Psychologie 24.01.2014
Burnout in der Zahnarztpraxis: Wege zur psychischen Gesundheit
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Im dritten Teil der Reihe „Burnout in der Zahnarztpraxis“ der langjährigen ZWP online-Expertin Lea Höfel geht es abschließend um Selbsterkenntnis und Überlegungen, einer Burnout-Entwicklung entgegenzuwirken.
Burnout an sich ist keine klassifizierte psychische Erkrankung, sondern ein Weg, der in einer psychischen Störung wie Depression oder in einer körperlichen Erkrankung wie Herzinfarkt enden kann. Der Weg dorthin ist jedoch lang und wird nicht an einem Tag bezwungen. Aus diesem Grund gibt es zahlreiche Möglichkeiten, vor dem Endstadium gekonnt mehrere Abzweigungen zu nehmen. Da es sich bei Burnout nicht um eine kurzfristige Unpässlichkeit wie ein Erkältungsvirus handelt, gibt es keine allgemeingültige Anleitung zum Glücklichsein. Eine Vielzahl von Faktoren wirkt auf den drohenden emotionalen Erschöpfungszustand ein. Lebensführung, eigene Ansprüche, Wertschätzung und eine geringe Wahrnehmung der eigenen Bedürfnisse sind vom rechten Weg abgekommen. Deshalb greifen Burnout-Therapien, die ihren Fokus lediglich auf Erholung und Abschalten legen, zu kurz. Der Ausweg aus der Burnout-Falle findet sich, sobald die Person bereit ist, sich selbst und die Lebensumstände infrage zu stellen. Sicherlich wird sich dabei viel Gutes finden lassen und die negativen Aspekte können verbessert werden.
Analyse und Übungen
Burnout-Fragebögen gibt es zahlreiche im Internet (z. B. www.palverlag.de/Burnout_test.html). Verrückt machen lassen sollte man sich von den Ergebnissen jedoch nicht, da das Empfinden für jeden individuell unterschiedlich ist. Manche finden schon bei einem geringen Risiko keinen Ausweg mehr und dann ist ein Testergebnis sicherlich auch nicht hilfreich. Andere wiederum, die schon sehr gefährdet erscheinen, kriegen die Gesundheitskurve mit ein paar gezielten Überlegungen gut hin.
Schwerpunktanalyse
Sinnvoll ist es zu Anfang, zu erkunden, auf welcher Ebene sich die emotional angeschlagene Verfassung am ehesten bemerkbar macht. Sind es eher gedankliche, körperliche oder verhaltensorientierte Belastungen und Auswirkungen, die das entspannte Leben verhindern (Kaney, 1999)? Gedanklich könnte zum Beispiel ein Gedankenkarussell negativer Überlegungen im Vordergrund stehen. Vielleicht ist es dann an der Zeit, einige Überzeugungen und Glaubenssätze zu hinterfragen (z. B. „ich muss immer alles perfekt machen“, „ich muss alles alleine organisieren“). Machen sich körperliche Beschwerden bemerkbar, wie beispielsweise Rücken- oder Kopfschmerzen, wären Überlegungen zu sportlichem Ausgleich, Entspannung und körperlicher Arbeitshaltung zu bevorzugen. Merkt der Zahnarzt jedoch am ehesten am Verhalten, dass er unfreundlich anderen gegenüber reagiert oder organisatorische Themen aufschiebt, könnten Alternativen dazu gefunden werden. Sobald die persönliche Schwachstelle gefunden ist, kann gezielt dort angesetzt werden. Unnützer Aktivismus kann damit vermieden werden.
Stärken und Anforderungen
Wie schon im ersten Artikel der Reihe angesprochen, sollte überprüft werden, ob das persönliche Stärkenprofil mit den Anforderungen am Arbeitsplatz übereinstimmt (siehe Abbildung, nach Fritsch/Lang, 2012). Verlangt der Arbeitsplatz nach Stärken, die der Zahnarzt entweder nicht einsetzen möchte oder nicht hat, ist die Gefahr für eine Burnout-Erkrankung höher. Jetzt hat er natürlich immer noch die Möglichkeit, sich mit der Situation anzufreunden oder Fähigkeiten durch Weiterbildung zu erwerben. Die Möglichkeit, Aufgaben zu delegieren, sollte er dabei aber nicht außer Acht lassen.
Energieverteilung
Eine weitere greifbare Übung ist eine Überprüfung der Schwerpunkte und der Energiefokussierung im Leben. Burnout ist zwar mit dem Arbeitsplatz assoziiert, doch spielen alle anderen Lebensbereiche eine entscheidende Rolle für die psychische Gesundheit. Für die Übung braucht es nur ein paar Gläser und eine wassergefüllte Flasche. Stellen Sie sich nun vor, dass die Wassermenge die Energie darstellt, die Ihnen täglich zur Verfügung steht. Die Gläser symbolisieren die einzelnen Bereiche, die es in Ihrem Leben gibt. Familie, Freunde, Hobby, Freizeit, Sport, Arbeit, Weiterbildung und alles Weitere, was Ihnen einfällt. Verteilen Sie nun (ehrlich) die Wassermenge auf die einzelnen Bereiche und visualisieren sie so, wie Sie tagtäglich Ihre Energie verwenden. Häufig kommt zum Vorschein, dass im Arbeitsbereich oder für den geduldigen Umgang mit Patienten ein großer Teil des Wassers verwendet wird und dann in den übrigen Bereichen wenig bis gar nichts übrig bleibt. Und manchmal ist an dieser Stelle das Bild mehr wert als tausend Worte.
Lebender Aufgabenständer
Viele Menschen sind theoretisch wunderbar in der Lage, ihre Aufgaben zu benennen und bereitwillig zu planen, einige Bereiche zu delegieren. Die wahre Bereitschaft dazu zeigt sich jedoch dann schon oft in einer kleinen Trockenübung. Lassen Sie sich verschiedene Gegenstände in den Arm geben, die jeweils für unterschiedliche Aufgaben stehen. Nehmen Sie so viel auf den Arm, wie es noch gerade möglich ist (obwohl es natürlich auch sehr effektiv ist, wenn nicht mehr alles gehalten werden kann). Jetzt entscheiden Sie bitte, welchen der Gegenstände – und damit welche Aufgaben – Sie abgeben werden. Es ist durchaus unterhaltsam, zu beobachten, dass von den vorhergegangenen theoretischen Ausführungen nicht mehr viel übrig bleibt. Es schmerzt manch einen quasi, wenn er sich von den Gegenständen lösen soll. Die Reihenfolge kann vollkommen unklar sein, und die Frage, wer die Aufgabe übergeben bekommt, steht unbeantwortet im Raum. Und wenn es schon nicht einfach ist, die Symbole herzugeben, wie schwer wird es dann erst bei den richtigen Aufgaben?
Selbstbeschreibung
Da Burnout zweifelsohne mit dem Beruf zusammenhängt, ist es eine weitere gute und ungewohnte Übung, sich selbst zu beschreiben, ohne die Arbeit zu erwähnen. Wie ist Ihr Charakter, worüber lachen Sie, was mögen Sie, wie sehen Sie aus? Was macht Sie einzigartig und was sind Ihre Stärken? Wofür sind Sie dankbar? Was tut Ihnen gut? Für den einen ist es vielleicht der Ferrari, für den anderen ein nettes Abendessen mit dem Partner. Was anfangs noch ungewohnt erscheint, wird zunehmend einfacher und avanciert zu einer beliebten Übung. Fangen Sie wieder an, sich selbst als Menschen wahrzunehmen, der über die Arbeit hinaus etwas wert ist. Ein netter Nebeneffekt ist der, dass meist auch Freunde und Familie wieder mehr geschätzt werden.
5–4–3–2–1
Die Wahrnehmungsfähigkeit des Moments ist bei burnoutgefährdeten Menschen meist wenig ausgeprägt. Sie sind in Gedanken in der Vergangenheit und in der Zukunft und können mit den Informationen ihrer Sinne wenig anfangen. Letztendlich sind sie wie in einem tranceähnlichen Zustand, in dem die Erschöpfung im Mittelpunkt steht. Die hier vorgestellte Technik hilft dabei, aus dieser Hypnose aufzuwachen und wieder das Hier und Jetzt wahrzunehmen und möglicherweise im nächsten Schritt zu genießen. Die Beschäftigung mit sich selbst und der unmittelbaren Umgebung ist eventuell schon seit einiger Zeit vernachlässigt worden, was nun geändert werden kann. Bei dieser Technik werden nacheinander fünf Dinge genannt, die Sie sehen. Dann fünf, die Sie hören und fünf, die Sie spüren. Dabei geht es nicht darum, zu benennen, dass vor Ihnen ein Tisch steht, da dies schon wieder eine Interpretation Ihrer Sinneseindrücke ist. Sie würden dann beispielsweise eine glatte Fläche sehen, die braun ist und aus geraden Kanten und abgerundeten Ecken besteht. Sie hören ein Rauschen (des Wassers), helle Töne in unregelmäßigen Abständen (Vogelzwitschern) und spüren eine Leichtigkeit am rechten Knie im Gegensatz zu einem Kribbeln im linken kleinen Fußzeh. Es geht nicht darum, die Dinge zu bewerten. Sie sind wie sie sind und das ist gut so. Beschreiben Sie nacheinander fünf, vier, drei, zwei, eins Beobachtungen, als würden Sie einem Alien erklären, was es zu sehen, zu hören und zu spüren gibt. Diese Achtsamkeitsübung unterstützt dabei, zur Ruhe zu kommen und mehr wahrzunehmen als das eigene Gedankenkonstrukt.
Netzwerktuning
Burnout geht häufig mit einer gefühlt geringen Wertschätzung der eigenen Arbeit und Person einher. Möglicherweise ist es deshalb an der Zeit, das eigene Netzwerk zu überprüfen und bei Bedarf zu erweitern oder auszumisten. Welche Personen gehören zu Ihrem Netzwerk? Familie, Kollegen, Hobby, Freunde und viele Bereiche mehr. Gibt es spezielle Personen, die Sie gern noch im Netzwerk hätten? Oder gibt es Eigenschaften und Fähigkeiten, die Personen haben sollten, um Ihr Netzwerk zu ergänzen? Gibt es noch Schul- oder Studienkollegen, zu denen Sie gern wieder Kontakt hätten? Haben Sie sich schon einmal auf Facebook, XING und ähnlichen virtuellen Foren umgeschaut, falls Ihnen das zusagt? Aber auch die Personen, die old-school-mäßig in Vereinen oder Vorträgen anzutreffen sind, ergänzen das persönliche Spektrum an Kontakten. Netzwerke funktionieren üblicherweise nur, wenn Austausch in beide Richtungen stattfindet. Es dreht sich also nicht nur darum, ob andere Ihnen etwas Gutes tun können, sondern auch um die Bedürfnisse der anderen. Und was hält Sie davon ab, einmal monatlich zu einer Veranstaltung zu gehen, die Sie sonst vielleicht nie besucht hätten? Erstens können Sie dort nette Leute kennenlernen und zweitens bekommen Ihre Sinne einmal etwas Neues präsentiert.
Burnout-Geheimnis
Zu guter Letzt ist noch einmal ein hohes Ausmaß an Ehrlichkeit sich selbst gegenüber gefragt. Jedes Problem, das jemand zurzeit zu haben scheint, war irgendwann in der Vergangenheit einmal eine Lösung für ein anderes Problem oder es ist die Lösung des momentanen Problems. Die magersüchtige Frau konnte durch reduziertes Essverhalten möglicherweise den Gängeleien ihrer Mutter entkommen. Eine Panikattacke beim Anblick der eigenen Zahnarztpraxis bewahrt vielleicht davor, nach weiteren 300 Überstunden einen Herzinfarkt zu erleiden. Das Entfremdungserleben vom Patienten dient eventuell dazu, die Ruhe zu bewahren und ihn nicht einfach bei nächster Gelegenheit anzuschreien. Jedes Verhalten hat einen Sinn, der auf den ersten und meist auch auf den zweiten Blick nicht erkennbar ist. Der Körper und die Psyche sind darauf programmiert, den Organismus zu schützen. Manchmal tun sie das auf sehr mysteriöse Art und Weise, weil Ihnen keine andere Möglichkeit einfällt. Es ist an der Zeit, sich hinzusetzen und zu überlegen, was durch den emotionalen Erschöpfungszustand im Burnout erreicht werden soll. Ruhe, Entspannung, Auszeiten, Wertschätzung. Sobald Sie die Werte und Ziele erkannt haben, die durch das Burnout erreicht werden sollen, öffnen sich viele neue Möglichkeiten, diese zu verwirklichen. Und das auf angenehmerem Weg als durch psychisches und physisches Ausbrennen. Burnout als Weg ist beschwerlich und extrem ermüdend. Wer rechtzeitig erkennt, dass er sich in diese Richtung bewegt, kann mit den geeigneten Mitteln und Überlegungen die weitere Entwicklung abwenden. Ist jemand in starkem Ausmaß bei einer psychischen Enderkrankung gelandet, gibt es auch hier viele Hilfestellungen und Chancen, wieder gestärkt in das (Arbeits-)Leben zurückzukehren. Viele Menschen, die an Burnout erkrankt waren und die Pfade der Verbesserung kennengelernt haben, sagen im Nachhinein, dass Burnout durchaus auch eine Chance war. Ich hoffe für jeden Wanderer, dass er die Chance schon rechtzeitig erkennt und ergreift, um dauerhaft für seine Interessen zu brennen.
Literatur:
Fritsch, O. & Lang, M. (2012). Das Anti-Burnout-Buch. München: mvg Verlag.
Kaney, S. (1999). Sources of stress for orthodontic practitioners. British journal of opthalmology, 26 (1), 75–76.