Wissenschaft und Forschung 06.07.2012
Wenn die Angst nicht abklingen will
Wissenschaftler der Universitäten Bonn und Berlin haben einen Mechanismus entdeckt, der nach einem Stressereignis das Vergessen der Furcht unterbindet. Sie zeigten in Experimenten, dass das Abklingen der Angst unterbleibt, wenn zu wenig Dynorphine im Gehirn ausgeschüttet werden. Die Ergebnisse können helfen, neue Wege in der Behandlung von Traumapatienten aufzuzeigen. Die Studie ist in der aktuellen Ausgabe des Journal of Neuroscience veröffentlicht.
Angstgefühle
verhindern sehr wirksam, sich in zu große Gefahr zu begeben. Wer etwas
Schlimmes erlebt hat, meidet meist aus Furcht zunächst einmal den Ort
des Schreckens. Wenn es nicht erneut zu beklemmenden Situationen kommt,
klingen normalerweise die Angstsymptome allmählich wieder ab. „Die
Erinnerung an die schlimmen Ereignisse wird dann nicht einfach
gelöscht“, sagt Erstautor Privatdozent Dr. Andras Bilkei Gorzo vom
Institut für Molekulare Psychiatrie der Universität Bonn. „Die
Betroffenen erkennen vielmehr durch einen aktiven Lernprozess, dass sie
keine Angst mehr haben müssen, weil die Gefahr vorüber ist.“ Nach
extremem psychischen Stress durch Krieg, Geiselnahme, Unfälle oder
Katastrophen können sich jedoch chronische Angststörungen ausprägen, die
sich selbst nach Monaten nicht abschwächen.
Körpereigene Dynorphine schwächen Ängste ab
Was führt dazu, dass sich bei manchen Menschen schlimme Ereignisse so
tief ins Gedächtnis einprägen, während andere nach einiger Zeit ihre
damit verbundenen Ängste komplett ablegen? Wissenschaftler der
Psychiatrie, der Molekularen Psychiatrie und der Radiologie der
Universität Bonn gingen dieser Frage nun gemeinsam auf den Grund. „Wir
konnten mit einer Reihe von Experimenten zeigen, dass Dynorphine eine
wichtige Funktion bei der Abschwächung von Ängsten erfüllen“, sagt Prof.
Dr. Andreas Zimmer, Direktor des Instituts für Molekulare Psychiatrie
der Universität Bonn. Bei der Substanzgruppe handelt es sich um Opioide,
zu denen etwa auch die Endorphine gehören. Letztere werden etwa bei
Sportlern vom Körper ausgeschüttet und haben eine schmerzstillende und
euphorisierende Wirkung. Umgekehrt verhalten sich dagegen die
Dynorphine: Von ihnen ist bekannt, dass sie emotionale Stimmungen eher
dämpfen.
Mäuse mit ausgeschaltetem Gen zeigen anhaltende Angst
Den exakten Einfluss der Dynorphine auf das Gehirn testete das Team um
Prof. Zimmer an Mäusen, bei denen das Gen für die Bildung dieser
Substanzen ausgeschaltet war. Die Tiere zeigten nach einem unangenehmen,
kurzen Elektroschock anhaltende Angstsymptome, selbst wenn sie längere
Zeit nicht mit dem negativen Reiz konfrontiert waren. Mäuse mit normaler
Dynorphin-Ausschüttung waren zwar auch zunächst ängstlich, bei ihnen
klangen die Symptome jedoch rasch ab. „Dieses Verhalten entspricht dem
des Menschen: Wenn man sich die Hand an der Herdplatte einmal verbrannt
hat, vergisst man es nicht mehr so schnell“, erläutert Prof. Zimmer.
„Vokabellernen ist dagegen meist viel langwieriger, weil es nicht mit
Emotionen verknüpft ist.“
Ergebnisse sind auf den Menschen übertragbar
Anschließend zeigten die Forscher, dass sich diese Ergebnisse auf den
Menschen übertragen lassen. „Wir nutzten, dass es natürliche Varianten
des Dynorphin-Gens gibt, die zu einer unterschiedlich starken
Ausschüttung dieser Substanzen im Gehirn führen“, berichtet Prof. Dr.
Dr. Henrik Walter, Direktor des Forschungsbereichs Mind and Brain an der
psychiatrischen Universitätsklinik der Charité in Berlin, der hierzu
zuvor auch am Uniklinikum Bonn forschte. Die insgesamt 33 gesunden
Testpersonen wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Eine mit der genetisch
bedingten stärkeren Dynorphin-Ausschüttung und eine weitere mit
geringerer Gen-Aktivität.
Unangenehmer Reiz führt bei den Probanden zu Stressreaktionen
Die Probanden beobachteten in einem Magnetresonanztomographen (MRT) mit
einer Bildschirmbrille blaue und grüne Quadrate, die auftauchten und
wieder verschwanden. Wenn das grüne Quadrat sichtbar war, versetzten die
Wissenschaftler den Testpersonen mit einem Laser regelmäßig einen
unangenehmen Reiz an der Hand. Dass diese negative Stimulanz tatsächlich
zu einer Stressreaktion führte, wiesen sie anhand vermehrten
Schweißflusses auf der Haut nach. Gleichzeitig zeichneten die Forscher
mit dem Tomographen die Aktivität verschiedener Hirnareale auf. Nach
dieser Konditionierungsphase folgte der zweite Teil des Experiments: Die
Forscher präsentierten die farbigen Quadrate ohne unangenehmen Stimulus
und zeichneten auf, wie lange die zuvor erlernte Stressreaktion
anhielt. Am nächsten Tag wurde das Experiment ohne Laser-Reiz
fortgeführt, um die längerfristige Entwicklung zu verfolgen.
Neue Wege in der Behandlung von Traumapatienten
Es zeigte sich, dass analog zu den Mäusen bei den Testpersonen mit der
geringeren Genaktivität für Dynorphin die Stressreaktion deutlich länger
anhielt als bei den Probanden mit der deutlich größeren Ausschüttung.
In den Hirnscans war darüber hinaus zu beobachten, dass die Amygdala –
eine Hirnstruktur im Schläfenlappen zur Verarbeitung emotionaler Inhalte
– auch dann aktiv war, wenn in späteren Durchgängen ein grünes Quadrat
ohne nachfolgenden Laserreiz präsentiert wurde. „Nachdem der negative
Laserstimulus unterblieb, wurde diese Amygdala-Aktivität nach und nach
schwächer. Das heißt die erlernte Angstreaktion auf den Stimulus wurde
vergessen“, berichtet Prof. Walter. Dieser Effekt war bei der Gruppe mit
der geringeren Dynorphin-Aktivität und den anhaltenden Ängsten weniger
ausgeprägt. „Doch das `Vergessen´ von erlernten Angstreaktionen ist kein
Verblassen, sondern ein aktiver Prozess, an dem der ventromediale
präfrontale Kortex beteiligt ist“, betont Prof. Walter. Dazu passend
fanden die Forscher bei der Gruppe mit der geringen Dynorphinaktivität
eine verminderte Kopplung von präfrontalem Kortex und Amygdala.
„Vermutlich beeinflussen Dynorphine das Angstvergessen entscheidend über
diese Struktur“, sagt Prof. Walter. Die Wissenschaftler hoffen nun, aus
den Ergebnissen langfristig Ansätze für neue Wege in der Behandlung von
Traumapatienten entwickeln zu können.
Publikation: Dynorphins Regulate Fear Memory: from Mice to men, The Journal of Neuroscience, DOI: 10.1523/JNEUROSCI.1034-12.2012
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn