Recht 19.02.2024
Zahnärztlicher Notdienst: Wohin geht die Reise?
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Dieser Beitrag ist unter dem Originaltitel "Quo vadis, Notdienst?" in der ZWP Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.
Das Thema (zahnärztlicher) Notdienst ist ein Dauerbrenner in der medizinrechtlichen Diskussion. Zuletzt sorgte eine Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 24.10.2023 (Aktenzeichen B 12 R 9/21 R) für Aufsehen. Das Gericht entschied, dass von der KZV eingesetzte sogenannte Pool–Zahnärzte keine Selbstständigen mehr seien. Die Frage ist: Wird die KZV damit gleichsam zur Arbeitgeberin der Pool-Zahnärzte? Dies brächte allerhand wirtschaftliche und organisatorische Folgen mit sich. Doch beginnen wir von vorne: Worum geht es eigentlich?
Versorgung heißt auch Notfallversorgung
Die Sicherstellung der zahnärztlichen Versorgung ist eine der zentralen Aufgaben der KZVen. Dazu gehört auch die Sicherstellung der Notfallversorgung. In vielen Regionen Deutschlands ist es jedoch schwierig, ausreichend niedergelassene Zahnärzte für den Notdienst zu gewinnen. Die KZVen haben daher Pool-Zahnärzte als eine Möglichkeit zur Sicherstellung des Notdienstes eingeführt. Und ebenso verfahren auch die KVen im ärztlichen Bereich.
Im Detail sind Pool-Zahnärzte Zahnärzte, die sich gegenüber einer KZV vertraglich verpflichten, im Notdienst tätig zu werden. Sie sind in aller Regel nicht niedergelassen. Es handelt sich häufig um im Krankenhaus angestellte Zahnärzte oder um ältere Kollegen, die das Bohren noch nicht ganz lassen können. Die KZVen stellen ihnen die benötigten Räumlichkeiten und Geräte zur Verfügung.
Die Vorteile des Einsatzes von Pool-Zahnärzten liegen auf der Hand:
- Sicherung der Notdienstversorgung im ländlichen Bereich: In Regionen, in denen es sonst schwierig wäre, ausreichend niedergelassene Zahnärzte für den Notdienst zu gewinnen, können Pool-Zahnärzte die Versorgung sicherstellen.
- Flexibilität: Pool-Zahnärzte sind in der Regel zeitlich wesentlich flexibler als niedergelassene Zahnärzte mit eigener Praxis und entsprechend hohem Organisationsaufwand. Tätigkeiten am Wochenende sind da leichter.
Dass die Entscheidung des BSG dieses bewährte System nachhaltig erschüttert hat, zeigen die vielfältigen Reaktionen aus den (zahn)ärztlichen Selbstverwaltungskörperschaften. Teilweise sehen die KZVen und KVen die Sicherstellung des (zahn)ärztlichen Notdienstes an sich bedroht.
Aktueller Fall
Doch was hat das BSG überhaupt entschieden? Ein Zahnarzt, der seine Praxis verkauft hatte, arbeitete im Notdienst für die KZV Baden-Württemberg als Pool-Zahnarzt. Er erhielt dafür ein festes Stundenhonorar und war an die Vorgaben der KZV gebunden. Das Bundessozialgericht (BSG) entschied, dass der Zahnarzt abhängig beschäftigt war – letztlich also Angestellter der KZV. Das ist etwas, was dem Gesamtsystem der ambulanten Versorgung gesetzlich Versicherter an sich fremd ist.
Das BSG hat in seiner Entscheidung in Übereinstimmung mit der älteren, gefestigten Rechtsprechung zur Sozialversicherungspflicht eine Reihe von Kriterien herangezogen, um die Situation des Zahnarztes zu beurteilen. Dazu gehörten insbesondere:
- Die Eingliederung des Zahnarztes in die von der KZV organisierten Abläufe: Der Zahnarzt war an die Vorgaben der KZV gebunden, z. B. in Bezug auf die Arbeitszeiten, den Einsatzort und die Behandlungsmethoden.
- Die Art der Vergütung: Der Zahnarzt erhielt ein festes Stundenhonorar, unabhängig von den tatsächlich erbrachten Leistungen.
- Die Verfügungsmacht des Zahnarztes über seine Arbeitskraft: Der Zahnarzt konnte seine Arbeitskraft nicht frei einteilen, sondern musste sich nach den Vorgaben der KZV richten. So konnte er auch beispielsweise nicht selbstständig bei Bedarf eine Vertretung organisieren, was aber bei Selbstständigkeit typisch sei.
Die Folgen
Auf Grundlage des § 7 SGB IV entschied das BSG somit, dass diese Kriterien überwiegen, um eine abhängige Beschäftigung des Zahnarztes anzunehmen. Dies fügt sich ein in die Rechtsprechung der letzten Jahre, die zunehmend eine abhängige Beschäftigung und Sozialversicherungspflicht in ähnlichen Verhältnissen (Musterbeispiel sind die Honorarärzte im Krankenhaus) annimmt.Die Entscheidung des BSG bezieht sich zwar erst mal nur auf den konkreten, dort verhandelten Einzelfall – und es ist noch nicht gänzlich sicher, inwieweit eine Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf die Gesamtlage von Pool-Zahnärzten und Pool-Ärzten gegeben ist. Dennoch zeichnen sich bereits jetzt nicht unwesentliche Auswirkungen ab:
- Pool-Zahnärzte könnten auf Basis der BSG-Rechtsprechung landauf, landab an die KZVen und KVen herantreten und die Rechte von Arbeitnehmern geltend machen – Urlaub, anteilige Beiträge zur Sozialversicherung und Ähnliches.
- Die KZVen müssten in der Konsequenz die Zusammenarbeit mit Pool-Zahnärzten völlig neu organisieren. Eine echte, vom BSG nahegelegte abhängige Beschäftigung der Zahnärzte dürfte zu nicht unerheblichen wirtschaftlichen Einbußen führen. Auch stellen sich Folgefragen im Zusammenhang mit Haftung und Berufshaftpflichtversicherung.
- Es werden daher, jedenfalls dort, wo möglich, wieder die an sich dienstverpflichteten zugelassenen Zahnärzte vermehrt die Notfallversorgung leisten müssen.
Die KZVen fordern daher, dass Pool-Zahnärzte von der Sozialversicherungspflicht gesetzlich ausgenommen werden – so wie dies bei Ärzten im Rettungsdienst auch der Fall ist. Sie argumentieren, dass Pool-Zahnärzte nicht wie Arbeitnehmer, sondern wie Selbstständige tätig seien, da sie frei in der Gestaltung ihrer medizinischen Arbeit seien und das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit selbst trügen.
Es bleibt abzuwarten, bis das BSG die schriftlichen Urteilsgründe im Volltext abgesetzt hat. Und nicht minder spannend ist in der Folge die Frage, ob der Gesetzgeber auf die Entscheidung des BSG reagiert und Pool-Zahnärzte von der sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflicht ausnimmt. Mit Ärzten, die im Rettungsdienst tätig sind, gibt es in § 23c Abs. 2 SGB IV bereits ein recht passgenaues Vorbild.
Dies würde die KZVen und KVen entlasten und die Sicherstellung des Notdienstes erleichtern. Die KZVen haben naturgemäß bereits angekündigt, sich für eine Änderung der Rechtslage einzusetzen – wofür bekanntlich ein äußerst langer Atem notwendig ist.