Branchenmeldungen 09.09.2025
Corona-Aufarbeitung im Bundestag - wie läuft das?
Die letzten bundesweiten Corona-Beschränkungen liefen vor zweieinhalb Jahren aus. Jetzt nimmt sich der Bundestag eine umfassende Aufarbeitung der Pandemie und ihrer Folgen vor. Angehen soll das eine Enquete-Kommission, die in Berlin zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammenkam. Das Parlament hatte die Einsetzung vor der Sommerpause mit breiter Mehrheit beschlossen. Das Gremium mit Abgeordneten und Experten soll Mitte 2027 einen Bericht vorlegen. Kann eine sachliche Analyse gelingen?
Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) sagte vor der Auftaktsitzung, die Aufarbeitung solle gründlich, transparent und selbstkritisch sein. Sie sei «auch eine Chance, wieder zu einer gesellschaftlichen Versöhnung zu kommen». Die Vorsitzende des Gremiums, Franziska Hoppermann (CDU), sagte der dpa: «Wir wollen verstehen, nicht verurteilen.» Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte bereits zuvor formuliert: «Aufarbeitung schafft die Chance, Menschen zurückzugewinnen, die Vertrauen in die Demokratie verloren haben.»
Warum kommt jetzt eine große Aufarbeitung?
In der vorigen Wahlperiode, gleich nach der akuten Krise, kam eine Auswertung der Schutzmaßnahmen mit Masken, Tests und Schließungen auf Bundesebene nicht zustande. Diskutiert wurde auch über einen Bürgerrat, die Ampel-Koalition einigte sich aber nicht. Das neue Bündnis aus Union und SPD vereinbarte dann eine Enquete-Kommission. Der Einsetzung stimmten im Juli im Bundestag auch Grüne und Linke zu. Bei der AfD gab es Nein-Stimmen und Enthaltungen.
Was ist das große Untersuchungsziel?
Trotz vieler Untersuchungen etwa auch in den Bundesländern hätten viele den Eindruck, die Pandemie sei noch nicht ausreichend aufgearbeitet, heißt es im Einsetzungsantrag. Eine umfassende, wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung auch des staatlichen und gesellschaftlichen Handelns sei aber unerlässlich, um belastbare Schlussfolgerungen zu ziehen. Leitend solle dabei sein, «dass alle Maßnahmen und Entscheidungen immer nur vor dem Hintergrund des Informationsstands zum betreffenden Zeitpunkt bewertet werden können».
Was ist eine Enquete-Kommission?
Das französische Wort «enquête» bedeutet Untersuchung. Im Bundestag sind Enquete-Kommissionen ein Format für große, komplexe Themen, und es gab schon einige - etwa zur künstlichen Intelligenz oder zu Lehren aus dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Die neue Kommission heißt: «Aufarbeitung der Corona-Pandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse». Die Pandemie habe Bürger, Zivilgesellschaft, Institutionen, Unternehmen, Kunst und Kultur von 2019 bis 2023 mit Herausforderungen «von historischer und seit dem Zweiten Weltkrieg nicht gekannter Tragweite» konfrontiert, heißt es im Antrag.
Wie ist die Zusammensetzung?
Neben 14 Abgeordneten gehören der Kommission 14 Sachverständige an. Die Union schickt fünf Abgeordnete, AfD und SPD schicken je drei, die Grünen zwei, die Linke stellt einen Abgeordneten. Bei den Experten, die auch nach diesem Schlüssel benannt werden konnten, sollte auf eine ausgewogene Vertretung von Wissenschaftsdisziplinen und Gesellschaftsbereichen geachtet werden. Darunter sind mehrere Professoren und für die Perspektive der Länder der zur Corona-Zeit amtierende Regierende Bürgermeister von Berlin, Michael Müller.
Und was soll konkret untersucht werden?
Beleuchtet werden soll eine Reihe von Aspekten: Die Früherkennung mit Pandemieplänen und Vorsorge; das Krisenmanagement mit den Bund-Länder-Runden der Ministerpräsidentenkonferenz, Krisenstäben und der Einbindung wissenschaftlicher Expertise; der rechtliche Rahmen und die parlamentarische Kontrolle; die Maßnahmen gegen die Virus-Ausbreitung mit Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, Ältere und Sterbende. Und außerdem Impfungen und das Beschaffen von Schutzausrüstung wie Masken und Tests; Hilfen für Firmen und den Arbeitsmarkt; Folgen für Kultur, Tourismus, Ehrenamtler und Vereine.
Wie sieht die Arbeitsweise aus?
Die Kommission soll am 22. September das nächste Mal zusammenkommen, wie Hoppermann sagte. Getagt werden soll im Grundsatz einmal im Monat, es gibt nicht-öffentliche und öffentliche Sitzungen. Zu einer Anhörung sollen bald Vertreter ähnlicher Kommissionen und Ausschüsse aus den Ländern eingeladen werden. Perspektiven und Erfahrungen von Bürgern könnten «insbesondere durch öffentliche Formate einbezogen werden», heißt es im Einsetzungsantrag. Eine «altersgerechte Befragung» von Kindern und Jugendlichen ist möglich.
Wann kommt der Abschlussbericht?
Die Kommission soll dem Bundestag bis zum 30. Juni 2027 einen umfassenden Abschlussbericht mit Erkenntnissen und Handlungsempfehlungen vorlegen. Es kann auch Zwischenberichte zu abgeschlossenen Aspekten geben, was eine frühere parlamentarische und politische Befassung ermöglichen soll. Mitglieder der Kommission können Sondervoten abgeben. Am Ende veröffentlicht werden sollen Protokolle der Sitzungen, wenn das Gremium nicht-öffentlich getagt hat.
Warum gibt es keinen Untersuchungsausschuss?
Grüne und Linke tragen die Enquete-Kommission mit, auch wenn sie daneben einen Untersuchungsausschuss zu umstrittenen Maskenkäufen des damaligen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) zu Beginn der Pandemie wollen. Die beiden Oppositionsfraktionen haben dafür aber allein nicht genug Stimmen und riefen die schwarz-rote Koalition vergeblich zu Unterstützung auf. Die AfD forderte einen U-Ausschuss für eine «schonungslose» Aufarbeitung der ganzen Corona-Zeit. Grüne und Linke lehnen ein gemeinsames Vorgehen aber strikt ab.
Quelle: dpa