Wissenschaft und Forschung 26.09.2017

Privatsphäre: Software erkennt sexuelle Orientierung am Gesicht



Privatsphäre: Software erkennt sexuelle Orientierung am Gesicht

Foto: vchalup – stock.adobe.com

Zwei Forscher der Universität von Stanford haben eine Software entwickelt, die auf Basis von Porträtfotos abschätzen kann, ob eine Person homo- oder heterosexuell ist – mit sehr hoher Trefferwahrscheinlichkeit. Michal Kosinski und Yilun Wang sahen sich aufgrund der Wellen, die diese Arbeit schlug, genötigt, begleitend zum Preprint einen Kommentar zu veröffentlichen. Darin erklären sie nochmals genau, was für diese Studie im Besonderen gilt und im Allgemeinen für die Rezeption wissenschaftlicher Arbeiten gelten soll: Ein genaues Verständnis der Forschungsprämisse und Sorgfalt bei den Schlussfolgerungen aus den erzielten Ergebnissen.

Ein künstliches neuronales Netz sieht mehr als ein Mensch

Die Studie „Deep neural networks are more accurate than humans at detecting sexual orientation from facial images“ wird demnächst im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlicht. Auf deutsch: Ein Computerprogramm, das auf einem sogenannten künstlichen neuronalen Netz beruht, kann anhand von Portraitfotos die sexuelle Orientierung von Personen präziser beurteilen, als dies menschliche Entscheider können.

Ein künstliches neuronales Netz braucht Entscheidungskriterien und muss trainiert werden. Als Kriterien verwendet der Algorithmus verschiedene unveränderliche körperliche Merkmale wie die Form der Nase, der Stirn oder des Kiefers und veränderliche Gesichtsmerkmale wie das Styling des Bartes. Zum Training verwendeten Kosinski und Wang über 35.000 Porträtfotos von Menschen, die sich selbst als homo- bzw. heterosexuell bezeichnen. Die Daten stammen aus einer öffentlichen Datenbank. Schließlich testeten sie den Algorithmus an anderen Fotos, u.a. auch an solchen aus Facebook-Profilen.

Wird dem Algorithmus ein einzelnes Foto von einem Mann vorgelegt, kann er mit 81-prozentiger Sicherheit sagen, ob der Mann hetero- oder homosexuell ist. Bei Frauen ist die Quote etwas geringer: 74 Prozent. Erhält die Software allerdings fünf Fotos derselben Person, steigt die Treffsicherheit auf 91 Prozent bei Männern und 83 Prozent bei Frauen. Zum Vergleich ließen die Forscher Menschen die sexuelle Orientierung der abgebildeten Personen beurteilen. Diese jedoch erreichten nur eine Vorhersagewahrscheinlichkeit von knapp 60 Prozent.

Schon im Vorwort stellen Wang und Kosinski klar: „Unsere Erkenntnisse erweitern das Verständnis über die Ursprünge sexueller Orientierung und die Grenzen menschlicher Wahrnehmung. Da Firmen und Regierungen verstärkt Bildanalysesoftware einsetzen, um private Eigenschaften von Menschen zu ermitteln, decken unsere Erkenntnisse jene Gefahr für Privatsphäre und Sicherheit auf, der homosexuelle Männer und Frauen ausgesetzt sind.“

Die Entscheidungskriterien in Kombination mit der Trefferwahrscheinlichkeit der Software weisen darauf hin, dass vor allem Menschen mit atypischen männlichen oder weiblichen Gesichtsmerkmalen homosexuell sind. Die Ergebnisse decken sich mit der „Pränatalen Hormontheorie“, der am weitesten anerkannten Theorie zum Ursprung von Homosexualität. Diese geht davon aus, dass Homosexualität angeboren ist. Als Beweis ist Konsinskis und Wangs Studie allerdings nicht zu werten, allerhöchstens als Indiz.

Forderungen

Die Autoren schreiben, dass sie sich sehr bewusst darüber waren, wie verstörend die Ergebnisse sind, dass aber nicht die Veröffentlichung, sondern die Nichtveröffentlichung gefährlich wäre. Sie stellten ihre Software ausschließlich aus öffentlich verfügbaren Komponenten zusammen, die bereits in Benutzung sind. In Kombination mit dem Wissen, dass Organisationen – private wie staatliche – bereits Bildanalysesoftware verwenden und Milliarden von Porträts von Menschen digital verfügbar sind, soll die Studie die Gefährdungslage von Homosexuellen ins Bewusstsein rufen: In 45 Ländern steht Homosexualität unter Strafe, in acht davon wird darauf die Todesstrafe verhängt.

Ein Preprint der Veröffentlichung ist bereits einsehbar. Die Kommentierung der Autoren zur Studie findet man hier.

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