Branchenmeldungen 07.02.2022
Stadt, Praxis, Land – Zahnärztliche Versorgung in Randregionen
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Eine Praxisniederlassung im ländlichen Raum – ob als Übernahme oder Neugründung – ist in der Regel kein Zufall, sondern eine sehr bewusste Entscheidung für eine Mentalität, eine Community, ein Standing und auch eine Lebensart. Die neue Reihe der ZWP „LandZahnWirtschaft“ stellt in ausgewählten Reportage-Einblicken Praxisinhaber fernab von Metropolen mit einer üppigen Infrastruktur vor und zeigt die Vielgesichtigkeit, die Höhen und Tiefen, die Normalität und kleinen Überraschungen einer ländlichen, aber eben keiner provinziellen Zahnmedizin. Wir fragen Zahnärzte, was sie bewogen hat, sich an den Orten ihrer Wahl niederzulassen, wie wirklich wirtschaftlich lohnenswert eine Landpraxis ist, was ihnen gefällt oder weniger behagt, wo sie klare Vor-, aber durchaus auch Nachteile ihrer Standortwahl sehen.
Eng verknüpft mit dem Thema der zahnmedizinischen Versorgung in Randregionen ist die zunehmende Sorge um einen zum Teil schon jetzt sichtbaren Zahnärztemangel auf dem Land. Eine Vielzahl an Landeszahnärztekammern und auch Universitäten ist bemüht, diesem Trend mit kreativen Projekten und Kampagnen gegenzusteuern, konkrete Anreize für junge Zahnärzte mit Landambitionen zu schaffen und so die Weiterführung bestehender Kleinstadt- und Dorfpraxen, deren Inhaber auf das Rentenalter zugehen oder es schon überschritten haben, zumindest mittelfristig zu sichern. Die Thematik wird in den kommenden Jahren an Fahrt aufnehmen, dabei sind die damit verbundenen Faktoren vielfältig. Um eine Zahnarztpraxis in einer Kleinstadt offen und lebendig zu halten, bedarf es mehr als guten Zuspruch vonseiten der älteren Kollegenschaft, einmalige Geldzuschüsse und ein Händeschütteln mit dem Bürgermeister. Es braucht eine durchdachte Aufwertung der Idee „Landleben“ im Gegensatz zum hochvernetzten, postmodernen Großstadtraum. Dabei geht es nicht um die Idealisierung einer rosaroten Landidylle, sondern um konkrete, nachhaltig wirkende Maßnahmen, die das Leben auf dem Land lebens- und erstrebenswert und vor allem – auch im Detail – machbar gestalten. Dazu zählen unter anderem der Einsatz von öffentlichen Verkehrsmitteln, das Vorhandensein von Schulen, Vereinen und zentralen Pfeilern einer intakten Infrastruktur – von Post über Bank bis hin zum Ärztehaus.
Was viele Großstädter gezielt suchen, hat Zahnärztin Katharina Tschamler im thüringischen Menteroda zur Genüge: Entschleunigung von Raum und Zeit. Denn hier, wo sich fast jeder kennt und die Straßen angenehm leer sind, lässt sich Zahnmedizin mit hoher Lebensqualität verbinden. Im Januar 2019 übernahm Katharina Tschamler als neue Inhaberin die einzige Zahnarztpraxis in Menteroda.
Frau Tschamler, was hat Sie anfänglich nach Menteroda gebracht?
Ich komme ursprünglich aus Bad Langensalza, habe in Jena studiert und wollte später in meinem Heimatumfeld arbeiten. Als ich 2016 über einen Zahntechniker in Mühlhausen erfuhr, dass eine Zahnärztin in Menteroda langfristig nach einer Nachfolge sucht, ging ich dem Tipp nach und traf auf Frau Westphal, die Praxisinhaberin. Wir verstanden uns gut und klärten die Übergabe genau ab: Bis 2018 wollten wir beide gemeinsam in der Praxis wirken – auch um Patienten und Assistenz langsam an eine neue Behandlerin und zukünftige Praxisinhaberin zu gewöhnen – und dann, zeitgleich mit dem Ausscheiden einer langjährigen Zahnarzthelferin, die Übergabe an mich vornehmen. Dieses Arrangement eines sanften Übergangs hat für alle sehr gut funktioniert.
Welche Rolle kommt Ihnen als Zahnärztin in der Ortsgemeinde zu?
Ich bin die einzige Zahnärztin in Menteroda und damit ein wichtiger Bestandteil der im Vergleich zu anderen Kleinstädten relativ gut aufgestellten Infrastruktur und Gesundheitsversorgung des Ortes. Neben meiner Zahnarztpraxis gibt es hier noch eine Hausarztpraxis, eine Apotheke und zwei Physiotherapie-Praxen. Bewohner können somit mit ihren (zahn-)medizinischen Anliegen, zumindest in einem ersten Schritt, im Ort versorgt werden. Die Bewohner wissen das zu schätzen und vermitteln uns das auch – sie freuen sich, dass wir hier sind, und wertschätzen unsere Arbeit und unser zahnmedizinisches Angebot.
Was haben Sie bei der Übernahme der Praxis sofort geändert und was vorerst belassen?
Als ich die Praxis übernahm, arbeitete meine ehemalige Chefin noch als angestellte Zahnärztin bei mir weiter. Daher war für mich klar, meine Neuerungsvorstellungen, auch aus Respekt meiner Vorgängerin gegenüber, nicht abrupt, sondern langsam und mit Bedacht umzusetzen. Zudem wollten wir die Patienten nicht überfordern, erst mal an den personellen Wechsel heranführen und danach, schrittweise, die Praxis modernisieren. Dabei war natürlich auch die Finanzierung ein Thema:
Ich musste erst ein Budget für meine angedachten Modernisierungen bereitstellen. Was sich zu Beginn jedoch schnell und einfach umsetzen ließ, war ein optischer Neuschliff – wir renovierten die Praxis in einem mehrtägigen Einsatz und gaben ihr durchweg eine neue Wandfarbe. Dabei half – als indirekte Teambuilding-Maßnahme – das ganze Team mit. Zu diesem Zeitpunkt beließ ich den Praxisworkflow und die Praxissoftware vorerst in ihrer alten Form; Anfang 2021 stellte ich die Software um. Das war für die alteingesessenen Mitarbeiterinnen eine große Umstellung.
„Man kennt sich oftmals über die Praxis hinaus, trifft sich in der Kaufhalle oder ist vielleicht sogar miteinander befreundet. Das verbindet und führt auch dazu, dass Patienten in der Regel ihre Rechnungen ohne weitere Erinnerungen begleichen, die Zahlungsmoral hoch ist und ein Mahnwesen durch ein externes Abrechnungswesen, wie es Stadtpraxen benötigen, entfällt.“ © Katharina Tschamler
Kann eine Praxis in einem kleinstädtischen oder dörflichen Umfeld wirklich wirtschaftlich sein? Wie sehen Sie das?
Meiner Meinung nach ja. Die Frage ist natürlich nur, welche Ziele verfolgt werden und was Sie unter wirtschaftlich verstehen. Für mich stellen vor allem drei Aspekte einen wirtschaftlichen Gewinn dar: Zum einen besteht im ländlichen Raum ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen Behandler und Patienten. Man kennt sich oftmals über die Praxis hinaus, trifft sich in der Kaufhalle oder ist vielleicht sogar miteinander befreundet. Das verbindet und führt auch dazu, dass Patienten in der Regel ihre Rechnungen ohne weitere Erinnerungen begleichen, die Zahlungsmoral hoch ist und ein Mahnwesen durch ein externes Abrechnungswesen, wie es Stadtpraxen benötigen, entfällt. Zum anderen ist die Höhe meiner Praxisausgaben (Miete etc.) in Teilen deutlich geringer als im Vergleich zur Großstadt. Darüber hinaus ist die Personalsuche und -bindung um vieles einfacher. Ich konnte binnen zwei Wochen eine Stelle neu besetzen, für die ich viele Bewerberinnen zur Auswahl hatte. Denn die Mitarbeiterinnen freuen sich, hier wohnen und auch arbeiten zu können. Damit ist die Motivation, die Arbeit gut zu tun und die Stelle zu behalten, groß. Das sind alles wichtige zwischenmenschliche, aber eben auch wirtschaftliche Pluspunkte für mich, die sich aus dem Standort heraus ergeben. Grundvoraussetzung ist selbstverständlich, dass man selber die ländlichen Strukturen kennt und mag – ich komme vom Dorf, wohne und arbeite in einem Dorf. Ich entstamme dieser Mentalität. Für gebürtige Städter ergibt das Ganze womöglich ein anderes Bild.
Welches Argument spricht Ihrer Meinung nach am stärksten für Ihren Praxisstandort?
Ganz klar, das beiderseitige Vertrauen zwischen Praxis und Patient. Das ist ein unschlagbarer Vorteil. Es bereitet mir Freude, reduziert meinen Arbeitsaufwand und sichert auch den wirtschaftlichen Erfolg meiner Praxis.
Dieser Beitrag ist in der aktuellen ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.