Branchenmeldungen 02.10.2025
60 Jahre Implantologie im Rückblick: Keramikimplantate im Spotlight
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Über drei Tage hinweg bot der Kongress spannende Einblicke in aktuelle Forschung, klinische Innovationen und interdisziplinäre Perspektiven. Zahnärzte, Implantologen und Wissenschaftler aus ganz Europa und darüber hinaus trafen sich, um neueste Erkenntnisse zu diskutieren, Erfahrungen auszutauschen und sich über zukünftige Entwicklungen zu vernetzen.
Den Auftakt am Donnerstag bildeten praxisorientierte Workshops, in denen die Teilnehmer unter Anleitung erfahrener Experten direkt in Implantatsysteme und chirurgische Techniken eintauchen konnten. Diese „Hands-on“-Phasen lieferten nicht nur theoretisches Wissen, sondern ermöglichten eine unmittelbare Anwendung unter realistischen Bedingungen. Die Workshops wurden besonders geschätzt, da sie die Lücke zwischen Forschung und klinischem Alltag überbrücken.
Im Rahmen des Vortragsprogramms gelang es den Organisatoren, ein ausgewogenes Spektrum von Grundlagen über biologische Aspekte bis hin zu klinischer Anwendung abzudecken.
28 Referenten leisteten ihre Beiträge in drei thematischen Kapiteln: Materialaspekte, Biologische Aspekte und klinische Anwendung.
In den Sitzungen zu Materialaspekten wurden Themen wie die Materialstabilität von Zirkonoxid, Oberflächentechnik und Langzeitverhalten unter Belastung beleuchtet. Die Referenten zeigten auf, wie moderne keramische Werkstoffe zunehmend konkurrenzfähig mit etablierten Titanlösungen werden, insbesondere mit Blick auf Biokompatibilität und ästhetische Anforderungen.
Prof. Jérôme Chevalier aus Frankreich eröffnete den Freitag mit seinem Beitrag «Keramik für dentalen Implantateinsatz: Stand der Technik, aktuelle Entwicklungen, Perspektiven», in dem er die neuesten Entwicklungen keramischer Implantate zusammenfasste und einen Ausblick auf zukünftige Anwendungen gab. Im Anschluss beleuchtete Prof. Andraž Kocjan aus Slowenien die Fertigungstechniken und Oberflächenmodifikationen von Zirkonoxidimplantaten. PD Dr. Nadja Rohr aus der Schweiz hinterfragte in ihrem Vortrag die Rolle von Implantatoberflächen im klinischen Marketing und deren Einfluss auf die Wahrnehmung von Patienten und Zahnärzten.
Prof. Ralf Kohal aus Deutschland erläuterte in seinem Vortrag «Alles, was Sie schon immer über die Stabilität keramischer Implantate wissen wollten, sich aber nicht zu fragen getraut haben» die mechanische Stabilität keramischer Implantate und räumte mit gängigen Mythen auf. Dr. Marc Balmer aus der Schweiz präsentierte Ergebnisse aus klinischen Studien. PD Dr. Frank Spitznagel aus Deutschland untersuchte die prothetischen Optionen für keramische Implantate und deren Evidenzbasis. Prof. Sebastian Kühl aus der Schweiz stellte seine Erfahrungen aus einer multizentrischen Studie vor.
In den klinischen Vorträgen standen Fallbeispiele aus dem Implantologiealltag im Zentrum: von Sofortbelastung über augmentative Maßnahmen bis hin zum Umgang mit schwierigen anatomischen Situationen. Einige Referenten präsentierten Langzeitdaten mit keramischen Implantaten, womit sie Vertrauen in die Langzeitstabilität dieser Systeme untermauerten.
Einen besonders eindrucksvollen Vortrag hielt Prof. Eik Schiegnitz aus Deutschland, der die Schnittstellen zwischen klinischer Praxis und evidenzbasierten Leitlinien diskutierte. Prof. Michael Payer aus Österreich referierte über seine klinischen Erfahrungen mit keramischen Implantaten, während PD Dr. Paul Weigl aus Deutschland biologische Aspekte und Korrosionsresistenz beleuchtete.
Ein weiterer Schwerpunkt lag auf den biologischen Aspekten: Hier wurden Entzündungsprozesse, Gewebereaktion, Weichgewebsführung und die Rolle mikrobieller Faktoren diskutiert. Besonders bemerkenswert war, wie einige Referenten anhand neuester Studien belegten, dass die Periimplantitis-Raten bei keramischen Systemen vergleichbar niedrig sein können, wenn die Randbedingungen stimmen.
Ein Highlight war die Keynote von Prof. Dr. Tomas Albrektsson: In seinem Vortrag würdigte er zugleich die historische Entwicklung der Implantologie sowie die aktuellen Fortschritte im keramischen Bereich. Fast auf den Tag genau vor 60 Jahren hat Per-Ingvar Brånemark das erste Implantat gesetzt, was eine ganz neue Welt für die Patientenbehandlung eröffnet hat. Prof. Albrektsson ist ein Wegbegleiter in der Implantologie, so verbindet seine Perspektive Rückblick und Ausblick in idealer Weise.
Ergänzt wurden die Beiträge durch Dr. Volker von Baehr («Immunologie von Titan»), Prof. Ralf Smeets («Titan und Korrosion»), beide aus Deutschland und Dr. Alessandro Alan Porporati aus Italien («Metall als unabhängiger Risikofaktor für Infektionen: Evidenz aus der Hüftendoprothetik»), die die Rolle von Titan und Metallen in der Implantologie kritisch beleuchteten.
Der Austauschteil fand seinen Höhepunkt in Diskussionsrunden, in denen Zuhörende mit den Vortragenden kritisch die Grenzen und offenen Fragen erörterten. Besonders lebhafte Debatten entstanden in Bezug auf die Frage, in welchen klinischen Situationen keramische Implantate gegenüber Titan den Vorzug erhalten sollten, und wie man Therapieentscheidungen auf Basis individueller Patientenfaktoren optimieren kann.
Am Samstag setzten die Vorträge den Fokus auf biologische, prothetische und digitale Aspekte der Keramikimplantologie.
Dr. Sebastijan Perko aus Slowenien untersuchte die Rolle von Biomarkern bei der Osseointegration. Prof. Michael Stiller aus Deutschland berichtete über klinische Erfahrungen mit unterschiedlichen keramischen Implantatsystemen. Dr. Joan Pi Anfruns aus den USA präsentierte die komplette Kieferrehabilitation und thematisierte zugleich Lieferschwierigkeiten keramischer Implantate in den USA.
In einem Doppelvortrag stellten Priv.-Doz. Dr. Stefan Röhling und Priv.-Doz. Dr. Michael Gahlert aus Deutschland den neuen Ansatz für Keramikimplantate: aktuelle und zukünftige zweiteilige Keramikimplantatsysteme vor. Prof. André Chen und Dr. João Borges aus Portugal zeigten die Integration digitaler Workflows in die prothetische Versorgung. Prof. Bilal Al-Nawas aus Deutschland beleuchtete die osteoimmunologischen Grundlagen für die tägliche Praxis, während Prof. Reinhardt Gruber aus Österreich wissenschaftliche Hintergründe zu Blutkonzentraten präsentierte.
Dres. Elisa & Joseph Choukroun aus Frankreich erläuterten die Bedeutung plättchenreicher Fibrinpräparate für die regenerative Therapie. Dres. Markus & Matthias Sperlich aus Deutschland zeigten, wie durch digitale Sofortversorgung die Biologie des Patienten optimal geschont werden kann. Den Abschluss bildete Dr. Frank Maier aus Deutschland mit seinem Vortrag «Biologie und Implantatgeometrie».
Abseits des wissenschaftlichen Programms sorgten Networking-Gelegenheiten für informelle Begegnungen und nachhaltige Kontakte. Den gesellschaftlichen Höhepunkt bildete das Swiss Galadinner «60 Jahre Implantologie», welches in der traumhaften Kulisse des Landgutes Bocken am Zürichsee stattfand und den Teilnehmern erlaubte, die berühmte «Switzerness» kennenzulernen.
Der ESCI-Kongress setzte ein starkes Signal: Die Keramikimplantologie ist längst kein Randthema mehr, sondern rückt zunehmend in den Fokus fundierter wissenschaftlicher Untersuchung und klinischer Anwendung. Die vertretenen Beiträge zeigten, dass Forschung und Praxis im stetigen Dialog stehen und dass keramische Implantate in vielen Szenarien nicht nur konkurrenzfähig, sondern perspektivisch oft vorteilhaft sein können.