalgam! Arbeitsschutzmaßnahmen gefragt
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Dentalamalgam, eine traditionelle Wahl für Zahnfüllungen, steht vor einem Wandel. Mit dem EU-Verbot ab 2025 rückt die Aufmerksamkeit verstärkt auf die Herausforderungen der Amalgamentfernung. In diesem Kontext untersuchten der Zahnarzt Dr. Hans-Werner Bertelsen und der Wirtschaftsingenieur Prof. Dr. Martin Garbrecht die quantitativen Aspekte der Quecksilberdampfemissionen bei der Routineentfernung von Amalgamfüllungen in der zahnärztlichen Praxis. Mit ihren Ergebnissen machen sie nun auf die Notwendigkeit weiterer Sicherheitsmaßnahmen in diesem sensiblen Prozess aufmerksam.
Dentalamalgam stellt eine der Hauptquellen für die Belastung mit anorganischem Quecksilber dar1. Die EU verbietet ab 2025 die Verwendung von Amalgam2. In der zahnärztlichen Praxis gehört die Entfernung von Amalgam-Füllungen zu den alltäglichen Routinemaßnahmen, wobei die Dauer, der für die Entfernung einer vorhandenen Amalgam-Füllung benötigten Zeit sehr unterschiedlich ist und in erster Linie von der Anzahl der Flächen, also der Größe der vorhandenen Füllung abhängt. Ist für die Entfernung einer kleinen, einflächigen Füllung nur ein minimaler Zeitrahmen von einigen Sekunden nötig, bedarf es zur restlosen Entfernung bei großen, sogenannten Mehrflächigen Füllungen auch mehrere Minuten. Während für die Verwendung des Dentalwerkstoffs Amalgam klare Einschränkungen formuliert wurden, existieren für die Entfernung bestehender Amalgamrestaurationen lediglich unscharf formulierte Empfehlungen, mit deren Hilfe das Risiko einer gesundheitlichen Belastung der Patienten durch eine Entfernung vermieden werden soll. Bei der zahnärztlichen Behandlung von Frauen sollten während der Schwangerschaft und Stillzeit Amalgam-Füllungen nicht entfernt werden, sofern keine dringende zahnärztliche Indikation dazu besteht. Bei dringlicher zahnmedizinischer Indikation können jedoch einzelne Füllungen mit schonender Technik entfernt werden“3. Unerwähnt bleiben in dieser Empfehlung des Robert-Koch-Instituts sowohl die Definition einer „dringlichen zahnärztlichen Indikation“, als auch die Definition einer „schonenden Technik“.
Angewandte Methode
Um die Konzentrationen von Quecksilberdampf während der Entfernung und Bearbeitung von Amalgam-Füllungen in der zahnärztlichen Routine zu bestimmen, wurde eine quantitative Methode angewendet. Dabei wurde ein definiertes Volumen (45 Liter) verwendet. Die Messungen erfolgten mittels einer präzisen Quecksilberdampf-Spektrometrie in Kombination mit indikativen Messungen durch Dräger-Röhrchen.
Ergebnisse
Nach Touchierung einer Amalgamfüllung mit dem Bohrer (rotes Winkelstück, 50.000 1/min, EKR von Komet: H40 314 012) startet unmittelbar die Emission von Quecksilber-Dampf, die auch nach einer Unterbrechung des Bearbeitungsvorganges in hoher Intensität minutenlang bestehen bleibt. Die dabei ermittelten Konzentrationen von Quecksilberdampf übertrafen dabei die zulässige maximale Arbeitskonzentration (MAK) bis zum 100-fachen (!) MAKWert. Damit wird die OSHA PEL (zulässige Expositionsgrenze)4 ebenfalls weit überschritten. Die Ergebnisse bestätigen vollumfänglich die Untersuchungen von Warwick und Young5.
Diskussion
Die gesundheitsschädliche Wirkung von Hg-Dämpfen ist bekannt. Auch teratogene Effekte sind im Tierversuch beschrieben4. Im Gegensatz zum oral aufgenommenen Quecksilber, bei der lediglich 0,01 Prozent der verschluckten Menge vom Körper aufgenommen werden, werden bei der Inhalation von Hg-Dämpfen bis zu 80 Prozent resorbiert4. Zahnärztliche Schutzmaßnahmen für Patienten (z.B. Cofferdam-Technik) schützen nicht vor der inhalativen Belastung durch entstehende Hg-Dämpfe. Ein Teil der Emissionsfahne wird, bedingt durch Verwirbelungen mit Spraykühlung, in die für Personal und Patienten für die Inhalation relevanten Umgebungsbereiche transportiert. Eine Entfernung von Amalgamfüllungen wird von vielen Patienten gewünscht und angestrebt.
Nicht nur bei bestehendem Kinderwunsch wird von vielen Krankenkassen sogar eine Entfernung von Amalgamfüllungen ausdrücklich empfohlen. Auch veranlassen Tumorpatienen sehr häufig, im Rahmen eines falsch verstandenen Wunsches nach „Entgiftung“, die Entfernung ihrer noch intakten Amalgam-Füllungen, werden überflüssigen inhalativen toxischen Belastungen ausgesetzt und geraten dabei häufig ungewollt in die Fänge der Scharlatanerie. So sind amalgamgefüllte Zähne häufig Basis dubioser Entgiftungsbehandlungen („Detox“) mit Spirulina-Algen, „Homöopathie“ u.a., für die bis dato keinerlei Wirksamkeit nachgewiesen wurde. Sowohl im Falle eines Kinderwunsches als auch im Rahmen einer Tumorbehandlung überwiegen somit nachweislich die Risiken einer Amalgamentfernung aufgrund nicht abschätzbarer Risiken durch die Inhalation von Quecksilberdämpfen.
Aufgrund einer fehlenden Plazenta-Schranke8 gilt für Patientinnen in der frühen Schwangerschaft (3. - 10. SSW): Findet das Herausbohren im Zeitraum der teratogenetischen Determinationsperiode statt, so können teratogene oder embryotoxische Effekte, z.B. Ausbildung einer Lippen- Kiefer- Gaumenspalte, nicht sicher ausgeschlossen werden. Weder Blut- noch Speichel- oder Urintestungen sind geeignet, die Belastungen durch inhalative toxische Peaks nachzuweisen, da sie in der Regel mit großem zeitlichem Abstand zu zahnärztlichen Behandlungen erfolgen und somit eher dazu beitragen, die potentiellen Gefahren inhalativer Risiken zu verschleiern.
Risikominimierung – Konsequenzen für Patienten:
Da die Aufnahme von Quecksilberdampf durch Inhalation nachweislich sehr hoch ist und es keine Plazentaschranke gibt, die Quecksilber abhalten kann, sollten Maßnahmen ergriffen werden, um die Belastung mit Quecksilberdämpfen zu minimieren. Insbesondere bei der Behandlung von Schmerzpatientinnen mit unklarer Schwangerschaftsanamnese und bei stillenden Müttern, bei denen eine mögliche Übertragung auf das Neugeborene besteht, ist es ratsam, auf die Trepanation von Amalgam-gefüllten Zähnen zu verzichten. Stattdessen ist es empfehlenswert, eine Dekapitation des schmerzenden Zahnes durchzuführen. Quecksilberdampf, der die Plazentaschranke passiert, kann in den fötalen Blutkreislauf gelangen. Bei schwedischen Frauen (n=119) wurde eine Korrelation zwischen der Zahl der Amalgamfüllungen und dem Gehalt an anorganischem Quecksilber in der Plazenta nachgewiesen6. Die Konzentration in der Plazenta lag um etwa das Dreifache höher als im mütterlichen Blut. Kinder mit amalgamgefüllten Milchzähnen sollten bei akuten Schmerzen keinesfalls Trepanationsbohrungen ausgesetzt werden, weil sie sonst wegen ihres höheren Verhältnisses von Lungenoberfläche zum Körpergewicht, sowie eines höheren Minutenvolumens einer höheren Dosis von Quecksilber ausgesetzt sind.
Risikominimierung – Konsequenzen für den Arbeitsschutz:
Sowohl Anglen und Gruninger7, als auch Björklund9 berichten von erhöhten Gesundheitsrisiken (Infertilität, Neuropathien, Psyche) im Zusammenhang mit Quecksilberamalgam für Arbeitende im zahnärztlichen Umfeld. Um Mitarbeiter vor den Quecksilberdämpfen zu schützen, sollten zahnärztliche Arbeiten an amalgamgefüllten Zähnen (Trepanationen, Präparationen, Amalgam-Entfernungen) daher ausschließlich unter den Kautelen eines konsequenten Atemschutzes erfolgen (z.B. A1HgP3 von 3M).
EU-Kommission verbietet Verwendung von Zahn-Amalgam ab 2025Die Europäische Kommission hat die EU-Quecksilber-Verordnung überarbeitet, um EU-Bürger und die Umwelt vor giftigem Quecksilber zu schützen. Damit wird unter anderem die Verwendung von Zahn-Amalgam, für das derzeit in der EU jährlich 40 Tonnen Quecksilber verbraucht werden, vollständig verboten. Die überarbeitete Quecksilberverordnung sieht u.a. folgendes vor:
Quelle: Europäische Kommission |
Toxikologe empfiehlt Spezialmasken
Der renommierte Prof. Dr. Thomas Eschenhagen, Direktor des Hamburger Instituts für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE):
„Die Daten sprechen aus meiner Sicht dafür, dass alles dafür getan werden sollte, die Quecksilber-Belastung bei zahnärztlichen Manipulationen an Amalgamfüllungen auf ein Minimum zu reduzieren. Angesichts publizierter Arbeiten, die zeigen, dass es trotz dieser Maßnahmen zu einer erheblichen Belastung kommt, halte ich auch eine Empfehlung zum Tragen dafür geeigneter Masken für sehr sinnvoll. Besonderen Schutz bedürfen natürlich Schwangere.“
Die Literaturliste können Sie sich hier herunterladen.
Der Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.
Weiterer Autor: Prof. Dr. Martin Garbrecht