Psychologie 16.06.2014
Der präsente Patient
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An dieser Stelle können unsere Leser der langjährigen ZWP-Autorin Dr. Lea Höfel Fragen im Bereich Psychologie stellen – in Bezug auf Patienten, das Team und sich selbst. Die Fragen und Antworten finden Sie hier redaktionell aufbereitet wieder. In dieser Ausgabe der ZWP geht es um die Frage, wie mit sehr präsenten Patienten umgegangen werden sollte. Psychologin Dr. Lea Höfel antwortet.
Anfrage: Es kommt nicht allzu häufig vor, aber manche Patienten haben eine Präsenz, die sowohl dem Team als auch anderen Patienten unangenehm ist. Ich rede von den Patienten, die sich schon im Empfangsbereich lautstark ausbreiten, gern bevorzugt behandelt werden möchten, die andere Patienten mit ihren Gesprächen und teilweise abwertenden Geschichten über die Praxis verunsichern und selten zufriedenzustellen sind. Was können wir tun, um mit diesen Patienten wertschätzend umzugehen und zugleich Grenzen aufzuzeigen, ohne sie gegen uns aufzubringen?
Der von Ihnen beschriebene Patient stellt in zahlreichen Zahnarztpraxen Geduld, Gelassenheit und Wohlwollen von Team und Mitpatienten auf die Probe. Zu Beginn darf sich meist die Mitarbeiterin an der Annahme anhören, was für einen wunderbaren oder schrecklichen Tag der Patient hatte. Gekoppelt daran könnten schon die ersten Wünsche und Verbote für die bevorstehende Behandlung eingeworfen werden. Der Patient rauscht daraufhin mit wehendem Mantel ins Wartezimmer, um dort die mehr oder meist minder gewillten wartenden Patienten mit denselben Geschichten zu erfreuen. Sollte der Patient mit der Zahnarztpraxis zufrieden sein, wird das jedem mitgeteilt. Hegt er jedoch den kleinsten Zweifel, wird das ebenso vermittelt. Währenddessen gerät der Zahnarzt im Behandlungszimmer ins Schwitzen, weil er weiß, dass die Stimmung im Wartezimmer am seidenen Faden hängt und jederzeit abzustürzen droht. Er weiß nicht, was gerade Gesprächsthema ist und mit jeder Minute, die verstreicht, wächst die Gefahr, dass er in einen negativen Fokus gerät, weil es zu lange dauert. Insgesamt ist es für alle Beteiligten eine unangenehme Situation, nur besagter Patient scheint davon nichts mitzubekommen.
Den Patienten verstehen
Um auffälliges Verhalten wertzuschätzen, hilft es meist, es besser zu verstehen. Nicht jeder Patient, der sich so verhält, sollte gleich eine psychische Störung diagnostiziert bekommen. Dennoch ist es manchmal sinnvoll, sich die Persönlichkeit in ihrer Extremform anzuschauen, um die ersten Warnsignale zu erkennen, weshalb wir kurz so tun, als habe der Patient eine Persönlichkeitsstörung. Die von Ihnen vorgestellte Verhaltenstendenz scheint in eine histrionische oder narzisstische Richtung zu weisen. Personen mit diesen Zügen möchten durch ihr theatralisches Auftreten der Welt beweisen, wie großartig sie sind. Tief im Inneren sieht es aber mit dem Selbstbewusstsein eher schlecht aus, weshalb sie es immer wieder betonen müssen, um es anderen und vor allem sich selbst zu beweisen. Läuft etwas entgegen ihren Erwartungen, wie beispielsweise längere Wartezeiten oder wenig gesprächsbereite Mitpatienten, fühlen sie sich verunsichert und reagieren aus Verunsicherung mit Angriff. Was dem (relativ) normalen Menschen als paradox erscheint, ist für diese Personen eine hilfreiche Strategie.
Versetzen Sie sich einmal kurz in das Gefühl herein, kein Selbstbewusstsein zu haben, weil sich vielleicht in Ihrer Kindheit nie jemand mit Ihnen beschäftigt hat. Damals hatten Sie die Wahl, sich in sich selbst zu verkriechen oder nach außen hin stark aufzutreten. Sie haben sich für die letzte Variante entschieden, aber natürlich spiegelt die präsentierte Stärke nicht Ihr Inneres wider. Nun wachsen Sie heran und müssen die Fassade aufrechterhalten. Sie wünschen sich Anerkennung und Zuneigung und zugleich misstrauen Sie dem, da Sie es als Kind nie erfahren haben. Und so dreht sich der Kreis von Aufmerksamkeit einfordern, Ablehnung erhalten, Abwertung des Gegenübers, Einsamkeit und Aufmerksamkeit einfordern immer weiter. An dieser Stelle beenden wir unseren psychologischen Exkurs und sind wieder psychisch stabil. Der Patient, der wie jeder Mensch seine persönliche Geschichte hinter sich hat, kann nicht so schnell aus seiner Rolle heraus.
Den Patienten behandeln
Sie können es sich durchaus zur Aufgabe machen, diesem Patienten sein Verhalten zu spiegeln und dadurch auf Besserung zu hoffen. Die Erfolgsaussichten sind relativ gering. Es hilft oft, sich bewusst zu machen, dass es nicht das Ziel einer Zahnbehandlung ist, den Patienten zu erziehen.
Was Sie tun können, ist, den Patienten mit seinem befremdlichen Verhalten wertzuschätzen. Er hat wahrscheinlich schon viele negative Erfahrungen gemacht und profitiert von einem neutralen Umgang. Setzen Sie die Rahmenbedingungen so, dass der Patient mit möglichst wenigen anderen Patienten zur selben Zeit da ist. Geben Sie ihm den ersten Termin am Tag, sodass er keine Gelegenheit bekommt, auf weitere Patienten zu treffen. Beginnen Sie die Behandlung zügig und lassen Sie wenig Raum für Gespräche. In der Kommunikation sollten Sie darauf achten, den Patienten nach seinen Wünschen zu fragen – lassen Sie sich nicht darauf ein, viel zu empfehlen.
Sie können die Alternativen vorstellen, doch lassen Sie den Patienten entscheiden. Da dieser Patient tendenziell misstrauisch ist, kann es gut sein, dass er das Resultat abwertet, wenn die Entscheidung nicht von ihm selbst kam. Sollte der Patient jedoch mit seinem Verhalten zu weit gehen, indem er beispielsweise die Mitpatienten verschreckt oder das Team beleidigt, ist es durchaus legitim, ihm dies deutlich zu verbieten. Teilen Sie ihm mit, dass Sie es nicht dulden, dass sich Menschen in Ihrer Praxis unwohl fühlen. Oft sind deutliche Worte besser als indirekte Andeutungen, welche meist nicht einmal verstanden werden. Sollte sich immer noch nichts ändern, ist es ratsam, darüber nachzudenken, auf diesen Patienten zu verzichten. Sie können diese Patienten lieben – dann lassen Sie sie so, wie sie sind.
Sie können versuchen, sie zu ändern – dann sprechen Sie deutliche Worte. Oder Sie können es sein lassen – dann beenden Sie die Zusammenarbeit. Für welche Variante Sie sich entscheiden, liegt in der Hand von Ihnen und Ihrem Team.