Branchenmeldungen 16.08.2022
FAQ #4: Keramikimplantate – mit welcher Herstellungsart zum Langzeiterfolg?
Die Herausforderung bei Keramikimplantaten bestand lange Zeit in ihrer Osseointegration. Heute ist wissenschaftlich belegt, dass die Oberflächen von Keramikimplantaten eine hohe Rautiefe aufweisen müssen, um einen mit Titanimplantaten vergleichbaren Osseointegrationserfolg zu erreichen. Aufgrund seiner mechanischen Eigenschaften hat sich Zirkoniumdioxid für die Fertigung von Keramikimplantaten durchgesetzt. Die Herausforderung bei diesem unglaublich harten Material besteht darin, dass es nur mit Diamantwerkzeugen beschliffen werden kann – ein Vorgang, der je nach Herstellungsweise Mikrorisse im Material entstehen lässt. Da sich die Fertigungsweisen von Zirkoniumdioxid-Implantaten auch bezüglich der erreichbaren Oberflächenrautiefen unterscheiden, tun Anwender gut daran, in Erfahrung zu bringen, wie das Produkt, das sie anwenden, gefertigt wird.
HIP-Verfahren
Im Rahmen des sogenannten HIP-Verfahrens, der gängigsten Herstellungsart von Zirkoniumdioxid-Implantaten, werden dicht gesinterte Rohlinge heißisostatisch gepresst, wodurch sie eine hohe Materialdichte und einen hohen Reinheitsgrad erhalten. Zwar weisen „gehipte“ Keramiken ein äußerst niedriges Bruchverhalten auf, allerdings geht deren Bearbeitung aufgrund der Materialhärte mit einem hohen Zeit- und Kostenaufwand sowie einem erheblichen Werkzeugverschleiß einher. Auch lassen sich auf gehipten Keramikoberflächen keine hohen Rautiefen aufbringen, ohne dabei Mikrorisse im Material entstehen zu lassen, die sich negativ auf die Langzeitperformance der Implantate auswirken würden.
Spritzguss (CIM)
Eine besonders kostengünstige Alternative stellt der Spritzguss (Ceramic Injection Moulding – CIM) dar. Dieser erlaubt es, komplexe und feine Oberflächenstrukturen in nur einem Fertigungsschritt zu definieren. Zirkonoxidpulver wird dazu mit thermoplastischen Bindern zu einer homogenen Masse vermischt, die in eine geschlossene Form gespritzt und durch das Zuführen von Temperatur plastifiziert wird. Durch das anschließende Sintern erhält der keramische Formkörper seine finalen mechanischen Eigenschaften. Zwar eignet sich das CIM gut für die Serienfertigung, allerdings lassen sich auch mit dieser Herstellungsweise nur begrenzt Oberflächenrautiefen (von maximal Ra 1,5 µm) realisieren – bei höheren Rautiefen würde die Entfernung des Grünlings aus der Form Probleme bereiten.
FF-Verfahren
Alternativ können vorgesinterte Rohlinge, die genügend Stabilität aufweisen, um die gewünschten Geometrien bei niedrigem Werkzeugverschleiß herauszufräsen, sowie kreideweiche, mit Bindemitteln versetzte Rohlinge, die noch keiner Wärmebehandlung unterzogen wurden, leicht und zeiteffizient zu Keramikimplantaten verarbeiten werden. Die Schrumpfung des Formkörpers (von ca. 20-30%), die durch die nachgeschaltete Sinterung eintritt, machen sich innovative Herstellungsverfahren heute gezielt zunutze: Vor dem Sintern wird der Rohling zunächst mit allen Bearbeitungsschritten in Form gebracht und durch Bestrahlen wird eine hochraue Oberfläche erzeugt. Durch das anschließende Sintern schrumpft das Implantat zusammen, wodurch Mikrorisse, die sich während der Oberflächenbearbeitung im Implantat eingeschlichen haben könnten, eliminiert werden. Auf diesem Wege lassen sich besonders langzeitstabile Keramikimplantate mit einer idealen Oberflächentopografie, die nachweislich für den Osseointegrationserfolg entscheidend ist, fertigen. Der Nachteil eines solchen Verfahrens ist, dass es aufgrund seiner Patentierung nicht für die breite Masse anwendbar ist.
Die Herstellungsprozesse von Keramikimplantaten sind so vielfältig wie die angebotenen Systeme selbst. Festzuhalten ist, dass sich die Langzeitperformance eines Zirkoniumdioxid-Implantats steigern lässt, wenn die richtigen Herstellungsvoraussetzungen gewählt worden sind. Vor diesem Hintergrund sollten Anwender die Fertigungsverfahren ihrer verwendeten Produkte kritisch hinterfragen und sich regelmäßig über die neusten Herstellungstechnologien informieren.
Autor: Johannes Liebsch