Praxismanagement 01.08.2023

Teil 4: Schutzkonzepte in Praxen für Kinder und Jugendliche



Teil 4: Schutzkonzepte in Praxen für Kinder und Jugendliche

Foto: Yakobchuk Olena – stock.adobe.com

Vorbereitung des Praxisteams auf den Tag, an dem der Missbrauch bei einem Patienten erkannt wird

Mit einer QM-Richtlinienerweiterung im Dezember 2020 durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) soll das Ziel verfolgt werden, Missbrauch und Gewalt insbesondere gegenüber Kindern und Jugendlichen oder hilfsbedürftigen Personen in medizinischen Einrichtungen vorzubeugen, zu erkennen, adäquat darauf zu reagieren und zu verhindern. In dieser Artikelserie wollen wir die wichtigen Hintergründe für das zahnärztliche Gesundheitswesen zum Thema Gewalt und Missbrauch aufzeigen und Möglichkeiten der Entwicklung eines einfachen Schutzkonzeptes klären.

In den ersten drei Teilen dieser Artikelserie wurde das grundsätzliche Vorgehen in einer Zahnarztpraxis zum Missbrauch und Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen, das Setzen eines Zeichens in den Praxisräumen, um Missbrauchsopfern zu zeigen, dass Hilfe angeboten wird, und das Sensibilisieren der Mitarbeiter der Praxis zum Thema gesprochen.

In diesem Beitrag geht es um die Vorbereitung der Praxisleitung und der Mitarbeiter auf einen realen Fall. Was ist zu tun, wenn vermutet wird, dass ein Patient in Behandlung misshandelt oder missbraucht wird? Eine grundsätzliche Entscheidung wird hier zwischen Kindern und Jugendlichen gegenüber erwachsenen Patienten gemacht.  

Haben wir die Vermutung, dass einer unserer erwachsenen Patienten missbraucht und misshandelt wird und dieser unsere Hilfe ablehnt, so sind uns hier die Hände gebunden. Ohne die Einwilligung in unsere Hilfsbereitschaft können wir keine weiteren Aktionen unternehmen, um zu helfen. Ohne die Zustimmung dürfen wir nicht von unserer gesetzlichen Schweigepflicht abweichen. 

Wichtiger Hinweis: Die nachfolgenden Anmerkungen wenden sich an Zahnärzte, die „in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit“ oder „als Zahnärzte im Rahmen eines bestehenden Arzt-Patienten-Verhältnisses“ behandeln oder behandelt haben. Angesprochen ist auch der Zahnarzt, der, wie etwa Sachverständige im Auftrag Dritter (z.B. eines Gerichts) oder im Rahmen eines Notfalls, tätig geworden ist. Nicht erfasst sind damit Vorgänge, z.B. von Gewalt gegen Kinder oder Jugendliche, die wir, wie jeder andere auch – etwa als Nachbar – wahrnehmen. In diesen nicht eine ärztliche Tätigkeit betreffenden Fällen dürfen wir das Jugendamt, das Familiengericht, die Polizei oder die Staatsanwaltschaft informieren bzw. hinzuziehen.

Handlungsempfehlung bei dringendem Verdacht von Kindesmisshandlung

Nicht in Aktionismus verfallen

Das Wohlergehen des Kindes ist stets zu berücksichtigen. Daher sollte die Problematik zunächst mit den Sorgeberechtigten und, wenn das Alter es zulässt, mit dem Minderjährigen erörtert werden. Besteht die konkrete Gefahr einer fortdauernden Beeinträchtigung des Kindeswohls, dürfen Sie unter Beachtung einiger Randbedingungen das Jugendamt direkt konsultieren bzw. informieren.

Eigene Bewertung und Einstellung klären

Man sollte in einem Fall der Entdeckung von Kindesmisshandlung oder sexuellem Missbrauch dem Kind gegenüber unbefangen bleiben. Dadurch soll dem Kind ein Gefühl der Sicherheit geben werden. Auch das Verhalten gegenüber den Sorgeberechtigten soll freundlich bleiben. Vorwürfe, Vermutungen und Vorurteile gegenüber Erziehungsberechtigten oder ein Dramatisieren des Falls helfen nicht weiter.

Eigene Möglichkeiten und Grenzen kennen

Wenn in einer Familie Gewalt ausgeübt wurde, werden auch an die Ärzte- und Zahnärzteschaft insbesondere dann, wenn von ihr das Problem direkt angesprochen wurde, hohe Erwartungen gerichtet. Eine Bitte um Hilfe kann sowohl vom Kind als auch von der begleitenden Person ausgehen. Hier müssen die eigenen Möglichkeiten und Grenzen genau abgewogen werden. Das Vertrauen, das entgegengebracht wird, darf nicht durch Versprechen, die später nicht eingehalten werden können, zerstört werden.

Was sollte bei „Gewalt gegen Kinder“ und „Kindeswohlgefährdung“ beachtet werden?

  • Zahnmedizinische Versorgung des minderjährigen Patienten sicherstellen
  • Sorgfältige Diagnose beim Verdacht der physischen und/oder psychischen Gewaltanwendung erstellen
  • Prüfen, ob nach dem „Transparenzgebot“ der Verdacht der Gefährdung des Kindeswohls mit den Beteiligten besprochen werden kann, sofern nicht das Wohl des Kindes dadurch gefährdet wird
  • Bei Weigerung der Annahme von Hilfe durch den Zahnarzt oder das Jugendamt, Prüfung der „zwei Stufen“ nach § 4 KKG vornehmen

 Rechtlichen Rahmenbedingungen bei Kinder und Jugendliche

Die nachfolgenden Hinweise geben Aufschluss darüber, was anlässlich von „Missbrauch und Gewalt gegen Kinder und Jugendliche“ (rechtlich) zu beachten ist. Erhebliche Schwierigkeiten bereitet in diesem Zusammenhang die Entscheidung der Zahnärzteschaft, wann Informationen entgegen unserer ärztlichen Schweigepflicht an wen weitergegeben werden dürfen.

Grundsätzliches zur Schweigepflicht

Aus den unterschiedlichen Berufsordnungen der einzelnen Bundesländer ist bekannt, dass behandelnde Zahnärzte über das, was ihnen in der Eigenschaft als Behandler anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod der Patienten hinaus – zu schweigen haben.

Das Zahnarzt-Patienten-Verhältnis

Werden in einer Zahnarztpraxis minderjährige Patienten behandelt, kommt in der Regel ein sog. Behandlungsvertrag zwischen der Praxis und dem oder den Sorgeberechtigten des Minderjährigen zustande. Dieser wird zugunsten des minderjährigen Kindes geschlossen.

Zu beachten ist demzufolge, dass neben den vertraglichen Beziehungen zwischen der Praxis und dem oder den Sorgeberechtigten im Rahmen des Behandlungsvertrages dem minderjährigen Patienten auch höchst persönliche Rechte (z.B. ein Recht auf Information oder Vetorecht bei schweren medizinischen Eingriffen, Recht auf ärztliche Schweigepflicht) zustehen können.

Die Rechtspflichten der Zahnärzte

Gemäß allgemeiner zahnärztlicher Berufsordnungen dienen Zahnärzte der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung. Für sie besteht vorrangig als eine sog. „Hauptleistungspflicht“ die Heilbehandlung des Patienten. Im Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses gehört die ärztliche Schweigepflicht zu den essenziellen Berufspflichten eines Arztes bzw. Zahnarztes. Die Verschwiegenheitspflicht dient (schon ab Anbahnung des Arzt-Patienten-Verhältnisses) dem Schutz der Geheimnissphäre des einzelnen, aber auch dem Interesse der Allgemeinheit, damit das Vertrauen zwischen Arzt und Patient nicht beeinträchtigt wird. Die ärztliche Schweigepflicht bezieht sich nicht nur auf die mitbeteiligten Eltern, sondern gleichermaßen auch auf den minderjährigen Patienten. Die Nichtbeachtung der ärztlichen Schweigepflicht kann Schadensersatzansprüche (§ 823 BGB), aber auch die strafrechtliche Verfolgung gemäß § 203 StGB („Verletzung von Privatgeheimnissen“) sowie berufsrechtliche Maßnahmen nach sich ziehen

Keine Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht

Die Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht als solche ist bisher im Einzelnen insbesondere z.B. durch ein Bundesgesetz und im Vertragsrecht gesetzlich nicht geregelt. Auch das Patientenrechtegesetz regelt insoweit nichts.

Eingeschränkte Weitergeltung landesrechtlicher Regelungen zum Kinderschutz

Bisherige bundeseinheitliche Regelungen werden, soweit Personen, „die der Schweige- oder Geheimhaltungspflicht gemäß § 203 StGB unterliegen“, berechtigt oder gar verpflichtet waren, eine Kindeswohlgefährdung dem Jugendamt mitzuteilen, durch das KKG (Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz) ersetzt.

Allgemein anerkannte Regeln zur Befreiung von der ärztlichen Schweigepflicht

Trotz der vielen unterschiedlichen Regelungen gibt es zahlreiche Erlaubnistatbestände, die Zahnärzte in die Lage versetzen, die „ärztliche Schweigepflicht“ zu brechen. Wir sind von der ärztlichen Schweigepflicht befreit, sofern wir nicht „unbefugt“ (§ 203 StGB) handeln.

Dies ist der Fall, wenn der behandelnde Patient uns ausdrücklich oder stillschweigend von der Schweigepflicht entbindet.

Bei der „Einwilligung“ zur Offenbarung des „ärztlichen Geheimnisses“ ist in den Fällen, in denen minderjährigen Patienten behandelt werden, wichtig zu beachten, dass sowohl die Einwilligung der Eltern oder der Sorgeberechtigten, aber auch die Einwilligung des minderjährigen Patienten vorliegen muss, sofern „dieser ein solches Maß an Verstandesreife erreicht hat, dass er die Tragweite seiner Entscheidung zu übersehen vermag“ (BGB §§ 1626). Allgemein wird angenommen, dass jedenfalls ab Vollendung des 15. Lebensjahres minderjährige Patienten über diese Verstandesreife verfügen. Bei Patienten unter 14 Jahren ist eine Einwilligung nicht erforderlich.

Rechtfertigender Notstand gemäß § 34 StGB

Als Grundregel gilt, dass die Offenbarung eines ärztlichen Geheimnisses ohne Einwilligung zum Schutz eines höherrangigen Rechtsguts – dazu zählt das Leben oder die körperliche Integrität eines anderen Menschen – zulässig und damit gerechtfertigt ist. Dies gilt jedoch nur, soweit die Offenbarung des Geheimnisses ein angemessenes Mittel ist, eine unmittelbar bevorstehende Gefahr abzuwenden. Einschlägige Beispiele hierzu sind: Ein Kinderarzt stößt bei der Behandlung auf eindeutige, auf Kindesmissbrauch oder Kindesmisshandlung hinweisende Indizien, wobei er von akuter Wiederholungsgefahr ausgehen muss (im Einzelnen nachfolgend § 4 KKG).

Das Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG)

Oberstes Ziel gemäß § 1 Abs. 1 KKG „Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG)“ ist, dass Wohl von Kindern und Jugendlichen zu schützen und ihre körperliche, geistige und seelische Entwicklung zu fördern.

Das Gesetz schafft Rahmenbedingungen für verbindliche Netzwerkstrukturen im Kinderschutz und bezieht dabei ausdrücklich die Angehörigen der Heilberufe mit ein (§ 3 KKG). Keine gesetzliche Verpflichtung zur Information bei Kindeswohlgefährdung

Das KKG greift unter keinem Gesichtspunkt in den Zahnärztliche Behandlungsvertrag ein. Zusätzliche vertragliche Verpflichtungen zur Informationsweitergabe bei Kindeswohlgefährdung werden durch das Gesetz nicht geschaffen.

Die in § 4 KKG aufgenommene Regelung: „Beratung und Übermittlung von Informationen durch Geheimnisträger bei Kindeswohlgefährdung“ schafft für uns (nur) einen Erlaubnistatbestand für die Weitergabe personenbezogener Daten bei gewichtigen Anhaltspunkten für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen an das Jugendamt; dies kann auch gegen den Willen der Eltern bzw. sorgeberechtigten und eventuell des jugendlichen Patienten geschehen, wenn wir im Rahmen der ärztlichen Behandlung davon Kenntnis erhalten.

Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht gem. § 4 KKG im Einzelnen

Wie bereits oben zu erkennen, ist der § 4 KKG von großer Bedeutung für uns Ärzte und Zahnärzte, da das Gesetz erstmals eine bundeseinheitliche Regelung zur Beratung und Weitergabe von Informationen bei Kindeswohlgefährdung an das Jugendamt festlegt.

Der Gesetzgeber sagt dazu: Im Hinblick auf die vorrangige elterliche Erziehungsverantwortung und der elterlichen Gefahrenabwendung verpflichtet die Vorschrift kind- und jugendnah beschäftigte Berufsgeheimnisträger zur Beratung der (personensorgeberechtigten) Eltern und zur Motivation für die Inanspruchnahme geeigneter Hilfen (§ 4 Abs. 1 und 2 KKG – erste Stufe) und „bestimmt im Interesse eines aktiven Kinderschutzes auch die Voraussetzungen, unter denen die Adressaten befugt sind, Informationen an das Jugendamt weiterzugeben (§ 4 Abs. 3 KKG – zweite Stufe).

Prüfung in zwei Stufen

Das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG) regelt keine, auch keine berufsrechtliche ärztliche Pflicht, im Falle einer Kindeswohlgefährdung Informationen an das Jugendamt weiterzuleiten. Entschließen wir uns aber zum Schutze des Kindes oder Jugendlichen die unter die Schweigepflicht fallenden personenbezogenen Daten (nur) an das Jugendamt mitzuteilen, ist dies nach dem KKG grundsätzlich möglich, wenn wir in zwei Stufen wie folgt vorgehen: 

Erste Stufe

Eigenverantwortliche Gefährdungseinschätzung und Beurteilung der „gewichtigen Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder Jugendlichen“. Wir stellen uns die Fragen, ob das Gefährdungspotenzial eher hoch oder sehr hoch und der Grad der Gewissheit der Kindeswohlgefährdung eher sicher oder noch unsicher ist. Bestehen insoweit Zweifel, dürfen wir die „insoweit erfahrenen Fachkraft“ beim Jugendamt konsultieren, wobei ein Pseudonym für den Patienten zu verwenden ist. Liegt eine Kindeswohlgefährdung vor und wollen wir das Jugendamt informieren, haben wir dies mit dem Kind und dem Personensorgeberechtigten zu erörtern und (erneut) auf Hilfen (des Jugendamtes nicht notwendig) hinzuwirken. Die Erörterungspflicht entfällt jedoch, soweit wir erkennen, dass hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen infrage gestellt wird.

Zweite Stufe

Liegen nach unserer Gefährdungseinschätzung „gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen vor“ und werden Hilfen von uns nicht angenommen, dürfen wir (allein) dem Jugendamt die erforderlichen Daten mitteilen. Wir handeln in diesem Fall nicht arztwidrig und machen uns dadurch insbesondere nicht strafbar. Alle Schritte müssen intern sorgfältig dokumentiert werden. Erst nach „Durchlaufen der beiden Stufen“ sind Sie im Sinne der zivilrechtlichen und strafrechtlichen Vorschriften von der ärztlichen Schweigepflicht befreit. Sollte sich später herausstellen, dass beispielsweise das Jugendamt Sie unzureichend beraten hat, kann Ihnen dann kein Vorwurf gemacht werden, wenn Sie nach eigener Überzeugungsbildung zu dem Schluss gekommen sind, dass gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorlagen.

Unerheblich dabei ist, ob das informierte Jugendamt tatsächlich für den Minderjährigen zuständig war oder ist. Gegebenenfalls hat das Jugendamt die eigene Zuständigkeit zu prüfen. Sie sollten in jedem Falle bei einer Information des Jugendamtes die „beiden Stufen“ dokumentieren.

Was ist noch wichtig?

Gesetzlicher Anspruch auf Beratung durch das Jugendamt

Wir können im Hinblick auf die nicht immer leichte Beurteilung einer Kindeswohlgefährdung fachlichen Rat beim (für uns zuständigen) Jugendamt einholen. Wir haben gemäß § 4 Abs. 2 KKG „zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung gegenüber dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe Anspruch auf Beratung durch eine „insoweit erfahrene Fachkraft“ („ieF“). Wir sind zu diesem Zweck befugt, dieser Fachkraft die dafür erforderlichen Daten zu übermitteln. Bei dieser Beratung müssen wir lediglich die Daten „pseudonymisieren“. Das bedeutet, dass die Identifizierung der betroffenen Person wesentlich erschwert wird. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass die Namen der Beteiligten geändert, abgekürzt oder durch andere Zeichen (wie z.B. eine Patientennummer) ersetzt werden.

Im Gegensatz zur „Anonymisierung“ sind Sie im Rahmen der Beratung nicht verpflichtet, den Sachverhalt so zu ändern, dass keine Zuordnung zu dem betroffenen Patienten möglich ist. Ist aufgrund des Beratungsgespräches trotz „pseudonymisieren“ die betroffene Person erkennbar, schadet dies nicht. Die „insoweit erfahrene Fachkraft“, die selbstverständlich auch der Schweigepflicht unterliegt, ist nicht identisch mit der Fachkraft des Jugendamtes, die eventuell später nach Mitteilung durch uns die Minderjährigen gemäß § 8 a SGB VIII zu betreuen hat. Die Fachkraft ist nur beratend tätig und nicht verpflichtet, von Amts wegen einzuschreiten. Eine „Haftung“ für die Auskunft kann sie jedoch nicht übernehmen.

Information des Minderjährigen und der Eltern bzw. Sorgeberechtigten

Stellen Sie „in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit gewichtige Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls des Kindes oder des Jugendlichen fest“, sollen Sie zunächst „mit diesen die Situation erörtern und, soweit erforderlich, bei den Eltern- und Sorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfen hinwirken, soweit hierdurch der wirksame Schutz des Kindes oder des Jugendlichen nicht infrage gestellt wird (§ 4 Abs. 1 KKG)“. Selbstverständlich kann eine Erörterung auch dann stattfinden, wenn die strengen Voraussetzungen der Kindeswohlgefährdung nicht vorliegen.

Bei Bekannt werden von „gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung“ wird also an uns appelliert, nicht aus der unmittelbaren Behandlung auszusteigen, sondern die Sorge, um das Wohl des Kindes zum Anlass zu nehmen, auf die Beteiligten zuzugehen, um mit ihnen die eigenen Wahrnehmungen zur Situation des Kindes oder Jugendlichen bzw. in der Familie sowie die Einschätzungen zu einem weiteren Hilfebedarf zu „erörtern.“

Die Kindeswohlgefährdung ist stets auch ein Hinweis auf Hilfebedarf. Mit dem Gebot auf Erörterung wird auch dem zentralen Grundsatz des Schutzes der „informationellen Selbstbestimmung“ nach Art. 1 GG, „dem Transparenzgebot“, aber auch dem „rechtlichen Gehör“ Rechnung getragen. Die Beteiligten sollen wissen, was mit den anvertrauten Informationen geschieht. Ergibt sich eine Situation, in der eine Datenübermittlung gegen den Willen der Beteiligten (Kind und/ oder Eltern) angezeigt und zulässig ist, gilt der Grundsatz: „Vielleicht gegen den Willen, aber nicht ohne Wissen“.

Informationspflicht der Beteiligten vor Datenweitergabe an das Jugendamt

Zu beachten ist dabei grundsätzlich, dass vor Mitteilung der personenbezogenen Daten an das Jugendamt sowohl der Minderjährige als auch dessen Eltern bzw. Sorgeberechtigten von der Weitergabe informiert werden (Transparenzgebot). Sie sollten in diesem Fall darauf hinwirken, dass die Betroffenen in eine Weitergabe der Daten ausschließlich an das Jugendamt einwilligen. Das Gesetz erlaubt nach seinem ausdrücklichen Wortlaut auch die Information Ihrer Gefahreneinschätzung an das Kind gegen den Willen der Eltern bzw. an die Eltern gegen den Willen des Kindes.

Von dieser Pflicht zur Information der Kinder und Sorgeberechtigten darf nur abgewichen werden, wenn gewichtige Anhaltspunkte vorliegen, die einen wirksamen Schutz des Minderjährigen infrage stellen würden. Allein arbeitsökonomische Gründe oder ein zu erwartender Konflikt mit den Beteiligten entbinden Sie nicht von der Informationspflicht.

Eine Gefährdung des wirksamen Schutzes des Minderjährigen kommt vor allem bei sexuellem Missbrauch oder bei andauernder Kindesmisshandlung im Familienbereich in Betracht.

Praxistipp

Zahnarztpraxen können gerne weitere Informationen über ein Schutzkonzept für das zahnärztliche Gesundheitswesen beim Autor erhalten. Darüber hinaus kann ein schriftliches umfassendes Schutzkonzept zur Ergänzung des eigene QM-Handbuches bestellt werden.

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