Kieferorthopädie 18.01.2023
Gaumennahterweiterung im Rahmen der Aligner-Therapie
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Als ästhetische Alternative zu kieferorthopädischen Brackets werden heutzutage in zunehmendem Maße Aligner verwendet. Was ist im Rahmen einer Aligner-Therapie möglich und zu beachten? Ein Beitrag von Prof. Dr. Benedict Wilmes.
Als Vorteil gilt neben der Ästhetik das geringere Risiko für Demineralisationen nach einer Therapie mit Alignern verglichen mit festsitzenden bukkalen Brackets.1
Einleitung
Mittels Alignern können Zähne mit einer hohen Verlässlichkeit kippend bewegt werden.2 Eine begrenzte Effektivität zeigen Aligner jedoch, wenn eine körperliche Zahnbewegung oder eine Wurzelbewegung gewünscht ist, wie es bei einem Lückenschluss, einer transversalen Expansion oder einer Distalisierung der Fall ist.3 In mehreren Studien wurde festgestellt,4,5 dass es bei einer geplanten Expansion des Oberkiefers primär zu bukkalen Kippungen der Seitenzähne kommt. Als zweiter Faktor muss berücksichtigt werden, dass die oft gewünschte Vergrößerung der Nasenluftpassage nur mittels einer Gaumennahterweiterung (GNE) erreicht werden kann. Die GNE hat einen signifikanten Effekt auf die physiologische Atmung bei Kindern und reduziert das Risiko einer Apnoe bei Erwachsenen.6–8 Zahnärzten und Kieferorthopäden kommt hier eine besonders wichtige Stellung bzgl. Prophylaxe und Therapie einer obstruktiven Schlafapnoe zu.9
Expansion mit Alignern
Aufgrund der Limitationen der Aligner bzgl. körperlicher Expansion und einer gewünschten Vergrößerung der Nasenluftpassage wird daher oft eine zahngetragene GNE der Aligner-Therapie vorgeschaltet. Jedoch ergibt sich nach einer GNE immer die Notwendigkeit der Retention, die gewünschte Aligner-Therapie kann also erst nach sechs bis neun Monaten gestartet werden. Zudem muss eine Überkorrektur erfolgen, da zahngetragene GNE-Apparaturen in der Regel mit Kippungen der Verankerungszähne assoziiert sind. Um einen Kreuzbiss zu überstellen und eine körperliche Expansion mit einer höheren Verlässlichkeit zu erreichen, gibt es die Möglichkeit, die Effektivität der Aligner-Therapie durch skelettal verankerte Geräte zu unterstützen.
Gaumennahterweiterung
Die Gaumennahterweiterung (GNE) gilt als optimales kieferorthopädisches Verfahren, wenn eine skelettale Expansion der Maxilla gewünscht ist. Diese Methode wurde zum ersten Mal 1860 beschrieben.10 Während eine GNE bei Patienten bis zum 15. Lebensjahr meistens problemlos funktioniert, gestaltet sich deren Einsatz beim Erwachsenen vor allem aufgrund des mit dem Alter zunehmenden Widerstands der Mittelgesichtssuturen als schwieriger,11 sodass hier in der Regel vor GNE eine chirurgische Schwächung in der Le-Fort 1-Ebene erfolgen muss.
Da die Kräfte bei der konventionellen GNE über Ankerzähne auf die skelettalen Strukturen übertragen werden, gilt die Verteilung der Kräfte auf eine möglichst große Anzahl von Zähnen sowie ein abgeschlossenes Wurzelwachstum als unabdingbar. Trotz dieser Überlegungen wird von Nebenwirkungen wie Bukkalkippungen, Gingivarezessionen und Wurzelresorptionen im Seitenzahngebiet berichtet.12–15 Mit dem Ziel, dentale Nebenwirkungen zu vermeiden, wurden rein knochengetragene Distraktoren (z.B. TPD-Distraktor) entwickelt.16,17 Allerdings sind diese Miniplattengetragenen GNE-Geräte chirurgisch recht invasiv und haben ein hohes Risiko der Wundinfektion und Zahnschädigung.18 Um die Invasivität zu reduzieren, wurde der Dresden Distraktor vorgestellt, welcher Implantat- und Mini-Implantat-getragen ist.19–21 Aufgrund des Risikos von Wurzelläsionen bei der Insertion im Alveolarfortsatz hat sich diese Region jedoch nicht durchsetzen können.
Um die Invasivität zu reduzieren, werden daher heute Mini-Implantate zur skelettalen Verankerung bevorzugt. Als primäre Insertionsregion für palatinale (Mini-)Implantate gilt heute die sogenannte T-Zone22 posterior der dritten Gaumenfalten. Die Hybrid-Hyrax,23 verankert auf zwei Mini-Implantaten im anterioren Gaumen und zwei (Milch-)Molaren, hat sich mittlerweile weltweit etabliert, nicht nur zur reinen Oberkieferexpansion, sondern auch im Rahmen einer frühen Klasse III-Behandlung mit Gesichtsmaske oder Mentoplate.24,25 Die Minimierung dentaler Nebenwirkungen, wie Kippungen und Aufwanderungen, konnte in zahlreichen Studien nachgewiesen werden.25–28 Vorteile ergeben sich sowohl in der transversalen Dimension bei der Gaumennahterweiterung27,29 als auch in der sagittalen Dimension im Rahmen der frühen Klasse III-Behandlung.30,31 Aufgrund der höheren skelettalen Effektivität der Hybrid-Hyrax wird beispielsweise eine stärkere Erweiterung der Nasen-Luftpassage erreicht, verglichen mit einer konventionellen zahngetragenen GNE-Apparatur.32,33 Interessanterweise wird die Hybrid-Hyrax im Vergleich mit einer konventionellen GNE-Apparatur trotz Einbringen von zwei Mini-Implantaten von den Patienten als weniger belastend oder schmerzhaft bewertet,34 da weniger Zähne zur Verankerung verwendet werden. Zudem ist das Risiko von Wurzelresorptionen reduziert, da die Mini-Implantate anstelle der Zähne Expansionskräfte in den maxillären Knochen einleiten.35
Last, but not least kann bei Erwachsenen die GNE dank verbesserter Verankerung in einigen Fällen auch ohne eine chirurgische Schwächung durchgeführt werden.36,37 Bei der konventionellen Hybrid-Hyrax werden zunächst zwei Mini-Implantate inseriert, anschließend erfolgt ein Abdruck oder Scan, um die Apparatur im Labor herstellen zu können. In den letzten Jahren werden auch vermehrt CAD/CAM-gefertigte Insertionsschablonen verwendet. Auf diese Weise kann die Apparatur schon im Vorfeld angefertigt werden. Vorteil ist eine optimale Planbarkeit des Insertionsortes und die Tatsache, dass Mini-Implantate und Gerät in nur einem Termin eingesetzt werden können.38 Damit die Molaren für eine sich anschließende Aligner-Therapie frei beweglich bleiben, kann die maxilläre Expansion heutzutage auch ausschließlich Mini-Implantat-gestützt erfolgen. Zur Verankerung werden bei Kindern zwei Mini-Implantate (Fall 1) und bei älteren Jugendlichen (ab ca. 16 Jahren) und Erwachsenen vier Mini-Implantate (Fall 2) eingesetzt. Eine chirurgische Schwächung ist dank der Nutzung von Mini-Implantaten nicht immer erforderlich.39,40
Klinisches Beispiel 1 (BMX Expander)
Das klinische Prozedere der Expansion mittels Mini-Implantatgetragenem Expander in Kombination mit Alignern wird anhand einer 13-jährigen Patientin mit einem beidseitigen Kreuzbiss gezeigt (Abb. 1). Nach erfolgter Primärdiagnostik und ausführlicher Beratung der Eltern und der Patientin wurden zunächst zwei Mini-Implantate (Abb. 2a, BENEfit®-System, PSM) in der T-Zone im anterioren Gaumen eingesetzt. Dies erfolgte in diesem Fall frei Hand, kann aber auch mit einem Insertionsguide durchgeführt werden, um den Abstand der beiden Mini-Implantate sowie deren Parallelität einfacher zu gewährleisten.
Anschließend wurde die Distanz zwischen den beiden Mitten der Mini-Implantate gemessen und der passende Expander (BMX, PSM), in diesem Fall 8 mm (Abb. 2b), ausgewählt und mit zwei Fixierschräubchen befestigt (Abb. 2c). Falls die Distanz nicht genau 6, 8 oder 10 mm ist, kann die Expansionsschraube etwas vorgedreht werden, um die erforderliche Breite zu erreichen. Vorteilhaft ist, dass ein Laborprozess mit einem Abdruck/ Scan nicht notwendig ist, da der BMX Expander vorgefertigt in drei verschiedenen Größen (6, 8 und 10 mm) erhältlich ist und daher direkt „chairside“ angepasst werden kann.
Die tägliche Aktivierung lag bei 0,2 mm pro Tag, sodass der Oberkiefer nach vier Wochen um ca. 5,5 mm expandiert war (Abb. 3). Nach der Expansion wurden Scans für das Aligner-Finishing (ClearCorrect®, Straumann, Round Rock, USA) angefertigt. Während der weiteren Behandlung mit den Alignern verblieb zunächst der BMX Expander, später wegen des besseren Komforts eine Miniplatte (BENEplate, PSM), als skelettaler Retainer in situ (Abb. 3d). Die Therapie mit den Alignern erstreckte sich über einen Zeitraum von zehn Monaten, sodass die Behandlung nach insgesamt zwölf Monaten abgeschlossen werden konnte (Abb. 4; ein Monat Expansion, ein Monat zur Herstellung der Aligner und zehn Monate Aligner-Therapie). Zur Retention wurden Tiefziehschienen eingesetzt.
Klinisches Beispiel 2 (Quadexpander)
Ein 18-jähriger Patient mit einem transversalen maxillären Defizit stellte sich zur kieferorthopädischen Therapie vor (Abb. 5). Nach erfolgter Primärdiagnostik und ausführlicher Beratung des Patienten wurde eine transversale Expansion des Oberkiefers mittels GNE geplant.
Zu Beginn der Behandlung wurden vier Mini-Implantate (BENEfit, PSM) im Gaumen zunächst virtuell mithilfe eines DVT geplant und dann mittels eines Insertionsguides (Easy Driver®) eingesetzt (Abb. 6 und 7). Um auch posterior ausreichend knöcherne Verankerung realisieren zu können, wurden die hinteren Mini-Implantate in die Nähe der knöchernen Begrenzung von Nasen- und Kieferhöhle inseriert (Abb. 6d). Anterior im Bereich der Prämolaren wurden die Mini-Implantate paramedian innerhalb der T-Zone inseriert. Der Expander konnte schon im Vorfeld im Labor hergestellt werden.
Die tägliche Aktivierung nach Insertion des Expanders lag bei 0,3 mm pro Tag, sodass der Oberkiefer nach vier Wochen ausreichend expandiert war (Abb. 7). Nach der Expansion fand ein Aligner-Finishing statt (Abb. 8). Während der weiteren Behandlung mit den Alignern verblieb der Expander als skelettaler Retainer in situ. Die Mini-Implantate wurden am Ende der Therapie ohne Anästhesie entfernt. Zur Retentionsphase wurden Tiefziehschienen eingesetzt (Abb. 9).
Diskussion
Die Behandlung mit Alignern nimmt einen immer größer werdenden Anteil kieferorthopädischer Therapien ein. Eine begrenzte Wirksamkeit zeigen Aligner jedoch, wenn eine körperliche Zahnbewegung gewünscht ist, wie es bei einem Lückenschluss oder einer Distalisierung der Fall ist. Bei einer konventionell durchgeführten Expansion kommt es primär zu Zahnkippungen nach bukkal, falls ausschließlich Aligner zum Einsatz kommen. Diese Limitationen von Aligner-Behandlungen können in vielen Fällen durch die Kombination mit Mini-Implantat-verankerten Geräten überwunden werden.41,42
In diesem Beitrag wurde anhand zweier Patientenbeispiele gezeigt, dass eine Kombination von Alignern mit Mini-Implantat-getragenen Expandern sowohl bei Kindern als auch Erwachsenen möglich und in vielen Fällen empfehlenswert ist, da
- dentale Nebenwirkungen/Kippungen der Zähne bei Expansion vermieden werden können,
- eine Überkorrektur nicht erforderlich ist,
- die skelettale Retention (mindestens sechs Monate erforderlich) durch den Expander erfolgen kann,
- die Aligner-Behandlung sofort nach der Expansion beginnen kann,
- es durch die GNE zu einer Verbesserung der Nasenluftpassage kommt,
- aufgrund der verbesserten Verankerung durch Mini-Implantate bei Erwachsenen eine chirurgische Schwächung vor GNE in einigen Fällen vermieden werden kann.
Inwieweit skelettal verankerte Expander eine chirurgische Schwächung bei Erwachsenen überflüssig machen, bedarf allerdings noch weitergehender klinischer Untersuchungen. Bisherige Studien zeigten einen ausgeprägten Einfluss vom skelettalen Reifegrad der Patienten und eine Altersassoziierte Erfolgswahrscheinlichkeit von 94,1 Prozent (25 Jahre) bis 76 Prozent (37 Jahre).43
Fazit für die Praxis
Insbesondere im Rahmen einer Aligner-Therapie sollte bei gewünschter Expansion des Oberkiefers eine rein skelettal verankerte Gaumennahterweiterung in Betracht gezogen werden. Nach bisherigen klinischen Erkenntnissen sind zwei Mini-Implantate zur erfolgreichen Expansion bei Kindern ausreichend, während bei Jugendlichen und Erwachsenen vier Mini-Implantate verwendet werden sollten.
Dieser Beitrag ist in den KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.