Branchenmeldungen 10.10.2024
Professor Dr. Bernd Haller verlässt die Universität Ulm
Prof. Dr. Bernd Haller, Jahrgang 1958, blickt auf eine beeindruckende Karriere in der Zahnmedizin zurück. Nach seinem Studium an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und seiner Tätigkeit als Oberarzt an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg, übernahm er 1995 den Lehrstuhl für Zahnerhaltungskunde, Parodontologie und Kinderzahnheilkunde an der Universität Ulm. Gleichzeitig prägte er als Ärztlicher Direktor die Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie über fast drei Jahrzehnte hinweg. Nun verabschiedet er sich endgültig vom universitären Betrieb, bleibt der Zahnmedizin jedoch noch für ein weiteres Jahr als Fortbildungsreferent der Bezirkszahnärztekammer Tübingen verbunden.
Es ist ein trüber Herbsttag, als ich die Treppen zur 6. Ebene der Klinik hinaufsteige, wo ich mich mit Prof. Dr. Haller verabredet habe. Eine leichte Melancholie schwingt in mir mit, während ich die gewohnten Abläufe der Klinik wahrnehme: Patient*innen warten auf ihre Behandlungen, andere holen sich einen Termin – es scheint ein Tag wie jeder andere. Doch für Prof. Haller ist es ein ganz besonderer. Sein Büro ist bereits fast leer, die persönlichen Dinge verschwunden, nur ein Hoptimist steht verloren auf dem Schreibtisch, während die Laptops auf die letzte Datensicherung warten. Um 17:30 Uhr an diesem Tag wird er seine Schlüssel abgeben, mit dem festen Vorsatz, die Klinik, die er über Jahrzehnte geprägt hat, erst einmal nicht mehr zu betreten. Ein radikaler Schnitt, wie man ihn selten erlebt. Dieser Moment verdient meines Erachtens höchsten Respekt, denn mit ihm endet eine Ära – nicht nur für die Klinik, sondern auch für die vielen Menschen, die er über all die Jahre inspiriert hat.
Herr Prof. Dr. Haller, Sie haben Ihre akademische Karriere in Freiburg begonnen und sind seit 1995 in Ulm als Ordinarius tätig. Welche besonderen Momente oder Wendepunkte haben Ihre Entscheidung für die Zahnmedizin und Ihre Spezialisierung nachhaltig geprägt?
Tatsächlich war Zahnmedizin nicht mein ursprünglicher Plan. In meiner Familie war ich der Erste, der Abitur gemacht hat, und entsprechend war der Weg ins Studium nicht vorgezeichnet. Schon während meiner Schulzeit hatte ich viele Interessen – ich schwankte zwischen Lehrer, Naturwissenschaftler und Archäologe. Aber letztlich wurde ich in gewisser Weise all das auf einmal. Den Entschluss, Zahnmedizin zu studieren, habe ich erst nach dem Abitur gemeinsam mit einem Schul-freund gefasst, mit dem ich bis heute in Kontakt stehe. Ein entscheidender Wendepunkt war für mich im Studium, als ich in Freiburg den großartigen Dozenten Professor Bernd Klaiber traf. Er hat mir im sechsten Semester im Phantomkurs der Zahnerhaltung gezeigt, was Zahnmedizin wirklich bedeuten kann. Das präzise Arbeiten im Mund hat mich fasziniert – ganz im Gegensatz zu den vorklinischen, zahntechnischen Arbeiten, die mir nie wirklich Freude bereitet haben. Von da an war mir klar, dass die Zahnerhaltung mein Schwerpunkt werden sollte.
Nach fast drei Jahrzehnten in Ulm – was hat Sie über all die Jahre angetrieben? Gab es besondere Begegnungen oder Erfahrungen, die Ihnen immer wieder neuen Schwung verliehen haben?
Was mich über all die Jahre motiviert hat, war vor allem die Freude an der Wissensvermittlung. Für mich war es stets eine Herausforderung, die Studierenden in den Zahnklinikkursen fit für den Praxisalltag zu machen. Besonders spannend fand ich es, wie manche im sechsten Semester noch unsicher wirkten, dann aber in den verbleibenden 2,5 Jahren bis zum Examen einen enormen Reifungsprozess durchliefen. Trotz meiner hohen Ansprüche habe ich im-mer wieder große Dankbarkeit erfahren, und es gibt nichts Schöneres, als ehemalige Studierende Jahre später zu treffen und zu hören, dass sie von dem, was ich ihnen beigebracht habe, noch heute profitieren. Diese Wertschätzung ist eine wunderbare Bestätigung meiner Arbeit. Das gilt auch für das Vertrauen, das ich in der Arzt-Patienten-Beziehung erfahren habe.
Als Fortbildungsreferent der Bezirkszahnärztekammer Tübingen haben Sie das wissenschaftliche Programm der Bodenseetagung verantwortet. Gibt es eine besondere Weisheit oder Erkenntnis, die Sie in dieser Zeit gewonnen haben?
Eine „Weisheit“ würde ich das nicht nennen, aber ich habe immer versucht, spannende Themen und gute Referenten zu finden. Oft habe ich mich dabei leiten lassen von Themen, die mich persönlich interessiert haben – nach dem Motto: „Was ich schon immer wissen wollte.“ Vertrauen und eine gesunde Portion Gelassenheit waren dabei essenziell. Eine Erkenntnis aus der jüngeren Zeit möchte ich aber doch teilen: Ich bin kein Fan von hybriden Formaten bei solchen Tagungen. Der persönliche Austausch und das Netzwerken vor Ort sind durch nichts zu ersetzen, und ich fürchte, dass die Qualität solcher Tagungen leidet, wenn viele nur noch online teilnehmen.
Wenn Sie auf Ihre Zeit als Ärztlicher Direktor zurückblicken: Welche Eigen-schaften haben dazu beigetragen, Ihre Klinik und Ihre Mitarbeitenden nachhaltig zu prägen?
Das ist immer schwer, bei sich selbst objektiv zu bleiben, aber ich habe oft das Feedback bekommen, dass meine hohen Qualitätsansprüche einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben. Ich bin kompromisslos, wenn es um die Patientenbehandlung, die Lehre oder wis-senschaftliche Arbeiten geht. Besonders stolz bin ich darauf, wenn ehemalige Studierende immer wieder sagen, sie würden bei bestimmten Behandlungsschritten an meine Vorlesungen denken. Wichtig war mir auch, ein Klima des Hinterfragens zu schaffen – ich erwarte von meinen Mitarbeitenden, dass sie Entscheidungen nachvollziehen können, und ich lasse meine eigenen Überzeugungen auch hinterfragen. Offenheit, Begeisterungsfähigkeit und eine Fehlerkultur sind essenziell, ebenso wie die Bereitschaft, Verantwortung zu übertragen und Talente zu fördern.
Besonders stolz bin ich darauf, wenn ehemalige Studierende immer wieder sagen, sie würden bei bestimmten Behandlungsschritten an meine Vorlesungen denken. – Prof. Dr. Bernd Haller
Gibt es einen besonderen Ratschlag, den Sie Ihren Studierenden immer wieder mit auf den Weg gegeben haben – vielleicht auch etwas, das über die Zahnmedizin hinausgeht?
Ein Grundsatz, den ich immer betone: Machen Sie nur Dinge, die Sie auch beherrschen. Und wenn Sie etwas noch nicht beherrschen, bereiten Sie sich gründlich darauf vor. Eine klare Diagnose ist die Grundlage jeder Behandlung, und man sollte nie Behandlungen ohne ein klares Verständnis der Situation und der möglichen Risiken durchführen. Zudem sollten Zahnmedizinerinnen immer ehrlich zu ihren Patietinnen sein und keine unrealistischen Versprechungen machen – und vor allem nichts tun, wovon sie selbst nicht überzeugt sind. Man muss sich auch trauen, sich von Patient*innen zu trennen, wenn deren Erwartungen nicht erfüllbar sind.
Welcher Moment in Ihrer Karriere ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Es gibt einige solcher Momente. Einer, der mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, war, als Ralph Bowen, der Erfinder der Komposite, nach einem meiner Vorträge bei der IADR aufstand und öffentlich sagte, ich hätte einen guten Job gemacht. Das war eine unglaubliche Ehre. Ein anderer schöner Moment war, als meine Frau nach einem Vortrag bei der ConsEuro-Tagung in München 2003 – einen Tag nach unserer Hochzeit – mir sagte, wie stolz sie auf mich sei. Auch die Tatsache, dass ich in den frühen 2000er Jahren mit dazu beitragen konnte, dass der Studiengang Zahnmedizin in Ulm erhalten bleibt, macht mich stolz.
Zum Abschluss: Welcher unerfüllte Traum oder welches Projekt möchten Sie nach Ihrer Tätigkeit als ärztlicher Direktor angehen?
Beruflich gibt es für mich keine offenen Projekte mehr. Ich habe meine letzten Patient*innen vor kurzem behandelt und werde noch laufende Promotionsverfahren zu Ende bringen. Privat freue ich mich auf meinen Umzug nach Marburg, wo ich nach 21 Jahren endlich mit meiner Frau zusammenleben werde. Und ein lang gehegter Traum ist schon in Erfüllung gegangen: Vor zwei Monaten habe ich mir ein Wohnmobil gekauft, mit dem ich nun Deutschland und Europa bereisen möchte. Vor allem freue ich mich aber auf Zeit mit meinen Enkelkindern, solange sie es noch toll finden, mit Opa Zeit zu verbringen!
Im Laufe unseres Gesprächs wurde viel gelacht. Melancholie? Fehlanzeige. Stattdessen überwiegt die Vorfreude auf den kommenden Lebensabschnitt. Die nächsten Ausfahrten mit dem Wohnmobil sind bereits geplant, und der Umzug nach Marburg steht bevor. Ich hingegen kann mich einer gewissen Wehmut nicht entziehen, doch es freut mich zu sehen, mit wie viel positiver Energie mein Gesprächspartner in seinen neuen Lebensabschnitt geht. Und schließlich bleibt uns allen die Vorfreude auf ein Wiedersehen in Lindau 2025.
Quelle: Informationszentrum Zahn- und Mundgesundheit Baden-Württemberg (IZZ)