Lifestyle 19.11.2013

Rajasthan – eine Reise in die alte Welt



Rajasthan – eine Reise in die alte Welt

Foto: © Prof. Dr. Hans Behrbohm

Udaipur gilt als die romantischste Stadt Indiens und liegt im nordwestlichen Bundesstaat Rajasthan. Sie war und ist Sitz der legendären Maharadjas Indiens, deren prachtvolle Paläste an die Märchen von Tausendundeiner Nacht erinnern. Das Land liegt in der Kreuzung großer Weltreligionen und uralter Nomadenstraßen.

Mehrere große Seen, insbesondere der Pichola-See, befinden sich in unmittelbarer Nähe der Innenstadt. Im großen Maharadja-Palast regierte bis 1956 der Maharadscha vom Mewar. Er wird heute als Hotel genutzt. Auf Inseln inmitten der Seen und an deren Ufern befinden sich die zum Teil exklusivsten Luxushotels der Welt, die nachts illuminiert werden und den Besucher in eine unwirkliche Märchenwelt eintauchen lassen. Die Stadt wird von bewaldeten Gebirgsketten umgeben. In den Wäldern soll man durchaus noch schwarzen Pantern und Tigern begegnen. Die Stadt selbst bietet eine historische Altstadt und zahlreiche sehenswerte Paläste und Tempel.

Udaipur, speziell das Lake Palace Hotel, mitten im Pichola-See gelegen, war Drehort für Fritz Langs Filme „Der Tiger von Eschnapur“ und „Das indische Grabmal" (beide 1958/1959) und für den James Bond-Film „Octopussy.“ Eine Attraktion bietet der Pichola-See selbst, der über Jahrhunderte von verschiedenen Herrschern mehrfach erweitert wurde und durch die Errichtung eines Dammes im 15. Jahrhundert entstand. Inmitten des Sees liegen Inseln, die mit Palästen bebaut wurden. Auf einer größeren Insel findet sich eine Ruine des Palastes, der Jag Mandir, mit der Möglichkeit eines besonderen Panoramablickes. Gegenüber erstrahlt die weiße Marmorfassade der Jag-Niwas-Insel mit dem Lake Palace Hotel. Der Blick von hier auf den nahen Stadtpalast und die ihn umgebende historische Altstadt mit ihren engen Gassen und Basaren vermittelt einen Eindruck vom märchenhaften way of life der Maharadschas.

 

 

Ein englischer Kolonialbeamter beschrieb ihn als Augenzeuge folgendermaßen: „Hier lauschten sie den Erzählungen des Sängers und verschliefen ihren mittäglichen Opiumrausch. Die kühle Brise des Sees wehte den zarten Duft von Myriaden von Lotusblüten heran, die das Wasser bedeckten. Und wenn sich die Wirkung des Gifttrankes gelegt hatte, öffneten sie die Augen auf eine Landschaft, zu der nicht einmal ihre Opiumträume etwas Gleichwertiges erfinden konnten. Diese Szenerie bildeten den Rahmen für Zerstreuungen, denen sich Generationen von Sisodia-Prinzen und Herrschern hingaben, indem sie das Geklirr der Waffen gegen die Trägheit eines wollüstigen Lebens eintauschten.“ Indien gehört mit ca. 1.148 Milliarden Menschen zu den bevölkerungsreichsten Ländern der Welt. Das Land befindet sich in einem Aufbruch besonders durch die Softwareindustrie, die derzeit mit ca. 1 % zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt und der eine Wachstumsprogression von bis zu 7 % zugetraut wird. Damit ist sie die Wachstumslokomotive der Wirtschaft. Grund für diesen Aufbruch zur führenden Hightech-Nation ist, dass die Software-Branche am schnellsten die typischen Entwicklungshemmer der veralteten Infrastruktur des Landes, wie Kastendenken und Bürokratismus, überwinden kann. Dennoch hat Indien nach aktuellen Studien von WHO und UNICEF noch immer ein Armutsproblem. Indien ist danach immer noch das Land mit den meisten unterernährten Menschen. Von den ca. 230 Millionen Menschen, die zu wenig zu essen haben, sind der größte Teil Kinder besonders der Landbevölkerung.

Eine Ursache für die immer noch hohe Kindersterblichkeit bis zum ersten Lebensjahr ist auch die Unternährung. Trotz der boomenden Software- und Computerindustrie ist Indien immer noch ein Agrarland mit einer starken Abhängigkeit von Klimabedingungen wie der Stärke des Monsunregens, der auch den Wasserstand in den großen Seen von Udaipur bestimmt. Während meines Aufenthaltes feierten die Menschen an den Wochenenden die vollen Seen, die in den letzten Jahren im Sommer völlig ausgetrocknet waren. Die Hauptanbauprodukte sind Zuckerrohr, Reis, Weizen, Hülsenfrüchte und Baumwolle. Indien ist der führende Teeproduzent der Welt. Weitere Exportschlager sind Gewürze, Cashewnüsse und Kaffee. In der Landwirtschaft dominieren kleinste Betriebe, die zur Hälfte weniger als einen Hektar Land bewirtschaften. Etwa ein Drittel der ländlichen Bevölkerung besitzt keinen Boden. Obwohl 60 % der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft arbeiten, erarbeiten sie nur 18 % des Sozialproduktes des Landes. Das zeigt ein gravierendes Problem einer zu geringen Rentabilität bei einem dringenden Bedarf an Produkten dieser Wirtschaft.

Ich war während meines Aufenthaltes weit außerhalb der Stadt untergebracht. Das Royal Retreat Resort ist eine Hotelanlage im Kolonialstil in Pavillon-Bauweise umgeben von Bergketten und dichten Wäldern. Der Weg dahin führte durch einige sehr kleine Dörfer und ermöglichte, dass ich einen Einblick in das Leben der Landbevölkerung, der sog. Village people, erhielt. Durch die Dörfer führt eine vom Monsunregen aufgeweichte schmale Landstraße entlang überaus dürftiger flacher Häuser. Morgens und abends begegneten mir die Frauen auf ihrem Weg zur zentralen Wasserstelle im Ort. Die Frauen sind in die Sari, das traditionelle Gewand der Inderinnen, gekleidet, welche ihnen eine besondere Grazie und Würde verleiht. Der Kontrast zwischen der wenig trostvollen Landschaft und dörflichen Umgebung zu den würdevoll schreitenden Inderinnen in den farbenfrohen Gewändern ist ein bleibender faszinierender Eindruck. Die morgendlichen und abendlichen „Prozessionen“ zur Wasserstelle und zu den Feldern markieren den Tagesablauf der Village people, die im Wesentlichen von der Landwirtschaft leben. Kleine Familienverbände organisieren das tägliche Überleben zwischen nur zwei Mahlzeiten am Tag. Das eigenständige Erwirtschaften des Lebensoder besser Überlebensunterhaltes ist typisch für die ländlichen Gebiete. Oft besitzen die Familien nur eine Kuh. Die Kuh ist ja bei den Hindus heilig, dient aber der Milchproduktion.

Arbeitsverhältnisse sind auf dem Land unüblich. Soziale Sicherungssysteme fehlen. Auffällig ist neben den freilaufenden Rindern die große Zahl wilder Hunde und Ziegen, die auch von den Abfällen leben, die neben Müll am Wegesrand liegen, auch in der Städten. Besonders für Indien gilt, dass die Religion der Schlüssel zum Verständnis des Landes ist. 80 % der Bevölkerung sind Hindus, 12 % Muslime, 2,5 % Christen. Etwa 1 % der Inder sind Anhänger des Sikhismus, 0,8 % Buddhisten. Der Glaube durchdringt auch heute fast alle Bereich des Lebens in Indien. Der Hinduismus ist für Europäer kaum verständlich, kennt der Glauben weder einen Propheten, eine Organisation, noch allgemeinverbindliche Dogmen oder eine heilige Schrift. Dafür existieren verschiedene Lehrbücher und Götter. Vielmehr handelt es sich um ein komplexes System philosophischer, religiöser und sozialer Normen, welches sich im Laufe von Jahrtausenden herausgebildet hat. Ein erster Kerngedanke des Hinduismus ist der Glaube an einen ewigen Schöpfergeist oder eine Weltseele (Brahman), aus der alles Leben hervorgeht. Ein zweiter Kern ist die Reinkarnation, d. h. die Wiedergeburt der unsterblichen Seele in einem neuen Körper. Bei einer negativen Bilanz am Ende eines Lebens erfolgt die Bestrafung mit einer niedrigen Wiedergeburt im nächsten Leben. Dieses Vergeltungsprinzip, das Karma, bildet die Erklärung für das Kastenwesen, welches für Indien typisch ist. Entsprechend seiner Verdienste bzw. Verfehlungen im vorherigen Leben erfolgt die Zuweisung eines festen Platzes im sozialen Ranking. Entsprechend dieser Vergeltungskausalität des Kama, nachdem jeder durch seine Taten in einem vergangenen Leben für sein Schicksal selbst verantwortlich ist, gehört die klaglose Akzeptanz dessen zu einem der Grundmerkmale hinduistischen Glaubensverständnisses. Für Touristen in den ländlichen Gebieten ist zu beachten, dass in Indien durchaus die in Europa längst bekämpften Seuchen wie Tollwut, Encephalitis oder Typhus vorkommen. Zudem bleibt ein regional unterschiedlich leichtes bis hohes Risiko, sich mit Malaria zu infizieren. Gerade Tierbisse sollten unbedingt vermieden werden. Über die aktuellen Impfempfehlungen informiert in Abhängig von Reiseziel und -ort das Institut für Tropenmedizin.

Mit der Flower-Power-Bewegung der Sechzigerjahre pilgerten viele Musiker der westlichen Welt, wie z. B. die Beatles und Rolling Stones, nach Indien. In den von einer Sinnkrise gekennzeichnete Westen floss eine Welle von neuen alten indischen Riten von Räucherstäbchen, indischen Klängen bis zu Meditationskursen. Die große inspirative Kraft dieses Landes mit seinen Lebensformen und Religionen zieht auch heute wieder Tausende Menschen auf den Subkontinent und führt zu einem neuerdings wieder anwachsenden boomenden Tourismus.

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