Recht 06.12.2022
Medizinprodukte-Verordnung: Nur Ärgernis oder doch Strafe?
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Die „neue“ Medizinprodukte-Verordnung sorgt bereits mit der ersten Verlautbarung für reichlich Chaos in der gesamten Medizinwelt. Konkret betroffen sind davon nicht nur die Mediziner, sondern alle Unternehmen, die Medizinprodukte herstellen sowie weiterverarbeiten. Dies macht natürlich auch keinen Halt vor den Dentallaboren.
Im Fokus der neuen Medizinprodukte-Verordnung VO (EU) 2017/745 (MDR) aus dem Jahr 2017 stand vor allem eines: die Patientensicherheit. Die Europäische Union verkündete, dass die neue Verordnung die bis dato geltenden Medizinprodukterichtlinien (MDD) von 1993 ablösen sollte. Sie sollte Schwachstellen ausmerzen, um dem Patientenwohl oberste Priorität einzuräumen. Die MDD hatte die Medizinprodukte in vier Klassen (I, IIa, IIb und III) eingeteilt. Für die Klasse I bedurfte es keiner externen Zertifizierung, für die anderen Klassen war aber die Zertifizierung durch externe Benannte Stellen (Notified Bodies) vorgeschrieben.
Bemühungen für mehr Patientensicherheit
Aufgrund der Erfahrungen aus der Vergangenheit und als Reaktion auf den sogenannten PIP-Skandal um einen französischen Hersteller von Brustimplantaten bestand die Notwendigkeit einer Neunotifizierung der MDR. Dafür wurden die Zertifizierungsklassen teilweise neu eingeführt sowie gruppiert. Viele Produkte wurden um eine Risikoklasse hochgestuft. Das zieht dementsprechend eine Vielzahl von notwendigen Neuzertifizierungen nach sich, die bis zum Geltungsbeginn der MDR durch eine Benannte Stelle zertifiziert werden müssen. Diese sind vor allem mit hohen Kosten – sowohl für Rohstoffhersteller als auch Dentallabore – verbunden. Damit die Verordnung reibungslos umgesetzt werden kann und die Hersteller ihre zahlreichen Pflichten, etwa zur Post-Market Surveillance, auch erfüllen können, wurde die Europäische Datenbank für Medizinprodukte (Eudamed) entwickelt. Diese gilt als das zentrale Instrument der MDR.
Trotz allem mangelte und mangelt es bis heute nicht an Warnhinweisen zur MDR. Die Bemühungen um die MDR begannen schon 2012. Ursprünglich sollte die Verordnung 2014 in Kraft treten. Die Diskussionen haben sich aber um drei Jahre verzögert. Leider haben diese langen Diskussionen die Situation aber auch nicht wirklich verbessern können, sodass die Lage im Herbst 2022 immer noch von chaotischen Zuständen geprägt ist.
Herausforderung und Scheitern liegen nah beieinander
Die zur MDD-Zertifizierung berechtigten Stellen werden seit Bekanntgabe der neuen MDR von Scharen mit Notifizierungsgesuchen konfrontiert, wodurch vor allem der Mangel an durch die MDD Benannte Stellen deutlich wurde. Bereits 2019 dämmerte die Erkenntnis, dass die Zertifizierungsfrist für die Klasse Ir-Produkte aufgrund der nicht ausreichenden Stellen nicht eingehalten werden können. Aktuell sind lediglich 32 Stellen zur Zertifizierung berechtigt, von denen sich aber nur acht in Deutschland befinden. Zusätzlich wurde die Herstellung der vollen Funktionsfähigkeit von Eudamed immer wieder verschoben. Wann die volle Funktionsfähigkeit erreicht werden kann, weiß aktuell allerdings niemand.
Ein zusätzlich nicht zu unterstützender Faktor ist zudem die Tatsache, dass es sich bei den Produkten der Klasse Ir um das Kerninstrumentarium für die Behandlung handelt. Aus diesen Gründen hat die EU-Kommission dem Druck nachgegeben, die Zertifizierung der Klasse Ir auf den für alle unter der MDD-zertifizierten Produkte in den Mai 2024 zu verschieden. Gewonnen ist damit aber noch lange nichts, denn Zertifizierungsverfahren dauern durchschnittlich 18 Monate. Will ein Hersteller ein Produkt bis zu diesem Zeitpunkt erst- oder rezertifizieren lassen, muss die Antragstellung bis Ende November 2022 erfolgen. Die Zeit läuft also.
Schaffung eines Abhängigkeitsverhältnisses
Steht man bereits in Kontakt mit einer für die Zertifizierung Benannten Stellen, erleichtert das vieles. Denn wer noch keine Stelle hat, findet in der Regel in diesem recht kurzfristig bemessenen Zeitraum auch keine. Problematisch ist dabei, dass die in Art. 50 enthaltene Verpflichtung zur Veröffentlichung der Standardgebühren, die den Herstellern einen Preisvergleich ermöglichen soll, ignoriert wird. Damit schaffen diese Stellen ein Abhängigkeitsverhältnis für die Hersteller, die zur Zertifizierung verpflichtet sind. Ein Wechsel ist faktisch ausgeschlossen. Würde man nämlich die eigene Benannte Stelle kündigen, reiht man sich nur in die Schlange derer ein, die ebenfalls eine Zertifizierungsstelle suchen.
Erklärungshilfen als richtiger Schritt?
Die Einführung der MDR sorgte für eine Reihe von Veränderungen sowie Herausforderungen. Aufgrund der vielfältigen Umsetzungsherausforderungen wurde die Medical Device Coordination Group (MDCG) geschaffen. Diese Arbeitsgruppe veröffentlichte seit Bekanntgabe der Medizinprodukte-Verordnung mehr als 100 Guidance-Dokumente zur Interpretation und Anwendung der MDR. Diese Vielzahl an Erklärungshilfen belegt wie kein zweites Momentum das Scheitern der MDR.
Forderung nach Fristverlängerung: Nur ein Tropfen auf den heißen Stein
Die unter anderem von der deutschen Politik geforderte Verlängerung der Übergangsfristen kann die Probleme aber nur für diejenigen Hersteller lösen, die sich den Zertifizierungsprozess überhaupt leisten können. Bei der Konzeption der MDR wurde komplett übersehen, dass jedenfalls in Deutschland über 90 Prozent der Hersteller Unternehmen und Handwerker mit durchschnittlich weniger als 20 – oft aber auch mit deutlich weniger als 10 – Beschäftigten sind. Da stellt sich vor allem die Frage der Rentabilität einer solchen Zertifizierung.
Besonders problematisch ist das natürlich für Start-ups in der Medizintechnikbranche, da diese sonst nicht wettbewerbsfähig werden können. Damit würde eine Monopolstellung großer herstellender Unternehmen entstehen, die deutlich dem medizinischen Fortschritt im Weg steht. Das schränkt aber das traditionelle Ziel der Medizintechnik, die Beseitigung von auf Behandlerseite erkannten Defiziten, deutlich ein. Man denke nur an die Geschichte der dentalen Implantate. Kann man sich vorstellen, dass diese unter der Geltung der MDR entwickelt worden wären? Der Behandler, der für ein wiederzuverwendendes Instrument eine tolle Idee hat und dann auch einen Hersteller zur Umsetzung findet, muss nach der Verordnung 18 Monate auf die Zertifizierung und damit den Einsatz des Produkts warten. Voraussetzung dafür ist aber, dass der Hersteller überhaupt bereit ist, das Produkt zertifizieren zu lassen. So kann eine notwendige Behandlung nicht schnellstmöglich umgesetzt werden, was in gewisser Weise konträr zur Konzentration auf die Patienten(sicherheit) steht.
Welche Möglichkeiten bleiben da noch?
Wird die Zertifizierung nach MDR zu schwierig, holt man sich diese bei der amerikanischen FDA. Innovation kann so aber zukünftig nur noch wenig oder gar nicht mehr in der EU stattfinden. An diese Entwicklung werden sich Labore und Praxen aber gleichermaßen gewöhnen müssen, denn viele Produkte werden nur noch schwer oder gar nicht mehr erhältlich sein. Dieser Prozess hat schon begonnen. Ist damit lediglich eine Verschiebung der aktuellen MDR überhaupt sinnvoll? Ganz klar: NEIN. Es gilt daher, die aktuelle Fassung der MDR zu stoppen und neu aufzusetzen.
Dieser Beitrag ist in der ZWL Zahntechnik Wirtschaft Labor erschienen.