Abrechnung 20.10.2023
Rechtliche Bewertung der privatzahnärztlichen Versorgung
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Ohne den jeweiligen Nutzen der vertragszahnärztlichen Versorgung für Patienten und Vertragszahnärzte in irgendeiner Weise schmälern zu wollen (feste kalkulierbare Vergütungsstrukturen, ein wirtschaftliches, zweckmäßiges und ausreichendes Versorgungsangebot mit dezentralisierter, gesicherter Versorgungsstruktur), wäre eine gewisse Aktualisierung und Modernisierung der vertragszahnärztlichen Versorgung und ihrer Abrechnung sach- und zeitgerecht. Eine Implementation GOZ-abgesicherter Behandlungen in den einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) ist natürlich primär finanzökonomisch und somit politisch zu entscheiden. Zurecht sind deshalb EBM-Leistungslegenden einer Analogabrechnung nicht zugänglich, und eine Modernisierung des Leistungsspektrums einer vertragszahnärztlichen Behandlung ist ohne eine Beteiligung des Normgebers nicht möglich. Innovative Behandlungsansätze der kieferorthopädischen Schulmedizin bleiben deshalb weiterhin der Privatbehandlung vorbehalten.
Das Scannen
Ganz in diesem Sinne entschied das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29.3.2023, L 7 KA 9/19, wonach die optisch-elektronische Abformung der Nummer 0065 GOZ eben keine körperliche Abformung sei, die allein durch BEMA Nummer 7A und 117 erfasst werde, sondern eine bloße „bildliche Erfassung der Kiefer“. An der Vereinbarung des Berufsverbandes der Kieferorthopäden mit der KZBV werde erkennbar, dass dies auch der fachlichen Sichtweise der maßgeblichen Fachgremien entspreche (Vereinbarung vom 18.11.2016). Die Möglichkeit, das Scannen nun zulasten des Patienten privat abrechnen zu dürfen, bestätigt den Ausschluss der Leistung in der vertragszahnärztlichen Versorgung.
Die Lingualtechnik
In derselben Weise vertraten einzelne kassenzahnärztliche Vereinigungen den Standpunkt, die linguale Anbringung der festsitzenden Apparatur führe zum totalen Fortfall jeden EBM-Honorars. Mit dem Inkrafttreten der Positivliste zu mehrkostenfähigen Behandlungsansätzen vom März 2023 wird nun immerhin die Abrechnung des Mehraufwandes zulasten des Patienten zugelassen. Auch hier ist nicht recht erkennbar, dass eine entsprechende EBM-Implementation zu einer Kostenausweitung führen würde, nur weil die Apparatur alio loco angebracht wird. Dass der linguale Behandlungsansatz als solcher erprobt und anerkannt ist, wird nicht einmal von den oben genannten Berufsverbänden in Abrede gestellt.Entgegen der Auffassung mancher Kostenträger ist die Erstattungspflicht für die besonders aufwendige linguale Behandlungsapparatur nicht über die Vormerkungen vor Nummer 6000 GOZ ausgeschlossen, wenn diesbezüglich eine (seit 2012 in der GOZ) vorgesehene Mehrkostenvereinbarung zur Verwendung von Material oberhalb von Standardmaterial zuvor vereinbart wurde. Und natürlich: Allein der Vorteil der Lingualapparatur in ästhetischer Hinsicht nimmt diesem Ansatz nicht seine medizinische Notwendigkeit. Falsch ist es deshalb, die Lingualbehandlung als Verlangensleistung zu bezeichnen, deren Erstattungsfähigkeit klar nach Paragraf 1 Abs. 2 GOZ ausgeschlossen wird. Colorandi Causa bestätigt das Gericht auch noch die mehrfache Abrechenbarkeit der Nummer 6090 GOZ je Quartal bei Anwendung der Lingualtechnik.
Die adhäsive Befestigung
Mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes wird man zu konzedieren haben, dass Nummer 2197 GOZ bei festsitzenden Apparaturen nicht abrechenbar ist, da das Kleben eines Klebebrackets nur als unzulässige Doppelabrechnung begriffen werden kann und diese in der Kernposition enthalten ist und durch sie vergütet wird. Dasselbe nimmt das Amtsgericht Köln nun für Nummer 2702a GOÄ an, weil das Ausgliedern der eingegliederten Bögen ein medizinisch notwendiger Leistungsbestandteil der Kernposition ist.
Anders als noch die Vorinstanz bejaht nun das Landgericht Wiesbaden, Urt. v. 25.5.2023, 1 S. 86/20, in Kenntnis des Urteils des Bundesverwaltungsgerichtes jedenfalls für die AlignerBehandlung die Abrechnung der Nummer 2197 für die adhäsive Befestigung von Attachments und folgt damit dem Judikat des Landgerichtes Stuttgart und mehreren Amtsgerichten, wonach die vorgenannte höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes für Aligner-Behandlungen im Rahmen der privaten Krankenversicherung gar nicht anwendbar ist.
Das Monitoring
Der von der lokalen Zahnärztekammer ausgewählte und durch das Gericht (Amtsgericht Schorndorf, Urt. v. 27.6.2023, 1 C 196/20) dann bestellte Sachverständige, ebenfalls ein Fachzahnarzt für Kieferorthopädie, wertete in seinem Sachverständigengutachten vom 15.5.2023 Dental Monitoring als ein anerkanntes Verfahren der diagnostischen Therapiebegleitung, das auf der Anwendung digitaler Technologie basiere und die Auswertung patientenseitig eingesandter Befundaufnahmen durch den Kieferorthopäden ermögliche. Die visuelle Kontrolle durch wöchentliches Scannen beziehungsweise die wöchentliche Auswertung der Foto- und Videodateien ermögliche es zeitnah, bei aufkommenden Problemen, Komplikationen oder Fehlern korrigierende Maßnahmen zu ergreifen. Dies könne dazu beitragen, dass die Behandlung insgesamt schneller verlaufe und die Dauer der Behandlung verkürzt werde. Der Einsatz könne Therapiechancen verbessern und die Patientenmitwirkung erhöhen, indem ihm jeweils ein zeitnahes Feedback zum Erfolg seiner Mundhygiene-Bemühungen gegeben werde. Aus zahnmedizinischer Sicht sei sogar eine Reduzierung von Behandlungsterminen, eine zeitnähere ärztliche Intervention vor der Vertiefung eines unerwünschten Befundes bzw. einer unerwünschten Verlaufsentwicklung in wohl einem jeden Behandlungsfall möglich, was ohne Weiteres eine Kostensenkung bewirken könne.
Das Gericht legte diese Bewertung des Fachzahnarztes seiner Rechtsanwendung zugrunde und bestätigte die Anwendung von Dental Monitoring in dem zu entscheidenden Fall als medizinisch notwendig im Sinne des Krankheitsbegriffs der privaten Krankenversicherung. Die Versicherungsbedingungen der MB/KK 2009 gelten – soweit hier relevant – für alle privaten Krankenversicherungen in der Bundesrepublik Deutschland gleichermaßen und mit demselben Inhalt. Danach stellen jede Schmerzlinderung, jede Funktionswiederherstellung und jede Therapieverkürzung eine medizinisch notwendige Heilbehandlung dar.
Das Gericht gelangte so zu der rechtlichen Bewertung, dass die versicherungsvertragliche Erstattungsfähigkeit von Dental Monitoring für den hier zu entscheidenden Sachverhalt zu bejahen war, und qualifizierte sämtliche diesbezüglich abgerechneten Positionen (BEB 0706: Foto- und Videodokumentation einschließlich Auswertung) als nachvollziehbar, erforderlich, gesondert und der Höhe nach wie abgerechnet für abrechenbar und erstattungspflichtig.
Fazit
Die GOZ ist in ihren Punktwerten eingefroren, sie erweist sich aber als fließend im Hinblick auf die Erfassung neuer Behandlungstechniken. Anders als der starre EBM ermöglicht sie die Analogabrechnung, sodass neue Behandlungsansätze immer einer Abrechnung zugeführt werden können, wenn sie in Relation zur Zielleistung eine eigenständige medizinische Indikation aufweisen.
Dieser Beitrag ist in der KN Kieferorthopädie Nachrichten erschienen.