Branchenmeldungen 03.04.2013
Diagnose übers Internet: Telemedizin bislang kaum verbreitet
Blutdruckkontrolle per Internet und
Hilfe vom Experten beim Schlaganfall: Die Telemedizin steckt in
Deutschland noch in den Kinderschuhen. Ein Problem ist, dass nur
wenige Krankenkassen die Kosten übernehmen.
Wer wegen Herzproblemen oder Diabetes
regelmäßig auf einen Spezialisten angewiesen ist, muss oft weite
Wege zurücklegen. Denn gerade auf dem Land fehlen Ärzte, doch die
Kranken werden deswegen nicht weniger. Abhilfe soll die Telemedizin
schaffen. Sie ermöglicht eine Überwachung des Patienten, ohne dass
dieser ständig zum Arzt muss. Doch weit verbreitet ist die Technik
noch nicht. Und nur wenige Krankenkassen
übernehmen diese Leistungen.
Telemedizin kann bei den
unterschiedlichsten Krankheiten angewendet werden. Gemeinsam ist
allen Leistungen lediglich, dass Arzt und Patient räumlich getrennt
und nur durch IT-Technik miteinander verbunden sind. «Eingesetzt
wird Telemedizin vor allem bei Patienten, die mit den normalen
Leistungen der Regelversorgung nicht ausreichend betreut werden
können», erklärt Felix Apitzsch, der sich am Fraunhofer-Institut
FOKUS mit dem Thema befasst.
Gemeint sind zum Beispiel Patienten mit
Herzproblemen, Diabetes, krankhaftem Übergewicht oder nach einem
Schlaganfall - Menschen also, deren Gesundheitszustand regelmäßig
kontrolliert werden muss, die aber nicht dauerhaft stationär
überwacht werden können und wollen. Ohne Telemedizin wäre eine
ausreichende Betreuung für die Krankenkassen teuer und für die
Patienten zeitaufwendig. Denn sie müssten regelmäßig zu einem Arzt
fahren und sich untersuchen lassen, auch wenn sie eigentlich gerade gar
keine Probleme haben. Und wenn sich ihr Zustand doch verschlechtert,
ist der nächste Arzttermin im schlimmsten Fall noch einige Wochen
hin, und der Notfall wird zu spät erkannt.
Gustav Lorch (Name von der Redaktion
geändert) ist einer, der sich die Fahrt zu solchen
Routineuntersuchungen sparen kann. Der 78-Jährige wohnt in einem
800-Einwohner-Dorf im Sauerland, der nächste Arzt ist 15 Kilometer
entfernt. Im Büro des Rentners stehen nun seit zwei Monaten eine
Waage und ein Blutdruckgerät, die seine Daten automatisch an seinen
Arzt übertragen. Jeden Tag steigt Lorch auf die Waage und streift
sich die Blutdruckmanschette über. Mit einem Knopfdruck misst die
Waage, ob sich im Körper des Patienten Wasser eingelagert hat, die
Manschette erfasst Blutdruck und Puls. So erkennt der Arzt, ob die
Behandlung ausreichend ist oder ob er eingreifen muss.
Bei dieser Art der Behandlung und
Überwachung müssen alle zusammenspielen: Der Arzt braucht Zeit, um
die Daten auszuwerten und Rücksprache mit dem Patienten zu halten.
Die Technik muss gewartet werden und gut funktionieren. Und der
Patient muss regelmäßig daran denken, diese Technik zu nutzen und
seine Werte zu messen. «Da muss man lernen, was für die Patienten
zumutbar ist», sagt Apitzsch, dessen Institut an der
E-Health-Initiative des Bundesministeriums für Gesundheit beteiligt ist. «Wenn sie
viele Handlungsschritte durchlaufen müssen, sind manche Patienten
schnell überfordert.» Auch Gustav Lorch musste sich erst
einmal an die Geräte gewöhnen. Mittlerweile kommt er gut zurecht.
Aber: «Meine Frau hätte das nicht verstanden», ist er überzeugt.
«Junge Menschen begreifen das eher.» Doch bei telemedizinischen
Geräten ist es gerade wichtig, dass jeder Patient unabhängig von
Alter oder Bildung damit umgehen kann.
In akuten Notfällen kann Telemedizin
sogar Leben retten. Prof. Heinrich Audebert von der Berliner Charité
hat Erfahrung mit der Ferndiagnose von Schlaganfällen per
Videokonferenz. In abgelegenen Regionen, wo der Weg zur nächsten
speziellen Schlaganfallstation weit ist, können lebensrettende
Minuten gespart werden, indem der Patient im nächstgelegenen
Krankenhaus versorgt wird. Die Ärzte dort wiederum werden
telemedizinisch von Spezialisten unterstützt, die in weiter
entfernten Krankenhäusern sitzen.
Auch wenn ein direkter Kontakt mit dem
Arzt besser wäre und Telemedizin den Ärztemangel nicht ausgleichen
kann, so kann dem Patienten doch auf diese Weise schneller geholfen
werden. Aber: «Nicht jede Erkrankung wird mit
Telemedizin automatisch besser behandelt», betont Audebert. Sinnvoll
ist diese Versorgung bei Krankheiten, die sich rasch verschlechtern
und mit einfachen Messungen erfasst werden können. Oder
bei Notfällen wie einem Schlaganfall, deren Behandlung sehr
standardisiert ist.
«Das klingt so, als hätten wir schon
sehr viele telemedizinische Leistungen in Deutschland», schränkt
Apitzsch ein. «Die überwiegende Zahl der Leistungen ist aber noch
in der Entwicklungs- und Evaluierungsphase.» Ob ein Patient
telemedizinische Leistungen in Anspruch nehmen kann, hängt oft auch
davon ab, bei welcher Krankenkasse er versichert ist. Denn nur wenige
Kassen übernehmen die Kosten. «Es wird aber daran gearbeitet, dass
Telemedizin Patienten aller Krankenkassen angeboten werden kann»,
sagt Apitzsch.
Gerade die E-Health-Initiative soll
dafür sorgen, dass die Entwicklung von Telemedizin weiter
vorangetrieben wird und letztendlich bei den Kranken ankommt.
Irgendwann könnten telemedizinische Leistungen für Patienten
selbstverständlich werden. «Für die Generation, die mit dem
Internet aufgewachsen ist, sind solche Technologien völlig normal»,
sagt Apitzsch. «Die werden irgendwann fragen, warum man noch extra
eine Stunde zum Arzt fahren muss, wenn es auch anders geht.»
Quelle: dpa, Anja Reumschüssel