Branchenmeldungen 11.03.2016
Paradigmenwechsel: Das All-on-4® mit Sofortversorgung
Ende
vergangenen Jahres fand das 6. Nobel Biocare Ostsee-Symposium unter dem Motto
„Das Netzwerk kommt zusammen“ in Rostock-Warnemünde statt. Das Symposium hatte
dabei ein Thema ganz besonders in den Fokus gerückt: das Team aus Zahnarzt und
Zahntechniker. Im Rahmen des Kongresses sprach das Implantologie Journal mit
Dipl.-Stom. (DS) Thorsten Radam, Meiningen, und Zahntechnikermeister (ZTM) Lutz
Tamaschke, Berlin, über eben diese Zusammenarbeit und die Behandlung mit dem
All-on-4®-Konzept.
Ein großes Thema zum Ostsee-Symposium ist „All-on-4® mit Sofortversorgung“, denn die zeitnahe Behandlung gewinnt immer stärker an Bedeutung. Herr Dr. Radam, Herr ZTM Tamaschke, wo sehen Sie die Herausforderungen und wo die Chancen?
DS Radam: Die Herausforderung besteht darin, dass ein Behandler das Bedürfnis und den Bedarf bei seinen Patienten nach derartiger Versorgung erkennen muss. Das Erkennen ist dabei die eine Seite, die Möglichkeit, diese Versorgung als Behandler anzubieten, die andere. Das soll bitte nicht damit verwechselt werden, ein Bedürfnis zu wecken, von dem der Patient vorher noch gar nicht wusste, dass er es hat. Im Zeitalter einer umfassenden Aufklärung und einer Wahrnehmung von Selbstbestimmungsrechten müssen wir klarstellen: Das ist eine Behandlungsoption und über die Hintergründe oder Begleiterscheinungen dieser Behandlungsoption müssen wir aufklären. Wir besprechen mit den Patienten die Vor- und Nachteile sowie die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, da diese nun mal eine sehr starke Rolle spielen. Sobald die Patienten erkennen, dass es sich bei dieser Form der Sofortversorgung um eine nachhaltige und dementsprechend auch preiswerte Lösung im besten Wortsinne handelt, fällt es ihnen leicht, sich dafür zu entscheiden. Es ist eine erprobte Behandlungsoption, die man bei gegebener Indikation heutzutage den Patienten empfehlen kann, vielleicht sogar empfehlen muss. Bei dieser Behandlungsform liefert die zahntechnische Implantatprothetik gehörigen Input, den mein Kollege ZTM Tamaschke an dieser Stelle besser beschreiben kann als ich.
ZTM Tamaschke: In der Tat ist der zahntechnische Input groß, auch wenn der Startschuss zur Behandlung in der Praxis erfolgt. Wenn zu uns ein Patient mit einer Teleskop- oder Geschiebearbeit zur Farbauswahl kommt und fragt, was passiert, wenn der Zahn verloren geht, rege ich natürlich an, über eine langfristige und sichere Lösung wie zum Beispiel das All-on-4® nachzudenken. Aber am Ende muss das immer der Behandler mit dem Patienten abklären. Aus zahntechnischer Sicht ist das bei gegebener Indikation auf jeden Fall meine Empfehlung.
Wenn wir nun All-on-4® als Behandlungskonzept beleuchten, welche Rahmenbedingungen sind zu beachten?
DS Radam: Wie schon der Kollege Tamaschke eben angedeutet hat, muss die Indikation vom Zahnarzt gestellt werden – und diese Indikationsstellung heute unterscheidet sich ganz klar von der von vor fünf oder zehn Jahren. Heute denken und behandeln wir dem demografischen Trend entsprechend. Die Alterszahnheilkunde gibt uns dabei neue Inspirationen. Die Rahmenbedingungen enden nicht zuletzt bei der Frage, wie gesundheitlich und ökonomisch belastbar der Patient ist. Als Zahnarzt muss man sich aber selbstverständlich ebenso die Frage stellen: Kann ich das? Das wohl Schlimmste wäre, mit der Therapie des Patienten dort zu enden, wo die eigene Kompetenz aufhört.
ZTM Tamaschke: Im Labor ist die absolute Präzision das Wichtigste. Angefangen beim digitalen Workflow bis zur fertigen Arbeit über Provisorien. Wie auch immer das Konzept durchgeführt wird, es ist ganz entscheidend, sich an die Vorgabe der Industrie zu halten. Alles andere wäre fahrlässig. Wenn jemand eine All-on-4®-Arbeit auf jeweils zwei Implantatbrücken mit Verschiebeebenen versorgt, ist das eine falsche Anwendung für solch ein Konzept und wir verlieren unsere Kunden und die Zahnärzte ihre Patienten. Es ist zwar mathematisch korrekt, konzeptionell aber nicht. Es sind nicht zwei Brücken mit Geschiebe, und das wird noch oft missverstanden.
All-on-4®-Konzept nach Prof. Dr. Maló. © Nobel Biocare
Thema Sofortimplantation und Sofortversorgung: Dass die zeitnahe Versorgung im Sinne der Patienten ist, liegt wohl in der Natur der Sache. Wie steht es um die Akzeptanz in der Kollegenschaft?
DS Radam: Auf der einen Seite sind diese Konzepte in meiner Kollegenschaft bereits sehr bekannt. Auf der anderen sind sie dennoch nicht vertraut, weil diese Konzepte einen Paradigmenwechsel bedeuten. Es ist eine medizinhistorische Entwicklung im Gange, die zu einer immer größer werden Akzeptanz führt. Die Patienten, die davon erfahren, werden dazu beitragen, dass sich die Kritiker damit befassen. Ja, das ist bestimmt die Zukunft.
ZTM Tamaschke: Hinsichtlich der Vertrautheit sehe ich das genauso. Leider sehe ich auch, dass das Misstrauen noch größer ist als das Vertrauen. Das liegt wohl daran, dass das Konzept neu und unbekannt ist, nach dem Motto: Ich kenne es nicht, also nutze ich es nicht. In der zahntechnischen Branche herrscht aber zum Glück eine gewisse Neugierde und die Kollegen besitzen ein Verlangen, etwas auf dem schnelleren Weg und in besserer Qualität herzustellen. Das ist eine Chance für alles Neue und natürlich immer verbunden mit einer Lernkurve.
Mancherorts werden Behandlungskonzepte wie die All-on-4®-Methode noch als Sozialindikation verstanden. Wie ist Ihr Verständnis?
DS Radam: Den Begriff der Sozialindikation halte ich zwar nicht für treffend, allerdings kann man natürlich damit im Vergleich zu anderen aufwendigen Versorgungen Kosten sparen. Es ist eine sehr effektive und auf lange Sicht sich stets rechnende Behandlungsmethode, die den Patienten in seiner Gesundheit schont und die Lebensqualität der Menschen deutlich steigert.
ZTM Tamaschke: Wir können einfach von den Möglichkeiten und verschiedenen Gestaltungsvarianten des All-on-4®-Konzeptes profitieren, zum Beispiel von einer verschraubten Prothese im Prothesenkörper oder High-End-keramischen Verblendarbeit. Dazu können wir zusätzlich auch den Preis variabel halten. Wir haben somit Spielraum. Dennoch spreche ich bei Implantationen nicht gern von einer preisgünstigen Arbeit, denn das macht es nicht wertvoll. Dabei ist es unvergleichlich wertvoll, feste Zähne zu besitzen.
Ein großer Trend geht in Richtung verschraubte Lösungen. Kommt der Zement in der Implantatversorgung aus der Mode?
DS Radam: Ja, er kommt aus der Mode. Allerdings denke ich, dass er trotzdem noch nicht ganz wegfallen wird. Wenn wir an vielen Stellen verschrauben, werden wir an vielen anderen Stellen auch noch zementieren. Zum Beispiel wenn wir auf einem verschraubten Abutment gingival zementieren. Zement wird es weiterhin geben, der Trend wird sich jedoch dahin entwickeln, dass in den biologisch kritischen Zonen die Verschraubung den Zement ablöst. Sicherlich ist dort auch noch nicht das Ende der Entwicklungen in den Verbindungen erreicht und es wird weitere Forschung geben müssen. Auch in Richtung der Implantatoberflächen – Stichwort Nanotechnologie – wird noch einiges kommen.
ZTM Tamaschke: Bei uns im Labor ist es grundsätzlich so, dass wir das Prinzip der Verschraubung vielfältig nutzen. Alles, was möglich ist, wird verschraubt. Denn, sobald ein Abutment lose ist, haben wir Zahntechniker den Stress damit. Ich arbeite zurzeit mit ein paar Kollegen an einer Studie, worin wir unsere Implantatzahlen seit Geschäftsgründung 1997 bis heute festhalten und auswerten, welche Arbeiten wir darauf gesetzt haben – zementiert, verschraubt, Teleskop, Steg, feste Brücken, verschraubte Brücken usw. Allein bei uns im Labor haben wir eine Stückzahl von 15.000 Implantaten und bei den Kollegen, die länger im Geschäft sind, sind es etwa 20.000 Implantate. Die Daten werden jetzt alle in einer Studie zusammengefügt und veröffentlicht. Bereits die ersten Auswertungen haben gezeigt, dass in meinem Labor die verschraubten Lösungen der Favorit sind, danach folgen die Stegarbeiten. So gut wie gar nicht mehr genutzt werden nicht nur Teleskope, sondern auch Zement. Im Labor liegen wir hier bei 2.000 bis 3.000 Stück. Sieht man sich das in einem Zeitstrahl an, so wird gut erkennbar, dass der Einsatz von Zement deutlich gesunken ist. Ich könnte mir vorstellen, dass die Verschraubungen noch eleganter werden, hier gibt es bestimmt Ideen seitens der Industrie. Einige Zahnärzte tun sich schwer, die prothetische Schraube richtig einzudrehen und das richtige Drehmoment zu nehmen. Dennoch würde ich die Erfolgsrate bei verschraubten Lösungen als sehr überzeugend bezeichnen.
DS Radam: Hier hilft vor allem eine Zusammenarbeit zwischen Zahntechniker und Zahnarzt und der Transport von Fachwissen und Informationen. Wir wollen auch die Botschaft senden, dass diese Zusammenarbeit auf Augenhöhe passieren muss und dass alles andere weder fair gegenüber den Patienten noch den Geschäftspartnern ist. Es ist eine Gemeinschaftsarbeit. Vor einiger Zeit haben wir noch von drei Parteien gesprochen – dem Zahnarzt, dem Zahntechniker und dem Patient. Heute möchte ich sagen, dass die Industrie mit dazu gehört. Patient, Zahntechniker, Zahnarzt und Industrie müssen einfach zusammenarbeiten und wenn wir weitergehen, sehe ich auch die Gesundheitsökonomen am Zug. Aktuell interessiert sich das Gesundheitssystem in Deutschland leider nicht dafür, was der Patient wünscht, sondern für das, was man abrechnen kann. Hier wünsche ich mir eine Trendumkehr.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.