Praxismanagement 05.10.2022

Teil 3: Schutzkonzepte in Praxen für Kinder und Jugendliche



Teil 3: Schutzkonzepte in Praxen für Kinder und Jugendliche

Foto: Dragana Gordic – stock.adobe.com

Teil 3: Vorbereitung und Sensibilisierung der Mitarbeiter zum Thema

Mit einer QM-Richtlinienerweiterung im Dezember 2020 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) soll das Ziel verfolgt werden, Missbrauch und Gewalt insbesondere gegenüber Kindern und Jugendlichen oder hilfsbedürftigen Personen in medizinischen Einrichtungen vorzubeugen, zu erkennen, adäquat darauf zu reagieren und zu verhindern. In dieser Fachartikelserie wollen wir die wichtigen Hintergründe für das zahnärztliche Gesundheitswesen zum Thema Gewalt und Missbrauch aufzeigen und Möglichkeiten der Entwicklung eines einfachen Schutzkonzeptes klären.

Nachdem wir uns im ersten Teil mit der grundsätzlichen Frage beschäftigt haben, ob Sie bei Bekanntwerden eines Missbrauchsopfers in Ihrer Praxis Hilfe anbieten wollen und wie Sie in den Räumlichkeiten der Praxis ein optisches Zeichen setzen können, damit Opfer erkennen können, dass Sie und Ihr Praxisteam hilfsbereit sind, geht es in diesem Teil um die Vorbereitung der Praxismitarbeiter und ihre Sensibilisierung für einen möglichen Fall. Hierzu möchten wir Ihnen einige Unterlagen vorstellen, die in einem internen Schutzkonzept eingebunden werden sollten. Hierzu gehören ein praxisintern abgestimmter Verhaltenskodex und eine Selbstverpflichtung zur Prävention sexualisierter Gewalt. Damit das Vermittelte beim Praxisteam nicht in Vergessenheit gerät, sind Belehrungsunterlagen sinnvoll. Diese Belehrungen sollten jährlich im Zuge der sonstigen notwendigen Themen durchgeführt werden. In diesem Artikel geht es um Beispiele, die Ihnen eine bessere Vorstellung zu den einzelnen Anforderungen geben sollen. Wenn Sie in Ihrer Praxis ein Schutzkonzept entwickeln möchten, können Ihnen die Informationen bei der Entwicklung helfen.

Verhaltenskodex

Die schriftliche Festlegung für den Schutz von Kindern und gefährdete Personen, die Gewalt und Missbrauch ausgeliefert sind, sollte in einem einfachen Leitbild bzw. Verhaltenskodex, in dem die geforderten oder vereinbarten Mitarbeiterverhaltensweisen formuliert, verankert werden.

Dabei sollte betont werden, dass es um den Schutz aller Mädchen und Jungen und vulnerable Patienten geht, unabhängig von sozialer oder kultureller Herkunft oder Behinderung.

Auszüge aus einem möglichen Verhaltenskodex für die Mitarbeiter:

  1. Wir sind respektvoll und höflich zu unseren Patienten wie zu unseren Kollegen und sind uns dabei unserer Verantwortung füreinander bewusst.
  2. Wir wahren eine professionelle körperliche und emotionale Distanz zwischen Patienten. Das gilt auch für den Umgang zwischen den Teammitgliedern unserer Zahnarztpraxis.
  3. Wir erklären unseren Patienten im Vorfeld, was an oder mit Ihnen gemacht wird.
  4. Wir achten das Schamgefühl unserer Patienten, auch dann, wenn sie nicht selbst darauf achten.
  5. Wir tolerieren kein grenzverletzendes oder übergriffiges Fehlverhalten von Mitarbeitern, stattdessen thematisieren wir es, spätestens bei Wiederholungen melden wir es.
  6. Wir gehen achtsam und verantwortungsbewusst mit Nähe und Distanz um. Individuelle Grenzen von anderen respektieren wir.
  7. Wir sind sensibel gegenüber sexistischem, diskriminierendem und gewalttätigem verbalen und nonverbalen Verhalten. Wir versuchen alles Mögliche zu tun, um dieses Verhalten zu unterbinden.
  8. Wenn wir Verletzungen gegen unseren Verhaltenskodex bemerken, beziehen wir aktiv und professionell Position dagegen.

Selbstverpflichtung zur Prävention sexualisierter Gewalt

Jeder Mitarbeiter in einem Praxisteam übernimmt Verantwortung für die ihm anvertrauten Patienten. In einer Selbstverpflichtung erklären die Mitarbeiter, Kinder, Jugendliche und vulnerable Patienten vor sexualisierten Übergriffen, sexualisierter Atmosphäre und geschlechtsspezifischer Diskriminierung zu schützen.

Alle Bestandsmitarbeiter einer Praxis sollten die Selbstverpflichtung zur Prävention sexualisierter Gewalt nach Verabschiedung im internen Schutzkonzept unterzeichnen. Neue Mitarbeiter der Praxis unterschreiben die Selbstverpflichtung zur Prävention sexualisierter Gewalt im Zuge der Einstellungsprozedur.

Auszüge aus einer möglichen Selbstverpflichtung

Für die uns anvertrauten Kinder, Jugendlichen und vulnerablen Patienten tragen wir eine Mitverantwortung und wollen sie vor sexualisierten Übergriffen, sexualisierter Atmosphäre und geschlechtsspezifischer Diskriminierung schützen. Daher verpflichte ich mich, folgenden Verhaltenskodex einzuhalten:

  1. Ich werde alles tun, um die mir anvertrauten Kinder, Jugendlichen und vulnerablen Patienten vor körperlichem und seelischem Schaden, vor Missbrauch und Gewalt zu schützen.
  2. Ich gehe achtsam und verantwortungsbewusst mit Nähe und Distanz um. Individuelle Grenzen von anderen respektiere ich. Dies bezieht sich insbesondere auf die Intimsphäre und der Scham der Kinder, Jugendlichen und vulnerablen Patienten.
  3. Ich bin sensibel gegenüber sexistischem, diskriminierendem und gewalttätigem verbalen und nonverbalen Verhalten. Ich versuche alles mir Mögliche zu tun, um dieses Verhalten zu unterbinden.
  4. Ich achte die Persönlichkeit und Würde von Kindern, Jugendlichen und vulnerablen Patienten.
  5. Ich bin mir meiner Vorbildfunktion gegenüber den mir anvertrauten Kindern, Jugendlichen und vulnerablen Patienten bewusst. Mein Handeln ist nachvollziehbar und ehrlich. Ich nutze keine Abhängigkeiten aus und bin mir bewusst, dass jede sexuelle Handlung mit Schutzbefohlenen disziplinarische und gegebenenfalls strafrechtliche Folgen hat.
  6. Ich bemühe mich, jede Form persönlicher Grenzverletzungen auch bei anderen bewusst wahrzunehmen und spreche diese Situation offen an.

Die Regeln unseres Verhaltenskodex gelten auch zwischen den Kollegen und Vorgesetzten.

Bei Unterstützungsbedarf oder im Konfliktfall wende ich mich an unsere Praxisleitung. Der Schutz der Kinder, Jugendlichen und vulnerablen Patienten steht dabei an erster Stelle. Ich erkläre hiermit, dass ich nicht wegen einer Straftat im Zusammenhang mit sexualisierter Gewalt rechtskräftig verurteilt bin und insoweit auch keine Ermittlungsverfahren gegen mich eingeleitet worden sind. Weiter verpflichte ich mich, die Praxisleitung sofort zu informieren, wenn ein Verfahren diesbezüglich gegen mich eröffnet werden soll.

Eine, wie oben dargestellte Selbstverpflichtung, ist für größere Institutionen wie z. B. ein Krankenhaus verpflichtend.

Prävention "Missbrauch und Gewalt"

Belehrung

Damit das Praxisteam kontinuierlich zu diesem immer wichtiger werdenden Thema sensibilisiert werden kann, können jährliche Belehrungen ein gutes Instrument innerhalb des Schutzkonzeptes sein. In den internen schriftlich festgelegten Unterlagen sollten alle wichtigen Aspekte vereint werden, um eine fundierte Wissensvertiefung sicherzustellen. Dabei sollte neben allgemeinem Wissen über sexuellen Missbrauch auch Kenntnisse über Tätercharakteristika sowie Strategien und Beispiele für eine professionelle Nähe-Distanz-Regulation vertieft werden.

Die Belehrung wird durch den im QM-System festgelegten kontinuierlichen Verbesserungsprozess um neue Erkenntnisse erweitert. Sie muss nicht grundsätzlich von der Praxisleitung durchgeführt werden. Diese kann hier auch einen Mitarbeiter aus dem Team um die Umsetzung dieser wichtigen Aufgabe bitten.

Nachweis zur Belehrung

In einem separaten Nachweis unterzeichnen die Mitarbeiter, unter Nennung der Eckdaten zur Belehrung wie Datum und Uhrzeit, die Wissensvermittlung. Der Nachweis dient gegenüber Dritten zu belegen, dass die Belehrung ordnungsgemäß durchgeführt und von allen Mitarbeitern und der Praxisleitung unterzeichnet wurde.

Der Nachweis einer Belehrung kann die nachfolgenden Unterpunkte behandeln:

  • Grunddaten der Belehrung mit allen Eckpunkten über Datum, Uhrzeit der Belehrung, Ablageort und Aufbewahrungszeit sowie Wiederholungszyklen
  • Einzelne Unterthemen der Belehrung
  • Hilfsmittel der Belehrung wie Handbücher, Präventionsunterlagen der örtlichen Hilfsgruppen sowie alle Unterlagen, die im Schutzkonzept vereint sind
  • Unterschriften der Belehrten mit Datumsangabe

Mögliche Inhalte einer Belehrung

Missbrauch kann überall stattfinden

Sexuelle Gewalt ist bedauerlicherweise gesellschaftliche Realität geworden. Wie sich jeder von uns vorstellen kann, ist für Kinder und Jugendliche sexueller Missbrauch eine schwerwiegende und oftmals auch traumatisierende Erfahrung. Sie kann das Aufwachsen erheblich belasten und sich ein ganzes Leben lang auswirken. Als Zahnärzte und Mitarbeiter können wir unter Umständen eine Schlüsselposition einnehmen, die in besonderer Weise dazu beitragen kann, Mädchen und Jungen vor Missbrauch zu bewahren. Zudem sind wir im Ernstfall eine wichtige Vertrauensperson für die Opfer.

Wir müssen auch wissen, das Missbrauch nicht an einen Ort gebunden ist: In der Familie, im sozialen Umfeld, in Kitas, Schulen, Vereinen – überall, wo unserer kleinen Patienten sind, selbst in ärztlichen oder psychotherapeutischen Praxen, können sie sexualisierter Gewalt ausgesetzt sein. Missbrauch kann vor allem dort stattfinden, wo es kein ausreichendes Bewusstsein für diese Gefahr gibt, wo weggeschaut und geschwiegen wird.1

Missbrauch darf keinen Raum erhalten

Der Schutz vor sexueller Gewalt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie geht uns alle an und wir können einen Beitrag dazu leisten. Mit einem Schutzkonzept machen wir unsere Praxis zu einem geschützten Ort. Wir wollen damit deutlich aufzeigen, dass in der Zahnarztpraxis kein Raum für Missbrauch ist, und Eltern, die sich Sorgen um ihr Kind machen, genauso wie betroffenen Kindern und Jugendlichen damit signalisieren, dass sie in der Praxis Hilfe und ein vertrauensvolles und kompetentes Gegenüber finden. Wir wollen mithelfen und ein deutliches Zeichen gegen sexuelle Gewalt setzen.

Was können wir tun?

Guter Wille allein reicht nicht aus, um Missbrauch zu verhindern und betroffenen Kindern und Jugendlichen zu helfen. Täter und Täterinnen gehen zumeist sehr überlegt und planvoll vor. Das eigene Schutzkonzept kann diesen Plan durchkreuzen. Es unterstützt die Praxisleitung und das Team darin:

  • Unseren Patientinnen und Patienten zu signalisieren, dass unserem Team das Thema nicht fremd ist und wir bereit sind, zu helfen.
  • Wir wollen vertrauensvoller Ansprechpartner für Kinder, Jugendliche und Angehörige, die mit sexueller Gewalt konfrontiert sind, sein.
  • Wir wollen kompetent handeln und weiterhelfen, wenn uns eine Missbrauchssituation oder der Verdacht darauf bekannt wird.
  • Wir wollen wirksame Präventionsmaßnahmen entwickeln und anwenden, damit es in unserer Praxis nicht zu grenzverletzendem Verhalten kommt.

Welche Bedenken kann es geben?

Vielleicht denken Sie: „Sexueller Missbrauch ist oft schwer zu diagnostizieren. Man darf die Verantwortung der Mediziner nicht überbewerten.“

Nein, aber wir wollen Sie darin bestärken, alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Sie helfen bereits mit, Missbrauch zu verhindern, wenn Sie Patientinnen und Patienten, die selbst betroffen sind oder sich um ihre Kinder Sorgen machen, an eine geeignete Fachberatungsstelle vermitteln.

„Ich will mein Team nicht unter Generalverdacht stellen.“

Zu Recht. Die allermeisten Menschen lehnen sexuelle Gewalt scharf ab. Trotzdem gibt es, wie überall auch, in den Heilberufen Täter und Täterinnen. Mit einem Schutzkonzept, das vom ganzen Team getragen wird, geben Sie Ihren Beschäftigten die Möglichkeit, gegen sexuellen Missbrauch aktiv zu werden und entschieden Haltung zu zeigen.

„Ich bin Mediziner und kein Sozialarbeiter.“

Richtig, Sie sollen nicht die Kompetenz der Fachberatungsstellen ersetzen. Es genügt, Ihren Patientinnen und Patienten zu signalisieren, dass Sie und Ihr Team für die Problematik sensibilisiert und jederzeit ansprechbar sind. Manchmal reicht es beispielsweise, Flyer von regionalen Beratungsstellen oder der Kampagne „Kein Raum für Missbrauch“ im Wartezimmer auszulegen, um möglichen Betroffenen nonverbal zu signalisieren, dass Sie ein offenes Ohr für diese Thematik haben.Des Weiteren können die nachfolgenden Aspekte Inhalt einer Belehrung werden:

  • Wichtige Kontaktadressen
  • Was ist körperliche Gewalt?
  • Was bedeutet seelische Gewalt?
  • Was bedeutet Vernachlässigung?
  • Was bedeutet sexuelle Gewalt?
  • Was bedeutet Cybermobbing?

Unser Tipp

Diese Fachartikelserie umfasst insgesamt vier Teile. Im letzten Teil unserer Serie, der im Endodontie Journal 4/2022 erscheint, werden wir uns um den Ernstfall kümmern. Was ist zu tun, wenn wir einen missbrauchten Patienten in unserer Praxis erkennen? Wie gehen wir vor und was ist zu beachten? Interessierte Praxen können weitere Informationen über ein Schutzkonzept für das zahnärztliche Gesundheitswesen beim Autor erhalten.

1 „Gewalt gegen Kinder“ Landesärztekammer Baden-Württemberg, Juli 2013

Dieser Beitrag ist im Endodontie Journal erschienen.

 

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