Branchenmeldungen 23.07.2025

Syrische Zahnärzte in Deutschland: Neue Perspektiven in der alten Heimat?

Mit dem Regimewechsel in Syrien stellt sich für viele Zahnärztinnen und Zahnärzte die Frage, ob es in dem arabischen Staat für sie eine berufliche Zukunft gibt. Für das deutsche Gesundheitssystem wäre das ein herber Verlust.

Syrische Zahnärzte in Deutschland: Neue Perspektiven in der alten Heimat?

Foto: Andrii Yalanskyi – stock.adobe.com

Über Wochen konnte es Ghassan Al Shalak nicht glauben: der langjährige syrische Machthaber Baschar Al-Assad gestürzt, sein Regime am Ende? „Das hatte niemand kommen sehen“, erzählt er in einem Café in Berlin-Kreuzberg immer noch ungläubig. Vor allem aber ist er unendlich erleichtert. Denn über ihn und seine Familie hatte der autoritäre Diktator viel Leid gebracht.

Weil sich Ghassan Al Shalak gegen das Regime engagierte und Demonstrationen besuchte, erhob die Polizei gegen ihn den Vorwurf des Hochverrats. Sein Elternhaus wurde bei einer Durchsuchung von der Polizei verwüstet, Freunde verhaftet, Al Shalak verhört. Die Familie ergriff die Flucht und lebt bis heute in allen Windrichtungen verstreut: Die Eltern in Saudi-Arabien, eine Schwester studiert Zahnmedizin in Kairo, die andere ist Apothekerin in Hamburg, ein Bruder Neurologe in Siegen und Ghassan Al Shalak Zahnarzt in Berlin.

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„In vielen Teilen Deutschlands wäre die Versorgung ohne diese Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland akut gefährdet.“

Der 34-Jährige gehört zu mutmaßlich mehr als 5,5 Millionen Syrern, die ihr Land wegen des Bürgerkriegs ab 2011 verlassen haben. Das ist mehr als ein Fünftel der jetzigen Bevölkerung, wobei die Schätzungen zur syrischen Diaspora stark variieren. Viele Menschen bauten sich in arabischen Nachbarstaaten, in der Türkei, Europa oder den USA ein neues Leben auf. Unter ihnen sind auch viele gut ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner. Das hat Auswirkungen auf das syrische Gesundheitswesen: Das deutsche Entwicklungsministerium geht davon aus, dass mehr als ein Drittel der Kliniken nicht mehr funktionsfähig sind und rund die Hälfte der medizinischen Fachkräfte das Land verlassen hat.

Größte Gruppe ausländischer Zahnärzte

In Deutschland stellen Syrer laut Bundeszahnärztekammer die größte Gruppe der Zahnmediziner mit ausländischem Pass oder doppelter Staatsbürgerschaft. Unter den Einbürgerungen belegen sie seit Jahren den ersten Platz. Ärzte, Zahnmedizinische Fachangestellte und Pflegekräfte stellen für viele Gesundheitseinrichtungen eine unverzichtbare Stütze dar. Würden diese Menschen Deutschland wieder verlassen, hätte das deutsche Gesundheitssystem ein noch größeres Fachkräfteproblem als bisher. Das belegt die Studie „Internationale Talente“ des Deutschen Krankenhausinstituts aus dem November 2024. 83 Prozent der befragten Krankenhäuser erwarten, dass die Anzahl der internationalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den nächsten fünf Jahren teilweise deutlich steigen wird.

Weil viele Syrerinnen und Syrer noch sehr jung sind, spricht ihnen das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) zu, den Fachkräftemangel in Zukunft abzufedern. „Erwerbstätige Syrer sind eine Stütze für den deutschen Arbeitsmarkt“, sagt IW-Experte Fabian Semsarha. „Umso wichtiger ist es, dass sie eine langfristige verlässliche Bleibeperspektive bekommen.“ Er fordert klare politische Rahmenbedingungen, um sowohl Unternehmen als auch den Beschäftigten langfristige Planungssicherheit zu gewährleisten.

Unverzichtbar fürs Gesundheitswesen

In einem gemeinsamen Appell an Politik und Gesellschaft unterstrichen Bundesärztekammer, Bundespsychotherapeutenkammer, Deutscher Pflegerat, Marburger Bund und ver.di im Februar 2025 die Bedeutung ausländischer Fachkräfte für das deutsche Gesundheitswesen. „In vielen Teilen Deutschlands wäre die Versorgung ohne diese Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausland akut gefährdet“, schreiben die Akteure aus dem Gesundheitswesen. Stationen in Kliniken müssten reduziert und lange Wartelisten geführt werden. Pflegebedürftige könnten nicht mehr versorgt und zahlreiche Arztpraxen müssten geschlossen werden, da rund 15 Prozent aller Ärztinnen, Ärzte und Pflegefachpersonen in Deutschland eine ausländische Staatsbürgerschaft haben. Darüber hinaus beschäftige jedes Krankenhaus ausländische Fachkräfte und Mitarbeiter in allen Berufsgruppen, Pflegeheime ohne ausländische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wären undenkbar. Hinzu kämen ungezählte Kollegen mit Migrationsgeschichte.

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„Als Zahnmediziner gibt es wenig Perspektiven in Syrien.“

Auch auf die zahnmedizinische Versorgung hätte es Auswirkungen, wenn Syrerinnen und Syrer wegen einer unsicheren Bleibeperspektive oder aus Verbundenheit zur alten Heimat Deutschland verlassen würden. Besonders in den ländlichen Bereichen erwarten die Kassenzahnärztlichen Vereinigungen Versorgungslücken. Ein Beispiel: Laut Schätzungen im Versorgungsatlas werden im Jahr 2030 beispielsweise mehr als 500.000 Menschen in SachsenAnhalt keinen Zahnarzt finden, weil Behandler in Rente gehen und keine Nachfolger finden. Die Rückkehr syrischer Zahnärztinnen und Zahnärzte in ihre Heimat würde diesen Trend noch verstärken.

Schwieriger Start

Obwohl es als politisch Verfolgter aus einem Bürgerkriegsland sein gutes Recht gewesen wäre, kam Ghassan Al Shalak nicht als Flüchtling nach Deutschland. 2014 besuchte er zusammen mit seinem Vater, einem Oralchirurgen, einen Implantologiekurs in der Schweiz. Ein Jahr später fuhr er dort noch einmal hin – und nahm anschließend den Zug nach Berlin. Nach seiner Ankunft am 1. September 2015 meldete er sich für einen Sprachkurs an und beantragte bei der Ausländerbehörde ein Visum als Sprachstudent. Viele Behördengänge später erhielt er eine Aufenthaltsgenehmigung für zehn Monate.

Diese Zeit nutzt Ghassan Al Shalak, um die Anerkennung seiner Berufsausbildung vorzubereiten. Damals hatte er den Abschluss von der Universität Damaskus bereits in der Tasche und als Zahnarzt eineinhalb Jahre im saudi-arabischen Riad gearbeitet. Doch ein Leben dort konnte er sich nicht vorstellen. „Mein Traum war es schon immer, in Deutschland zu arbeiten“, sagt er.

Mithilfe von Sprachkursen, täglich mehreren Stunden in der Bibliothek beim Lesen von Fachbüchern und nicht zuletzt durch Schlager von Matthias Reim und Helene Fischer lernte Ghassan Al Shalak in kurzer Zeit ausgezeichnet Deutsch. „Wahrscheinlich hat mir auch mein Englisch ein bisschen geholfen“, räumt er bescheiden ein. Bei seinem ersten Praktikum in einer Praxis in Zehlendorf hatte er immer ein kleines Heftchen mit handschriftlich eingetragenen Fachbegriffen dabei. „Sonde“ oder „Extraktionszange“ werden schließlich in den wenigsten Deutschkursen gelehrt.

Mit einer anfangs auf zwei Jahre ausgestellten vorläufigen Berufserlaubnis fing Ghassan Al Shalak 2016 in der Kreuzberger Praxis an, in der er bis heute arbeitet. Währenddessen bereitete er sich auf die Kenntnisprüfung vor. Immer wieder bangte er um seinen Aufenthaltstitel und die Arbeitserlaubnis, musste sich sechs Monate quasi ohne Einkommen durchschlagen, bis er schließlich die Approbation erhielt. Woher nahm er die Kraft für diese Anstrengungen, trotz aller Widerstände und Unsicherheiten? „Ich hatte ein klares Ziel vor Augen, das half“, meint er rückblickend.

Wunsch nach Promotion und eigener Niederlassung

Etwa ein Drittel von Al Shalaks Patienten haben einen arabischen Hintergrund. Der Beruf macht dem 34-Jährigen Spaß. In der Regel gehe es nicht um Leben und Tod. „Die Behandlung finden die meisten Menschen zwar nicht besonders angenehm, manche haben auch Angst. Zum Schluss sind sie aber sehr dankbar“, sagt er. „Außerdem arbeite ich gerne mit den Händen. Wie anstrengend das eigentlich ist auf so kleinem Raum, merke ich oft erst nach Feierabend.“

Inzwischen hat er neben der syrischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Das erleichtere das Reisen, selbst in arabische Länder wie Ägypten. Er spielt mit dem Gedanken an eine Promotion und an eine eigene Niederlassung. Seine Zukunft sieht er zum jetzigen Zeitpunkt in Deutschland. „Ich kann mir gut vorstellen, beim Wiederaufbau zu helfen, aber als Zahnmediziner gibt es wenig Perspektiven in Syrien“, sagt er. Stromausfälle und Wasserknappheit machten die Behandlung selbst in Metropolen mühsam. Aufgrund der Sanktionen fehle es an Materialien. Viele Fachkräfte hätten das Land verlassen.

Offenheit bewahren

Ghassan Al Shalak sieht die Zukunft in Deutschland aber auch nicht nur rosig. „Wie schnell autoritäre Regierungen ein ganzes Land verändern können, sehen wir gerade in den USA“, sagt er im Hinblick auf das Umfragehoch der AfD. In Berlin meide er bestimmte Stadtteile, in denen er Diskriminierung befürchte. Deutschland müsse aufpassen, dass es den Reiz für gut ausgebildete Fachkräfte nicht verliere.

Wenn Ghassan Al Shalak nach Syrien fährt, weiß er schon, welchen Ort er als erstes besuchen will: das Grab seiner Großmutter. Weder er noch sein Vater konnten sich von ihr verabschieden. Bei einer Einreise hätte ihnen die Verhaftung durch Militär gedroht. Gut, dass diese Zeiten vorbei sind.

Autorin: Judith Jenner

Dieser Artikel ist als Auftaktartikel in der aktuellen DFZ-Ausgabe 7-8/25 erschienen, die sich schwerpunktmäßig mit dem Thema „Vielfalt fördern – Qualität sichern“ befasst und weitere Beiträge dazu enthält.

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