Recht 30.08.2022
Was tun bei sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz?
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Ein Thema, das, wenn überhaupt angesprochen, eher geflüstert wird, sind sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz. Sie passieren – auch wenn ihr Vorkommen kaum thematisiert wird. Nicht ausschließlich, jedoch in der Überzahl, sind weiblich gelesene Personen* von der Problematik betroffen. Obwohl die psychische Belastung bei Opfern sexueller Belästigung am Arbeitsplatz früh einsetzt, folgt die kognitive Wahrnehmung und Benennung des Problems oftmals deutlich später. Dabei gilt es, wie Leonie Thum, Fachanwältin für Arbeitsrecht, im Interview betont, sich ohne langes Warten Hilfe zu holen, Beweise zu sammeln und dagegen vorzugehen, um sich und andere zu schützen und den Arbeitgeber in seine Schutzpflicht zu nehmen.
Frau Thum, der Arbeitsplatz ist ein durch Konventionen und Regeln des gesellschaftlichen Miteinanders geschützter Raum. Was definiert eine Verletzung dieses Raums in Form eines sexuellen Übergriffs?
Vorab möchte ich betonen, dass ich ihre Fragen aus arbeitsrechtlicher und nicht aus strafrechtlicher Sicht beantworte, da Letzteres nicht mein Fachgebiet ist. Eine recht eindeutige Definition der sexuellen Belästigung findet sich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in § 3 Abs. 4, welches diese als Diskriminierung einordnet und damit am Arbeitsplatz verbietet. So ist nach dieser Vorschrift eine sexuelle Belästigung dann eine Benachteiligung im Sinne des AGG, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Sie sehen, das entspricht im Grunde schlicht dem gesunden Menschenverstand, was in der Juristerei ja nun nicht immer der Fall ist. Im Ergebnis kann man eigentlich erwarten, dass sexuelle Handlungen und Äußerungen ohne ausdrücklichen Konsens der betroffenen Person am Arbeitsplatz (und auch sonst) schlicht zu unterbleiben haben.
Traditionell werden sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz in der Regel in eine Richtung gedacht: von Männern auf Frauen gerichtet. Entspricht das der Realität?
Statistisch gesehen sind sexuelle Belästigungen, egal welcher Art, am Arbeitsplatz durch weiblich gelesene Personen eher selten. Ich persönlich hatte noch keinen einzigen derartigen Fall. Das schließt jedoch nicht aus, dass auch Männer in dieser Hinsicht Opfer sein können – wie es beispielsweise vermehrt im Strafvollzug vorkommt und dort ein viel zu unbeachtetes Problem ist. Im Arbeitsrecht sind sexuelle Übergriffe durch alle Geschlechter auf Männer eher wenig anzutreffen, was auch damit zu tun haben mag, dass die Betroffenen diese noch seltener anzeigen. Frauen und weiblich gelesene Personen sind seit jeher stärker davon betroffen – am Arbeitsplatz und darüber hinaus.1 Dabei schützt das Gesetz juristisch betrachtet alle Personen, unabhängig von ihrem Geschlecht, gleichermaßen vor sexuellen Übergriffen.
1 Das Statistische Bundesamt bestätigt, dass weiblich gelesene Personen deutlich häufiger unerwünschte sexuelle Annährungsversuche und Belästigung erleben. Weitere Informationen unter: www.destatis.de
Sexuelle Übergriffe am Arbeitsplatz können vielgesichtig sein: verbal, körperlich oder beides kombiniert. Ab welchem Punkt sollte man aufhören, Übergriffe auf die eigene Person als Überempfindlichkeiten abzutun, und klar und deutlich dagegen vorgehen? Und welches Handeln empfehlen Sie Opfern?
Sobald sich das Verhalten eines Kollegen oder Vorgesetzten falsch anfühlt, wird es das in der Regel auch sein. Es ist in Fällen sexueller Übergriffe grundsätzlich immer unangebracht, das Empfinden der Betroffenen als Überempfindlichkeit abzutun. Eine völlig veraltete „Boys will be boys-Mentalität“ ist am unmittelbaren Arbeitsplatz wie auch darüber hinaus nicht akzeptabel, wenn man möchte, dass sich weiblich gelesene Personen im Arbeitsumfeld sicher fühlen und entfalten können. Ich rate Opfern dazu, sich frühzeitig juristischen und psychologischen Rat zu holen, da sonst später sehr häufig Beweisschwierigkeiten auftreten, auch wenn das AGG den Nachweis von Indizien zunächst ausreichen lässt. Häufig stellen die Vorkommnisse dann auch bereits eine enorme Belastung dar und das Arbeitsverhältnis ist kaum noch zu retten, die Folgen kaum noch zu kompensieren. Rechtsantwält:innen und entsprechende Beratungsstellen können beim Fertigen entsprechender Aufzeichnungen helfen, Beistand leisten, und dafür sorgen, dass sich Unterlassungs- und Entschädigungsansprüche tatsächlich durchsetzen lassen, damit nicht als einzige Lösung der Verlust oder Wechsel des Arbeitsplatzes bleibt. Arbeitgeber treffen im Übrigen umfassende Pflichten, wenn es um die Beseitigung solcher Benachteiligungen geht.
ARBEITGEBER MÜSSEN SCHÜTZENArbeitgeber sind nach dem AGG dazu verpflichtet, ihre Beschäftigten vor Diskriminierungen zu schützen. Kommen sie ihren Pflichten aus dem AGG nicht nach, kann dies verschiedene Rechtsfolgen nach sich ziehen. Zum einen können sie gerichtlich auf Schadensersatz oder Entschädigung verpflichtet werden. Dabei können ihnen die Handlungen ihrer Beschäftigten zugerechnet werden. Eine Haftung für Organisationsverschulden kommt in Betracht, wenn in einem konkreten Diskriminierungsfall Vorschriften zur Vorbeugung und Vermeidung von Benachteiligungen nicht umgesetzt wurden. Zudem kann sich auch die Beweislast in einem Verfahren auf Schadensersatz zu Ungunsten der Arbeitgeber verschieben, wenn sie ihre Organisations- und Schutzpflichten nicht erfüllt haben. Daneben kann eine erneute Rechtfertigung vor Gericht ausgeschlossen sein, wenn bspw. eine vorausgegangene Beschwerde nicht ordnungsgemäß bearbeitet wurde. |
Dieser Beitrag ist in der Zahnarzt Wirtschaft Praxis erschienen.