Branchenmeldungen 16.05.2022
„In BEMA zu denken, heißt Geld zu verschenken.“
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Die zahnärztliche Abrechnung in der Theorie, verklauselt in BEMA und GOZ-Statuten und, dem gegenüber, die Abrechnungsrealitäten in der täglichen Praxis sind wie zwei einander skeptisch beäugende Schwestern – sie gehören zwar zusammen, leben aber eher getrennt. Ein Gespräch mit Karina Müller, Spezialistin für Zahnärztliche Abrechnung und Qualitätsmanagement in der Zahnarztpraxis, über den veralteten GOZ-Punktewert, ungenutzte Honorarchancen und Insiderwissen für die eigene Praxis.
Frau Müller, die Dokumentation stellt im Zusammenhang mit der zahnärztlichen Abrechnung immer wieder eine Herausforderung im täglichen Praxisworkflow dar. Warum ist das so?
Die Dokumentation ist ein sehr komplexes Thema. Es gibt zahlreiche gesetzliche und standesrechtlich Vorgaben, die es zu erfüllen gilt. In Bezug auf die Dokumentation, insbesondere im Zusammenhang mit der Abrechnung zahnärztlicher Leistungen, müssen wir unterscheiden zwischen Abrechnungsdokumentation und Behandlungsdokumentation. Die Abrechnungsdokumentation beinhaltet die jeweiligen Ziffern der erbrachten Leistungen. Die Behandlungsdokumentation ist sehr viel umfangreicher und beschreibt letztendlich die durchgeführten Maßnahmen in Prosaform. Dieser Vorgang ist sehr aufwendig und erfordert die Ressourcen Mitarbeiter*in und Zeit. Hier liegt meiner Meinung nach das größte Problem. Beides ist in vielen Praxen ein zu knapp bemessenes Gut. In Konsequenz leidet in der Regel die Dokumentation. Erfasst wird oft erst am Abend, oder vielleicht auch um Tage zeitversetzt. Dies wiederum führt dann häufig z. B. zu Mehrarbeit durch Rückfragen der Verwaltungsmitarbeiterin an das Behandlungsteam, zu Honorarverlusten, zu Nachfragen von Kostenträgern bis hin zu Regressen, die mangels vollständiger Dokumentation schwer bis gar nicht erfolgreich zu bestehen sind. Der Patient ist erst fertig, wenn die Dokumentation fertig ist. Schaffen wir es, diesen Grundgedanken bzw. Grundsatz in unsere Arbeitsroutine einfließen zu lassen, zu berücksichtigen und umzusetzen, ist der erste Schritt in die richtige Richtung vollzogen.
Stichworte PAR-Richtlinie und Unterkieferprotrusionsschiene: Die zahnärztliche Abrechnung muss stetig mit aktuellen Neuerungen mitgehen. Welches Vorgehen empfehlen Sie hier in besonderer Weise?
Schaut man auf die G-BA-Richtlinienneufassungen und die Änderungen, insbesondere im Bereich der BEMA-Gebührennummern, hat sich in den letzten 2,5 Jahren sehr viel Positives getan. Neben den in der Frage bereits aufgeführten Bereichen gab es weitere zahnärztliche Leistungsbereiche, die an den Stand von Wissenschaft und Technik angepasst wurden. Auszugsweise möchte ich die Früherkennungsuntersuchungen, die Besuchsleistungen, die Videosprechstunde und Videofallkonferenz sowie die seit Januar 2022 im BEMA aufgenommenen Gebührennummern in Verbindung mit der Telematikinfrastruktur erwähnen. Ich persönlich betrachte dies als wirkliche Meilensteine, unsere Patienten noch besser behandeln und betreuen zu können. Natürlich bringen Neuerungen zuallererst einmal mit sich, dass wir uns mit den Thematiken intensiv auseinandersetzen müssen.
Meine Empfehlung an die Leser ist hier ganz klar und eindeutig: Bilden Sie sich stetig weiter, besuchen Sie Fortbildungen, lesen und verinnerlichen Sie die Rundschreiben Ihrer regionalen KZV, erstellen Sie Ihr eigenes individuelles Praxiskonzept, kommunizieren Sie es im Team und setzen es im Anschluss erfolgreich um. So ist der Erfolg vorprogrammiert.
Die BZÄK verweist wiederkehrend kritisch auf den veralteten GOZ-Punktewert, der seit 1987 unverändert geblieben ist. Wie ist Ihr Standpunkt zu dieser Thematik und begegnet Ihnen das Thema oft in der Praxis?
Zunächst einmal: Bei der novellierten Gebührenordnung für Zahnärzte handelt es sich um die seit 1.1.2012 gültige Rechtsgrundlage zur Abrechnung zahnärztlicher Leistungen bei privatversicherten Patienten. Auch Leistungen außerhalb des Sachleistungssystem bei gesetzlich versicherten Patienten sind nach der GOZ berechnungsfähig. Daher betrifft das von Ihnen geschilderte Problem aktuell jede Zahnarztpraxis in Deutschland. Und das Problem ist größer als man denkt: nicht nur, dass der Punktwert seit über 30 Jahren unangepasst blieb, hinzu kommt auch, dass selbst bei der novellierten GOZ aus 2012 nicht alle Leistungen in den Leistungskatalog aufgenommen wurden. Meiner Meinung nach besteht hier dringend Handlungsbedarf des Gesetzgebers, und zwar gleich auf mehreren Ebenen.
Welche Ebenen wären das zum Beispiel?
Nötig wären die zeitnahe Anpassung des Punktwertes zahnärztlicher Leistungen ebenso wie die Aufnahme neuer Leistungen, die richtigerweise als Analogleistungen berechnet, allerdings immer wieder von privaten Kostenträgern beanstandet werden. Das führt zu Verdruss auf Patienten- und Praxismitarbeiterseite und verursacht viel zeitlichen Mehraufwand, bedingt durch Nachkommentierungen und zusätzlichem Kommunikationsaufwand. Aber auch die so wichtige interdisziplinäre Zusammenarbeit, auszugsweise genannt seien an dieser Stelle z. B. Schlafmediziner, Diabetologen, Heilpraktiker, sollte zukünftig vielmehr in den Fokus gerückt werden, um den Patienten im Sinne einer ganzheitlichen Betrachtungsweise bedarfsorientiert behandeln und die erbrachten Leistungen auch entsprechend abrechnen zu können.
Trotz der beschriebenen nötigen Änderungen durch den Gesetzgeber sehe ich aber auch unbedingt Handlungsbedarf in vielen Zahnarztpraxen.
Was genau meinen Sie damit?
Die derzeit gültige Gebührenordnung ermöglicht uns trotz ihrer Schwächen aber eben auch Individualität und damit die Möglichkeit angemessene Honorare für unsere Behandlungen erzielen zu können. Genau diese Möglichkeiten werden jedoch leider noch nicht immer und überall genutzt.
Ein Beispiel dafür ist die konsequente Anwendung von Steigerungsfaktoren. Die rechtliche Grundlage dafür ergibt sich aus § 5 (2) GOZ. Machen wir uns in der Praxis die Mühe und dokumentieren Zeitaufwand und Schwierigkeiten während der Behandlungen, haben wir bereits ein erstes Instrument in der Hand, um inflationären Preissteigerungen zu begegnen und erbrachte Leistungen aufwandsgerecht abzurechnen.
Eine weitere Möglichkeit, eine angemessene Honorierung zu erwirken, bietet uns § 2 (1 und 2) GOZ. Nach Aufklärung des Patienten vor Behandlungsbeginn kann zwischen Zahnarzt und Zahlungspflichtigem eine von der Gebührenverordnung abweichende Gebührenhöhe vereinbart werden. Die Vergütungsvereinbarung ist möglich, für Leistungen innerhalb des Gebührenrahmens von Faktor 1,0 – 3,5, als auch für Leistungen oberhalb des Faktors 3,5. Meine Erfahrungen zeigen, dass in Praxen wenig über 3,5 gesteigert wird. Als Grund dafür, wird oft angegeben, dass der Patient das Mehrhonorar ab Faktor 3,5 nicht erstattet bekommt. Wichtig ist daher, die proaktive Aufklärung und Information des Patienten. Lassen Sie Ihren Patienten wissen, warum eine Vergütungsvereinbarung im Zusammenhang mit seiner Behandlung nötig ist.
Was ist Ihrer Meinung nach das wertvollste Instrument zur Erzielung eines angemessenen Honorars?
Es ist wichtig, sich mit den Leistungsinhalten der GOZ-Gebührennummern auseinanderzusetzen. Dazu gehört insbesondere auch, dass die Unterschiede in der Leistungsabrechnung von identischen oder ähnlichen Kassenleistungen bekannt sind. Es gibt da diesen einen Satz, den sicher alle schon einmal irgendwo gelesen haben: In BEMA zu denken heißt Geld verschenken. Mein Tipp daher, denken und schreiben Sie in GOZ-Ziffern und nicht in Kürzeln. Mir persönlich hilft es dabei, Unterschiede in den Gebührenordnungen zu verinnerlichen und richtig anzuwenden.
Gibt es einen Insider-Abrechnungstipp, den Sie an dieser Stelle unseren Lesern gerne weitergeben möchten?
Es ist schwer, aus dem großen Bereich der zahnärztlichen Abrechnung den einen ultimativen Abrechnungstipp herauszufiltern. Es gibt so viele Tipps, die ich gerne mitteilen möchte. In meinen Beratungen erlebe ich jedoch immer wieder, dass die schon 2018 in den BEMA aufgenommenen präventiven Leistungen bei Versicherten mit Pflegegrad oder Eingliederungshilfe wenig Berücksichtigung finden. Hier sei explizit erwähnt, dass anspruchsberechtigte Personengruppen Anspruch auf diese Sachleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung haben, und das sogar zweimal im Kalenderjahr. Die Leistungen umfassen insbesondere die Erhebung eines Mundgesundheitsstatus mit individuellem Mundgesundheitsplan (BEMA-Nr. 174/PBa), die Mundgesundheitsaufklärung (BEMA-Nr. 174b/PBb) und die Entfernung harter Zahnbeläge (BEMA-Nr. 107a/PBZst).
Mein Tipp: Prüfen Sie, ob eine Aktualisierung Ihres Anamnesebogens nötig ist. Es empfiehlt sich folgende Fragestellungen aufzunehmen: Liegt ein Pflegegrad vor? Erhält der Patient Eingliederungshilfe? Werden Sie proaktiv und informieren Sie Ihre Patienten, dass die gesetzlichen Krankenkassen zur nachhaltigen Verbesserung der zahnmedizinischen Versorgung von Menschen mit Beeinträchtigungen spezielle und sehr wichtige zahnmedizinisch präventive Behandlungen in ihren Leistungskatalog aufgenommen haben. Ihre Patienten werden es Ihnen danken.
Dieser Beitrag ist im ZWP spezial erschienen.