Personalmanagement 09.03.2023
Zahnbekenntnisse: Aus linker Hand wird Assistenz
In Krisen offenbaren sich nicht nur ungeahnte Kräfte, auch Richtungen des Lebens werden infrage gestellt – dabei führen Krisen entweder zu einem Bruch mit dem Bisherigen oder bestätigen in besonderer Weise den zuvor eingeschlagenen Weg. Bei Dr. Andreas Huth traf Letzteres zu: Nach einem schweren Unfall, bei dem seine linke Hand komplett zerstört wurde, entschied sich der Zahnarzt, seinen Beruf als Berufung (fast) wie bisher weiter auszuüben. Nach mehreren Operationen stand Dr. Huth wieder im Behandlungszimmer. Mit welchen Veränderungen der Leipziger Zahnarzt lernen musste, umzugehen, und was ihn die Herausforderungen hat bewältigen lassen, offenbart Dr. Huth in unseren Zahnbekenntnissen.
Herausforderung
Als ich am Sonntag, dem 28. August 2022, um 12 Uhr mittags einen Radladerunfall in Peterwitz bei Wiedemar hatte, lagen schon mehrere Jahre Selbstständigkeit in einer Leipziger Praxisgemeinschaft hinter mir. Ich hatte für die zweite Jahreshälfte noch viel vor, wollte neue Investitionen tätigen – dann aber stand die Zeit still und die Selbstverständlichkeit, mit der ich meinen Beruf bis dato ausgeübt hatte, war vorbei. Meine linke Hand war komplett zertrümmert; ich hatte Glück, dass ich noch am Unfalltag durch einen Handchirurgen im Klinikum St. Georg Leipzig erstmals versorgt werden konnte. Weitere Operationen folgten. Unmittelbar nach meinem Unfall rief ich meinen Dentalberater an und sagte alle Vorhaben ab. Ich bezweifelte kurzzeitig, meinen Beruf weiter ausüben zu können. Dann überdachte ich mein Leben und wurde konkret, überlegte, was ich trotz meines Handikaps tun konnte, ahnte, dass einiges nicht mehr und vieles noch möglich war, und entschloss mich, weiterzumachen. Wieder rief ich meinen Dentalberater an und zog meine Absage zurück. Nach zwei Klinikaufenthalten stand ich dann nur zwei Monate später wieder am Behandlungsstuhl – die Zeit seit August schien mir endlos, ich wollte wieder tätig sein und mit meinem Team Patienten versorgen.
Lösung
Die größte Einschränkung infolge meines Unfalls war der Verlust meines selbstständigen Arbeitens. Ich kann nichts mehr alleine machen. Das war gerade zu Beginn, nach meiner Rückkehr in die Praxis, kein leichter Lern- und Umdenkprozess. Ich bin durchweg auf meine Zahnärztliche Assistenz angewiesen, wobei sie die Aufgaben übernimmt, die zuvor meiner linken Hand oblagen. Das bedarf einer sehr engen, eingespielten und vertrauensvollen Zusammenarbeit. Schon bei einem reinen Kontrolltermin, bei dem der Patient zwar seinen Mund aufmacht, seine Wange aber die Zähne bedeckt, brauche ich die Assistenz, um mir Sicht zu verschaffen. Ich kann keine einfache Betäubung oder Leitungsanästhesie vornehmen; manches Mal kann ich auf „altes“ Wissen und Erfahrungswerte zurückgreifen, aber letztlich brauche ich die Mitarbeit anderer. Die Digitalisierung von Prozessen kommt mir in meiner neuen Situation sehr gelegen, beim Thema Zahnersatz arbeite ich mit CEREC viel digital und habe dadurch einen größeren Handlungsspielraum. Nur klassische Abdrücke sind für mich alleine nicht mehr machbar, ebenso wie Zähne ziehen. Am Ende aber geht es sowieso nicht darum, meinem Ego zu beweisen, was ich noch kann, sondern abzuschätzen, welche Versorgungen sich ganz im Sinne der Patienten durchführen lassen. Nur dieser Maßstab zählt.
Lernkurve
Ich bin dem Leben und meinem Beruf zugewandt. Es hätte ja alles viel schlimmer kommen können, daran gemessen, war der Verlust meiner linken Hand noch das kleinere Übel. Wenn es meine Beine, meinen Rücken oder meinen Kopf oder auch meine rechte Hand betroffen hätte, stände ich heute sehr wahrscheinlich nicht mehr in der Praxis. Ich hatte Glück im Unglück. Ich hätte meinen Beruf an den Nagel hängen und mich auf meine Berufsunfähigkeit zurückziehen können, aber ich habe durch meinen Unfall gelernt, was mir das Zahnarztsein bedeutet – es bereitet mir große Freude, Patienten zu helfen, es ist meine Berufung. Nach meinem Unfall habe ich zwei Patienten gezielt in die Praxis bestellt, um ihnen zu sagen, dass ihre Dankbarkeit für meine Arbeit einer der Gründe war, warum ich weitermache. Überhaupt ist die Tatsache, dass Patienten auf meine neue linke Hand erfrischend gleichgültig reagieren, sie zum Teil gar nicht bemerken, ein überraschender Effekt. Es zeigt, dass wenn Patienten einer Situation vertrauen, ihre Wahrnehmung sich auf das Gewohnte fokussiert.
Die Behandlung meiner Hand ist noch ein langer Weg, weitere Operationen werden folgen, Ergo- und Physiotherapien gehören zu meinem Alltag, aber ich bin geduldig und blicke zuversichtlich und proaktiv nach vorne – zum Beispiel möchte ich mir vom Sanitätshaus einen Handschuh mit Spiegel und Raspatorium anfertigen lassen, der mir etwas Selbstständigkeit zurückgibt.
Dr. Andreas Huth wird im Behandlungsalltag durch seine versierte Stuhlassistenz Sophia B. tatkräftig unterstützt. Wie sie die Umstellung ihrer neuen Arbeitssituation erlebte, schildert die ZFA hier. Was hat sich für Sie durch die Folgen des Unfalls von Dr. Huth verändert? Eine Umstellung war hauptsächlich innerhalb der ersten zwei Monate während seines Krankenhausaufenthaltes nötig. Da die angestellte Zahnärztin fast den gesamten Patientenstamm übernahm, war es an uns als Assistenten, täglich eine möglichst gute Taktung der Termine unter Nutzung aller vorhandenen Ressourcen auszuarbeiten. Seit Dr. Huth wieder selbst behandelt, übernehmen wir verschiedene Handgriffe und Aufgaben für ihn: wir helfen beim Handschuh an- und ausziehen, verschaffen ihm durch Abhalten Sicht, fixieren Schienen und Prothesen beim Einschleifen, trennen CEREC-Kronen vom Schleifblock, sind die zweite Hand bei der Zahnseidenutzung, übernehmen Nadelhalter und fixieren Nähte zum Auftrennen. Es sind also viel mehr Kleinigkeiten als große Behandlungsschritte, die wir unterstützen. Meist merkt man erst dann, wo man gebraucht wird, wenn es so weit ist. Wie würden Sie Ihre neue Zusammenarbeit mit Dr. Huth beschreiben? Da wir zuvor bereits ein gut eingespieltes Team waren, konnten wir gut auf den neuen Behandlungsalltag eingehen. Anfangs stieg der Kommunikationslevel während der Behandlung deutlich an, da wir uns erstmal „finden“ und Situationen austesten mussten: Was kann Dr. Huth selbst problemlos, an welcher Stelle springen wir ein. Er arbeitet gern sehr selbstständig und probiert immer wieder aus, was er alleine bewältigen kann. Daher ist unsere Zusammenarbeit ein fließender Prozess. |
Dieser Beitrag ist in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.