Wissenschaft und Forschung 02.09.2015
Dicke Backen? Bei Orang-Utans ein Zeichen für Dominanz
Dominante Orang-Utan Männchen mit Backenwülsten zeugen die meisten Nachkommen – aber nur in Zeiten einer stabilen Rangordnung.
Anders als bei den meisten Säugetieren gibt es bei männlichen
Orang-Utans zwei unterschiedliche morphologische Typen: Einige
entwickeln in ihren Gesichtern „Backenwülste“, andere nicht. Ein
Forscherteam unter der Leitung von Graham L. Banes und Linda Vigilant
vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig
untersuchte den Fortpflanzungserfolg von Kusasi, dem ehemaligen
dominanten Männchen in Camp Leakey im Tanjung Puting Nationalpark in
Indonesien, und verglich ihn mit dem Erfolg nicht dominanter Männchen
ohne Backenwülste. Dazu sammelten die Forscher Kotproben und führten
Vaterschaftstests durch. Sie stellten fest, dass Kusasi während seiner
Zeit als „König“ des Dschungels wesentlich mehr Nachkommen gezeugt hat
als alle andere Männchen. Nur wenn es zu Instabilitäten in der
Rangordnung kam – zu Beginn und am Ende von Kusasis „Herrschaft“ –
zeugten auch andere Männchen erfolgreich Nachwuchs.
Normalerweise gibt es in jedem Gebiet nur ein Orang-Utan-Männchen mit
Backenwülsten – das jeweils dominante. Neben der Körpergröße und dem
großen herabhängenden Kehlsack zum Brüllen von langen, resonanten
Lauten, sind diese Backenwülste für dominante Männchen charakteristisch.
Weibchen finden sie vermutlich attraktiv, was zum höheren
Fortpflanzungserfolg dominanter Männchen im Vergleich zu Rivalen ohne
Backenwülste beitragen könnte. Aber auch Männchen ohne Backenwülste
können Nachkommen zeugen.
„Dominante Männchen haben einen höheren Kalorienverbrauch, sind aufgrund
ihrer Größe in ihrer Bewegung eingeschränkt und können bei
Auseinandersetzungen mit dominanten Männchen benachbarter Gruppen sogar
getötet werden“, sagt Graham L. Banes vom Max-Planck-Institut für
evolutionäre Anthropologie, der sein Langzeitforschungsprojekt an der
University of Aberdeen begann und später an der University of Cambridge
fortführte. „Warum also sollte ein Männchen Backenwülste entwickeln,
wenn es auch ohne sie Nachwuchs zeugen kann?“
Um diese Frage zu beantworten, erforschte Banes acht Jahre lang die im
Tanjung Puting Nationalpark lebenden Orang-Utans, folgte ihnen mehrere
Monate am Stück von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang und sammelte
Kotproben von allen Orang-Utans, die in dem 50 Quadratkilometer großen
Studiengebiet gesichtet wurden. Anschließend untersuchten die Forscher
das in den Proben enthaltene Erbgut und identifizierten so 39 bekannte
Tiere, darunter 12 Männchen. „Um herauszufinden, welche dieser Männchen
Nachwuchs gezeugt haben, führten wir Vaterschaftstests durch“, sagt
Linda Vigilant vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
„Anschließend verglichen wir Kusasis Fortpflanzungserfolg mit dem von
Männchen ohne Backenwülste und stellten fest: zehn von 14 Orang-Utans,
die in einem Zeitraum von mehr als zehn Jahren gezeugt wurden, waren
Söhne und Töchter von Kusasi.“
Die Ergebnisse zeigen, dass Kusasi als dominantes Männchen sehr viel
mehr Nachkommen gezeugt hat, als alle anderen Männchen. Dazu beigetragen
haben möglicherweise seine Backenwülste, die auf weibliche Orang-Utans
anziehend wirken. Wie erwartet hatten aber auch Männchen ohne
Backenwülste einen gewissen Fortpflanzungserfolg. „Interessant ist hier
aber das Timing“, sagt Banes. „Andere Männchen zeugten Nachkommen in der
Zeit unmittelbar vor oder gegen Ende von Kusasis Dominanzperiode, als
die hierarchischen Verhältnisse im Gebiet unklar waren.“ Daraus folgern
die Autoren, dass die Herausbildung von Backenwülsten eine bewährte
evolutionäre Strategie ist: Der Fortpflanzungserfolg von dominanten
Männchen mit Backenwülsten ist wesentlich höher als der von anderen
Männchen. Für jene heißt es abwarten, bis sie in Zeiten unsicherer
Rangverhältnisse ebenfalls zum Zuge kommen können.
Originalpublikation:
Graham L. Banes, Biruté M. F. Galdikas and Linda Vigilant
Male orang-utan bimaturism and reproductive success at Camp Leakey in Tanjung Puting National Park, Indonesia
Behavioral Ecology and Sociobiology, 01.09.2015, DOI: 10.1007/s00265-015-1991-0
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.