Wissenschaft und Forschung 20.12.2024

Millionen Jahre alte Zähne enthüllen evolutionäre Geheimnisse



Millionen Jahre alte Zähne enthüllen evolutionäre Geheimnisse

Foto: Knut – stock.adobe.com

Ein internationales Forscherteam hat das fossile Gebiss eines ca. 1,8 Millionen Jahre alten Frühmenschen analysiert, um Schlüsse auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns und der menschlichen Lebensweise zu ziehen. Mehrere in Dmanissi (Georgien) gefundene, gut erhaltene Schädel und Kiefer geben Aufschluss über die Lebensgeschichte, die soziale Organisation und die kognitiven Fähigkeiten einer frühen Homo-Population.  

Zähne als Fenster zur Evolution 

Die menschliche Entwicklung unterscheidet sich stark von der anderer Primaten, insbesondere durch eine verlängerte Kindheits- und Wachstumsphase. Diese Verzögerung gilt als Schlüsselfaktor für die Entwicklung fortgeschrittener kognitiver Fähigkeiten. Zähne sind besonders wertvoll für die Rekonstruktion der Entwicklung von Frühmenschen, da ihr Wachstum durch die Ablagerung von Zahnschmelz und Dentin besonders gut dokumentiert wird. Das liefert präzise Informationen über Tempo und Reihenfolge der Zahnentwicklung, die wiederum Rückschlüsse auf das gesamte Wachstumsmuster des Individuums erlauben. 

Beim modernen Menschen ist die Zahnentwicklung deutlich langsamer als bei Menschenaffen und eng mit dem verlängerten postnatalen Gehirnwachstum verknüpft. Die Untersuchungen des Forscherteams an den fossilen Zähnen liefern wertvolle Einblicke in die Evolution der Homininen. 

Zahnanalyse aus Dmanissi: Hinweise auf frühe Lebensweisen 

Die Wissenschaftler aus der Schweiz, Frankreich und Georgien analysierten die Zähne eines ca. elf oder zwölf Jahre alten Homo-Individuums aus Dmanissi, das kurz vor Abschluss der dentalen Reife stand. Die Ergebnisse zeigten eine Mischung aus menschenaffenähnlichen und menschenähnlichen Merkmalen. Schädel und Kiefer des Individuums zeigten eine starke Abnutzung an den ersten Molaren, eine moderate Abnutzung an den zweiten Molaren und gut entwickelte, aber noch nicht vollständig geformte Wurzeln und erste Abnutzungsfacetten am dritten Molar. 

Die hohe Zahnreifungsrate und die Durchbruchszeiten der Molaren (ca. 3,8 Jahre für den ersten Molar, ca. 7,6 Jahre für den zweiten, ca. 10,6 Jahre für den dritten) sind mit denen von Schimpansen vergleichbar. Dagegen sprechen die verzögerte Entwicklung der hinteren bleibenden Zähne im Vergleich zu den vorderen Zähnen sowie ein insgesamt späterer Wachstumsschub des Gebisses für eine verlängerte Nutzungsphase der Milchmolaren – und damit für eine längere Phase der Ernährungsabhängigkeit. Die längere Nutzung der Milchzähne spricht für einen reduzierten Kaubedarf – Funde von einfachen Steingeräten zur Bearbeitung von Fleisch belegen zudem, dass der Fleischverzehr durch Werkzeuge erleichtert wurde. Diese Forschungsergebnisse sprechen für ein menschenähnliches Wachstumsmuster und geben Hinweise auf eine verlängerte Kindheit bei der frühen Homo-Spezies. 

Lange Kindheit und soziale Kooperation: Der Schlüssel zur Evolution 

Die Funde in Georgien legen nahe, dass die Veränderungen in der Zahnentwicklung eng mit Anpassungen an die Ernährungsgewohnheiten, wie die längere Abhängigkeit von subadulten Individuen von Erwachsenen, sowie eine reduzierte Kaubelastung durch werkzeugunterstützte Nahrungsaufnahme verknüpft sind. Weitere fossile Schädelfunde in Dmanissi belegen, dass ältere Individuen einige Jahre ohne Zähne überlebten, was vermutlich nur dank der Fürsorge anderer möglich war. Diese Ergebnisse weisen auf eine soziale Unterstützung innerhalb der Gruppe hin.  

Im Vergleich zu Menschenaffen zeichnet sich der Mensch durch eine außergewöhnlich lange Kindheitsphase aus, in der mehrere Generationen entscheidend zur körperlichen und geistigen Entwicklung beitragen. Bisher wurde angenommen, dass dieses verlängerte Wachstum vor allem auf das größere Gehirnvolumen des modernen Menschen zurückzuführen ist, da dessen Entwicklung erhebliche Energieressourcen erfordert. 

Doch wie die Forschenden in Dmanissi herausfanden, hatte der frühe Homo kein wesentlich größeres Gehirn als Menschenaffen. Jedoch wurden Anzeichen eines verlängerten postnatalen Wachstums des Gehirns bei der frühen Homo-Population festgestellt. Das Forscherteam stellt daher die Hypothese auf, dass die soziale Kooperation in der Gruppe die verlängerte Kindheitsphase und ein längeres Lernen, ergo eine längere Entwicklung des Gehirns, ermöglichte. Dies ging der späteren evolutionären Anpassung der Vergrößerung des Gehirns voraus. 

Insgesamt zeigt die Studie, dass die Evolution des Homo nicht in einer geraden Linie verlief, sondern durch flexible Anpassungen geprägt war. 

Quelle: Springer Nature 

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